Sergej Dankwert: „Die Europäische Union drückt beide Augen zu“

Sergej Dankwert: Verbotene Lebensmittel müssen vernichtet werden“

Sergej Dankwert: Verbotene Lebensmittel müssen vernichtet werden“

Monique Renne
Der jüngste Erlass der russischen Regierung, verbotene Lebensmittel zu vernichten, hat international für Aufsehen gesorgt. Gazeta.ru fragte Sergej Dankwert, Chef der russischen Landwirtschaftsaufsichtsbehörde Rosselchosnadsor, warum die Ware nicht an Bedürftige verteilt wird.

Gazeta.ru: Vor einem Jahr hat Russland ein Embargo gegen bestimmte Lebensmittel eingeführt. Musste in diesem Jahr viel verbotenes Essen aus dem Verkehr gezogen werden?

Sergej Dankwert: Es sind Zehntausende Tonnen. Diese Zahl genauer einzuschätzen, ist schwierig. Unsere Grenzen zu Weißrussland und Kasachstan bestehen ja nur noch auf dem Papier. Dort gibt es weder Grenzschutz noch Zoll. Über diese Grenzen aber kommt der Großteil der Lebensmittel aus Europa.

Was lassen die Lieferanten sich einfallen, um verbotene Waren über die Grenze zu bringen?

Die Lebensmittel werden umetikettiert. Nehmen wir Fleisch als Beispiel. Europäische Unternehmen schicken es von Rotterdam, Amsterdam oder Hamburg aus und deklarieren es für den Zoll als Baumörtel, Kaugummi oder ein anderes Produkt, dessen Einfuhr nicht verboten ist. So steht auf dem Container zwar Baumörtel drauf, drin ist aber Schweinefleisch.  

Sind die Versuche, das Lebensmittelembargo zu umgehen, im Laufe des Jahres weniger geworden?

Nein, es sind eher mehr geworden. Wir haben uns mehrmals an unsere Kollegen in Brüssel gewandt, weil auf dem Gebiet der Europäischen Union Versandunterlagen und Zahlungsbelege gefälscht werden. Doch die EU drückt einfach beide Augen zu. Keine einzige unserer Anfragen dazu wurde beantwortet.

Wollen Sie damit sagen, dass es zwischen dem europäischen Zoll und den Unternehmern, die sanktionierte Ware nach Russland liefern, Absprachen gibt?

Das ist eine interessante Frage. Wir haben sie bereits mehrmals mit unseren Brüsseler Kollegen diskutiert. Ein europäischer Zollbeamter schaut sich nur den Lieferschein an, andere Unterlagen interessieren ihn nicht – nach dem Motto: Transportiere doch, was du willst, solange es Transitware ist. Sind in den Unterlagen marokkanische Äpfel ausgewiesen, wird ein polnischer Zollbeamter nicht prüfen, ob es sich dabei um Äpfel aus Polen handelt. Obwohl Polen der größte Lieferant von Äpfeln ist.

Da muss ich Ihnen widersprechen. Der Botschafter der Schweiz Pierre Helg erzählte mir, dass die Schweiz sehr scharf auf Versuche reagiert, das Land als Durchgangskorridor für Lebensmittel, die in Russland verboten sind, zu missbrauchen.

Die Schweiz ist kein EU-Mitglied. Daher führt das Land unverzüglich Untersuchungen durch. Wir haben ein bilaterales Abkommen mit den Schweizern. Suchen Sie aber das Gespräch mit den Mitgliedsländern der EU, kriegen Sie zu hören: „Es wäre wünschenswert, Sie kontaktierten nicht die einzelnen Mitgliedstaaten. Arbeiten Sie bitte mit der Europäischen Kommission zusammen.“

Die Partner innerhalb der Eurasischen Union, vorrangig Kasachstan und Weißrussland, haben das Embargo nicht mitgetragen. Wurde Ihre Arbeit bei den Einfuhrkontrollen dadurch stark erschwert?

Ja. Wir sahen uns gezwungen, Lebensmittelkontrollen an den Landesgrenzen einzurichten.

Also wurden die Grenzen innerhalb der Eurasischen Union de facto wiederhergestellt?

Nein. An den Hauptverkehrsadern wurden lediglich Veterinär- und phytosanitäre (pflanzengesundheitliche, Anm. d. Red.) Kontrollen durchgeführt, um Einfuhren zu überwachen.

Das Thema der Lebensmittelvernichtung sorgt in Russland für Kontroversen. Wie kann man sich die Beseitigung technisch vorstellen? Werden Lebensmittel gleich neben dem Kontrollposten unter freiem Himmel verbrannt?

Im Augenblick ist eine Regierungsverordnung von 1997 in Kraft, die das Beseitigungsverfahren regelt. Demnach sind wir verpflichtet, ein halbes Jahr nichts zu tun und abzuwarten, bis wir die konfiszierte Ware, zum Beispiel Fleisch, welches in Sankt Petersburg beschlagnahmt wurde, an die Behörde für Staatseigentum zwecks Verbrennung übergeben können. Dabei muss der Staat die ganze Zeit hindurch dafür sorgen, dass das Fleisch tiefgefroren bleibt, und für die Lagerkosten aufkommen.

Außerdem müssen wir prüfen, wem die verbotene Ware gehört. Wo ist der Eigentümer? In welchem Land? Trotz der Nachforschungen ist der meist nicht aufzufinden, die Papiere sind ja gefälscht. Bis zum Präsidentenerlass schickten wir alle Lebensmittel in die angrenzenden Gebiete zurück. Kam verbotene Ware aus Weißrussland, Litauen oder Lettland gingen die Lieferungen dorthin zurück. Solange die Rückgabe abgewickelt wurde, musste der Eigentümer gesucht und die Lagerkosten getragen werden. Jetzt werden wir das, was unter falschem Etikett geliefert wurde, vernichten. Darin besteht der qualitative Unterschied.

Und wenn europäische Unternehmen sich an die Schiedsgerichte wenden und Sie mit Klagen überhäufen?

Das werden sie nicht. Sie haben eine strafbare Handlung begangen: Ware unter falscher Kennzeichnung geliefert.

Sie werden die Lebensmittel also vernichten?

Ja, das werden wir. Fleisch allerdings kann zu Futtermittel verarbeitet oder an Fabriken übergeben werden, die Knochenmehl herstellen. Landesweit gibt es einige davon.

Was ist mit Obst und Gemüse?

Desinfektion durch Begasung und danach Entsorgung. Das sind organische Abfälle, sie werden vergraben.

Es wäre doch gut, verbotene Lebensmittel an obdachlose Kinder zu verteilen …

Im Westen kommt keiner auf die Idee, Verbotenes an Bedürftige zu verteilen. Weltweit funktioniert das heutige System so: Handelt es sich um Lebensmittel mit gefälschten Papieren und ihre Herkunft ist unbekannt, müssen sie vernichtet werden.

Glauben Sie, nach dem Erlass werden die illegalen Lieferungen zurückgehen?

Davon bin ich überzeugt. Der Erlass bedeutet ein größeres Risiko für die Lieferanten. Angenommen, sie schicken 20 Tonnen Erdbeeren nach Russland. Das entspricht mindestens 37 000 Euro. An der Grenze werden die Erdbeeren abgefangen und vergraben. Das Geld ist dann weg. Das ist ein spürbarer Einschnitt.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru

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