Gaidar-Naumann-Forum: Im Zeichen der Krise

Hochrangige Experten aus Russland und Deutschland diskutierten die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern.

Hochrangige Experten aus Russland und Deutschland diskutierten die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern.

Friedrich-Naumann-Stiftung Für die Freiheit – Gordon Welters
Hochrangige Experten aus Russland und Deutschland diskutierten am Donnerstag in Berlin die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern im Spiegel von Sanktionen und politischer Eiszeit.

Modernisierung, Freihandel und Integration standen im Zentrum des betont liberalen Gaidar-Naumann-Forums am Donnerstag in Berlin. Zumindest am Vormittag war der größte Teil der rund 250 angemeldeten Gäste auch anwesend – der „Vater der russischen Privatisierung“ Anatolij Tschubais, heute unter anderem Co-Vorsitzender des Runden Tischs der Industrie aus der Europäischen Union und Russland, erwies sich als Publikumsmagnet. Sein Rückblick auf die Hochzeit liberaler russischer Wirtschaftspolitik war charakteristisch für den apologetischen Charakter der Veranstaltung. In einer Zeit, in der von Mobilisierung, Autarkie, Sanktionen und Embargos die Rede ist, geriet der Tag zum Gedenken an eine – zumindest vorübergehend – in den Hintergrund getretene Idee.

Beeindruckende Namen aus jener Zeit waren am Potsdamer Platz versammelt: neben Anatolij Tschubais der erste russische Wirtschaftsminister Andrej Netschajew, dann Jewgeni Jasin, ebenfalls ein Wirtschaftsminister der Jelzinjahre, und Pjotr Gaidar stellvertretend für seinen 2009 verstorbenen Vater. Eingeladen hatten die Jegor-Gaidar-Stiftung, die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung und das Deutsch-Russische Forum. 

Staatlicher Einfluss hemmt Wachstum

Der Titel war weit gefasst: „Deutsch-russische Beziehungen unter geänderten Vorzeichen – Wirtschaftskooperation in Zeiten von Sanktionen und neuen Allianzen“. Dabei wurde rasch deutlich, dass wie immer in schwierigen Zeiten die Praktiker die geringsten Probleme mit der Wirklichkeit haben. So verwies der Moskauer Anwalt Andreas Knaul auf das deutlich gestiegene Rating Russlands im Rahmen der internationalen Skala „Doing Business“. Zumindest in technischer und bürokratischer Hinsicht, so Knaul, seien wirksame Modernisierungsschritte nicht von der Hand zu weisen. Will sagen: Man kann in Russland weiterhin leben, arbeiten und erfolgreich sein. Knaul war auch der Ansicht, dass die Begriffe Modernisierung und starkes Russland einander nicht widersprechen.

Die akademische Welt tat sich da schwerer. Joachim Zweynert, Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke, machte keinen Hehl daraus, dass er die Putin-Ära für eine „ganz tragische Geschichte“ hält. Offensichtlich wollte ihn bei dieser Schlussfolgerung aber nicht jeder begleiten. Bei aller Kritik an den Mechanismen und Methoden der russischen Staatsführung klang doch durch, dass die Putin-Zeit zumindest in Sachen Effizienz den Jahren unter Präsident Boris Jelzin deutlich überlegen sei.

Ex-Wirtschaftsminister Netschajew strich heraus, was die Kritik an der mangelnden Modernisierung im Auge hat: die wachsende Staatsquote, den überbordenden Staatsapparat und den übermächtigen Anteil staatlicher Unternehmen an der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung. Auch Anatolij Tschubais ließ keinen Zweifel daran, dass bei einer solchen Struktur (und in Abwesenheit einer Hausse bei den Rohstoffpreisen) weder beeindruckende Wachstumsraten noch eine weltwirtschaftliche Führungsrolle zu erwarten seien. Jewgenij Gontmacher, stellvertretender Direktor am renommierten Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen, stellte die Frage, welchen Anreiz es für Reformen gebe, solange man enorme Profite mit dem Export von Rohstoffen generieren könne. Er antwortete mit einem Zitat des ehemaligen russischen Wirtschaftsministers German Gref: „Erst wenn es in Russland kein Öl mehr gibt, kommen Reformen.“

Deutschland taugt nicht als Vorbild

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die deutsche Erstaufführung des Dokumentarfilms „Untergang eines Imperiums“ nach Motiven eines Buchs von Jegor Gaidar. Weder für den Westen noch für die russische Elite ist die Botschaft neu: Ihren Untergang verdankt die Sowjetunion nicht Michail Gorbatschow oder den Reformern nach ihm, sondern einem reformunfähigen System mit einer zutiefst inkompetenten Führung. Dass nicht wenige Menschen in Russland dennoch vom Gegenteil überzeugt sind, verglich der frühere sachsen-anhaltinische Finanzminister Karl-Heinz Paqué mit der „Ostalgie“ ehemaliger DDR-Bürger.

Jewgenij Jasin, inzwischen Mitglied des Kuratoriums der Jegor-Gaidar-Stiftung, ging noch einen Schritt weiter. Er konstatierte der russischen Gesellschaft insgesamt eine Neigung zur Autokratie, die er in den Ursprüngen des Moskauer Fürstentums unter der Mongolenherrschaft im 14. und 15. Jahrhundert verwurzelt sieht.

Die stolze Behauptung, Deutschland habe zweimal in den vergangenen 70 Jahren vorgemacht, wie man ein Wirtschaftssystem erfolgreich liberalisiert, wurde von den anwesenden Russen allerdings nicht akzeptiert. Andrej Netschajew erinnerte daran, dass von den versprochenen 24 Milliarden US-Dollar, die der Westen der jungen Gaidar-Regierung hatte zahlen wollen, nur eine Milliarde geflossen sei. Dagegen stünden der amerikanische Marshallplan nach 1947 respektive die westdeutsche zwei-Billionen-Euro-Stütze für die neuen Bundesländer nach 1989. Es habe nun einmal kein „West-Russland“ gegeben – wobei Netschajew sich nicht sicher war, was vorzuziehen sei.

"Europa kann nicht ohne russisches Gas auskommen"

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