Brexit: Folgen für die russische Wirtschaft

Reuters
Großbritanniens Ausstieg aus der Europäischen Union könnte für die russische Wirtschaft eher Nachteile als Vorteile bringen. Experten erklären die wichtigsten Konsequenzen.

Ungeachtet der Meinung, Russland würde potenziell von einem Brexit profitieren, bedeutet der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union für die russische Wirtschaft wohl eher einen Nachteil denn Vorteil.

So prognostizieren Experten sinkende Ölpreise und eine Wertminderung russischer Unternehmen, die ihre Aktien an der Londoner Börse positioniert haben. Und den Plan, ein Aktienpaket der größten russischen Mineralölfirma Rosneft zu verkaufen, könnte die russische Regierung nun ganz aufschieben.

Allerdings kann auch mit einer Milderung der Sanktionen gerechnet werden, die von der Europäischen Union infolge der Ukraine-Krise gegen Russland eingeführt worden sind.

1. Verfall des Ölpreises

Nachdem das Ergebnis des Brexit-Referendums offiziell feststand, fiel der Ölpreis um mehr als sechs Prozent auf ein Tief von 47,77 US-Dollar (42,96 Euro). „Angesichts der Stagnation in den größten europäischen Volkswirtschaften, die auf die angeschlagenen europäischen Wirtschaftsbeziehungen und die Instabilität am Devisenmarkt zurückzuführen sind, rechnet der Markt mit einem wesentlichen Rückgang der Nachfrage nach Rohstoffen“, erklärt Finanzanalyst Timur Nigmatullin von GK Finam.  

Ein Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union würde zunächst zu einem Rückgang des Handels führen, wie Igor Kupalow, Berater des ständigen Vertreters Russlands bei den Vereinten Nationen, in einem Gespräch mit RBTH erklärt: „Derzeit unterliegt Großbritannien dem Handelsregime der EU. Verlässt das Land die EU, dann wird es ein neues, im Rahmen der Welthandelsorganisation definiertes Handelsreglement brauchen.“

Das benötigt Zeit, wie WTO-Sprecher Keith Rockwell in Genf betonte: „Sollte das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen, dann wird es nichts haben – keine Abkommen, keine Bestimmungen zu Tarifen oder Steuern.“

2. Firmenabzug von der Londoner Börse

Die größten russischen Unternehmen positionieren traditionell ihre Aktien am Londoner Aktienmarkt. „Nach dem Brexit wird sich eine Reihe an Unternehmen für einen Börsenabgang entscheiden“, glaubt Nigmatullin. Zu diesen Firmen könnte auch Rosneft gehören, das größte russische Mineralölunternehmen Russlands.

In diesem Jahr entschied die russische Regierung, etwa 19 Prozent des Rosneft-Aktienportfolios an der Börse zu verkaufen. Käufer orientieren sich jedoch immer am Börsenwert der Firma. Nun kann das Unternehmen entweder den Verkauf seiner Aktien aufschieben oder sich gänzlich von der Börse zurückziehen.

Der Wert russischer Firmen könnte mit dem Brexit um zehn Prozent fallen, sagte Herman Gref, Vorstandsvorsitzender der Sberbank, in einem Gespräch mit Bloomberg. Neben Rosneft plant die russische Regierung zudem, ein Aktienpaket des Diamanten-Produzenten Alrosa zu verkaufen. Auch dieses Unternehmen ist an der Londoner Börse notiert.

3. Verfall der Aktienindizes

Die Moskauer Börse eröffnete am Tag nach dem Brexit-Referendum mit niedrigen Kursen. Der wichtigste Aktienindex des russischen Marktes, der RTS-Index, ging um mehr als fünf Prozent zurück.

Schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses waren die Sberbank-Aktien um zehn Prozent gefallen. Und sie könnten noch um weitere zehn Prozent an Wert verlieren, wie Herman Gref gegenüber Bloomberg schätzt: „Im Laufe von zwei bis drei Wochen wird der Wert aller russischen Unternehmen um fünf bis zehn Prozent sinken.“ Aus diesem Grund, so Gref weiter, „gibt es in der russischen Regierung nicht einen, der den Ausstieg Großbritanniens aus der EU begrüßen würde“. Laut Gref ist Russland zudem daran interessiert, die Einheit der Europäischen Union im Sinne eines Handelspartners zu bewahren.

4. Milderung der EU-Sanktionen

Die einzige positive Folge des Brexits für die russische Wirtschaft könnte eine Lockerung der Sanktionen sein. Großbritannien hatte sich, ungeachtet der eher milderen Position einiger anderer Länder – vor allem Frankreichs und Italiens –, stets gegen eine Lockerung der Sanktionen ausgesprochen, die die EU 2014 aufgrund der Ukraine-Krise gegen Russland verhängt hatte.

Nach dem Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union könnten diese Sanktionen nun gelockert werden, das hofft zumindest Sergej Sobjanin, der Moskauer Bürgermeister. Auf Twitter schrieb er: „Ohne Großbritannien in der EU wird niemand mehr dazu motiviert sein, Sanktionen gegen Russland zu verhängen.“

Der britische Außenminister Philip Hammond appellierte jedoch bereits an die verbleibenden EU-Länder, die Sanktionen gegen Russland aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig räumte Hammond ein, dass der Brexit – theoretisch – eine Schwächung der Sanktionen bedeuten könnte. Doch selbst wenn die Sanktionen gelockert werden würden – eine Garantie, dass sich dies positiv auf die russische Wirtschaft auswirken würde, gibt es nicht.

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