Die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands könnte nach Einschätzung der von RBTH befragten Experten zu einem weiteren Kapitalabfluss aus Russland führen. Foto: EPA/FOTIS PLEGAS G.
Seit Mitternacht ist es offiziell: Griechenland hat eine fällige Rate von 1,5 Milliarden Euro nicht an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen können. Das kam nicht überraschend. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hatte diese Entwicklung vorausgesagt. Nun droht den Griechen die Staatspleite.
An den russischen Börsen blieb man gelassen. „Eine Pleite Griechenlands wird erwartet, deshalb fällt die Reaktion der Investoren nur mäßig negativ aus“, erklärt die Alpari-Analystin Anna Kokorewa. „Einen Absturz des Euros oder der Fondsmärkte erwarten wir nicht, aber ein gewisses Absinken ist unumgänglich. Die Börsenindizes könnten sich um zwei bis drei Prozent verändern“, prognostiziert Kokorewa.
Es wird eine weitere Stärkung des US-Dollars erwartet. „Es wird eine stärkere Gesamtvolatilität der russischen Währung und Wertpapiere geben. Geht man davon aus, dass die Schwächung des Rubels sich positiv auf die russische Wirtschaft auswirkt, wird eine Griechenland-Pleite keine negativen Folgen haben“, meint Jelisaweta Belugina vom Brokerage-Unternehmen FBS.
Die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands könnte nach Einschätzung der von RBTH befragten Experten zu einem weiteren Kapitalabfluss aus Russland führen. „Die Investoren werden risikoscheuer. Die Nachfrage nach weniger ertragreichen, aber dafür sicheren Papieren wird daher steigen“, ist Anna Kokorewa überzeugt. Da Russland wegen der Sanktionen ohnehin seit einem Jahr von den westlichen Märkten ausgeschlossen und schon im vergangenen Jahr viel Kapital aus Russland abgeflossen sei, rechnet Jegor Susin von der Gazprombank allerdings nicht mit dramatischen Auswirkungen.
Möglicher Grexit eröffnet Chancen für Russland
Wie geht es nun weiter mit Griechenland? Am Sonntag soll in Griechenland ein Referendum über die Forderungen der Kreditgeber stattfinden. Wenn die Mehrheit der Wähler die Reformen annimmt, wird das das Problem der Zahlungsunfähigkeit für eine Weile aufheben. Weit wichtiger ist die Frage, ob Griechenland aus der Eurozone austreten wird. S&P-Analysten schätzen die Wahrscheinlichkeit für diese Option auf 50 Prozent.
Für Russland könnte sich der sogenannte Grexit positiv auswirken: „Der Austritt des Landes aus der Eurozone wird die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern erleichtern. Die neue Währung Griechenlands würde schwach sein und die produzierten Waren billig. Die geringere Abhängigkeit des Landes von äußeren Krediten könnte sich positiv auf die Außenpolitik Griechenlands gegenüber Russland auswirken“, meint Anna Kokorewa.
Ein Grexit könnte sogar neuen Schwung in das zuletzt etwas festgefahrene Pipeline-Projekt „Turkish Stream“ bringen. Denn nach einem Austritt aus der Eurozone wären die Griechen wieder mehr an Kooperationen mit anderen Ländern interessiert. Der Grexit sei jedoch nicht zwingend notwendig, findet Susin. Er geht zudem davon aus, dass die EU versuchen werde, ein solches Szenario unbedingt zu verhindern, da die Folgen für Europa nicht vorhersagbar wären. Varoufakis selbst schätzt den Verlust für die EU im Falle eines Grexit laut der griechischen Zeitung „Real News“ auf etwa eine Billion Euro.
Die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands könnte die europäische Wirtschaft in die Rezession treiben. Das hätte sicherlich auch Auswirkungen auf die russisch-europäischen Beziehungen, denn Russland ist für die EU ein wichtiger Ex- und Importeur.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!