Gas, Obst und Hotels: Fundament der russisch-türkischen Freundschaft

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Russland und die Türkei sind auf Versöhnungskurs. Das kommt nicht von ungefähr – die beiden Länder sind in mehreren Bereichen strategische Partner füreinander: von Erdgaslieferungen bis hin zum Tourismus und der Bauwirtschaft.

Russland und die Türkei stehen kurz vor einer Aussöhnung. Am Mittwoch telefonierte der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan – erstmals seit November 2015, als die Luftstreitkräfte der Türkei einen russischen Bomber vom Typ Su-24 an der türkisch-syrischen Grenze abschoss. Erst am Montag hatte sich der türkische Staatschef für den Abschuss des russischen Flugzeugs entschuldigt.

Nach Meinung von Experten stecken hinter der möglichen Aussöhnung zwischen Russland und der Türkei ganz triviale Gründe. Der Abbruch der Beziehungen hat beiden Ländern sehr geschadet: Nach dem Abschuss des Jets führte Moskau Sanktionen gegen die Türkei ein. „Die Türkei selbst beziffert ihre Verluste durch die Sanktionen auf neun Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das sind ungefähr 1,2 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts“, sagt Georgij Wastschenko, Leiter für Operationsmanagement auf dem russischen Fondsmarkt der Investmentgesellschaft Freedom Finance, in einem Gespräch mit RBTH.

Den größten Verlust habe mit mehr als 4,5 Milliarden Euro der Tourismus zu tragen. Auch die Textilexporteure verloren über eine Milliarde Euro pro Jahr. Nach russischen Einschätzungen ging der Warenumsatz infolge der Sanktionen sogar um mehr als zehn Milliarden Euro zurück, fügt der Experte hinzu.

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1. Die Türkei ist der weltweit zweitgrößte Verbraucher russischen Erdgases

Die Türkei ist nach Deutschland immer noch der zweitgrößte Absatzmarkt für Gazprom. 2015 lieferte der russische Erdgasmonopolist 26,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas an die Türkei, das entspricht 55 Prozent deren Bedarfs.

Darüber hinaus unterzeichneten Gazprom und das türkische Unternehmen Botaş im Dezember 2014 eine Absichtserklärung über den Bau einer zweiten Erdgaspipeline auf dem Grund des Schwarzen Meeres – des Turkish Stream – mit einer Kapazität von 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Nach dem Abbruch der Beziehungen zwischen Russland und der Türkei wurde dieses Projekt eingefroren. Die Türkei konnte jedoch keine alternativen Erdgaslieferanten finden und kaufte auch weiterhin Erdgas von Russland über die bereits bestehenden Pipelines.

Sollten sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder normalisieren, werde Gazprom den Dialog zum Turkish Stream wieder aufnehmen, hat das russische Unternehmen bereits versichert

2. Für die Sberbank ist die Türkei der wichtigste ausländische Markt

Das bedeutendste ausländische Anlagevermögen der größten Bank Russlands, des Staatsunternehmens Sberbank, befindet sich in der Türkei. Im Juni 2012 kaufte die Sberbank für 3,5 Milliarden US-Dollar die türkische Denizbank. Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet war diese Investition nicht gerade sehr erfolgreich: Seit diesem Zeitpunkt ist die Kapitalisierung der türkischen Bank permanent zurückgegangen. Im Juni dieses Jahres erreichte die Kapitalisierung der Denizbank 2,6 Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Euro).

Nach Angaben des russischen Wirtschaftsblatts „Wedomosti“ war die Sberbank am Ende sogar bereit, ihren ausländischen Aktivposten abzustoßen. Offiziell jedoch dementierte die Sberbank immer Gerüchte um den Verkauf der Denizbank: Noch immer macht sie ungefähr neun Prozent des Anlagevermögens der größten russischen Bank aus.

3. Russlands Reiseveranstalter brauchen die türkischen Ferienorte

Ungeachtet der Entwicklung des Binnentourismus konnten die russischen Reiseveranstalter keinen Ersatz für die türkischen Hotels finden. Die Zahl der Suchanfragen für Pauschalreisen sank im Mai 2016 um 15,5 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum, schrieb das russische Handelsblatt „Kommersant“ mit Verweis auf Daten des Verbands der russischen Reiseveranstalter. 

Darüber hinaus haben nach Angaben des Verbands 20 Prozent der verlorenen Kunden nach dem Wegfall der beliebten Urlaubsziele beschlossen, überhaupt nicht mehr ins Ausland zu reisen. „Wenn es zu einer Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit der Türkei kommen wird, kann man davon ausgehen, dass die Nachfrage der russischen Touristen nach Urlaubszielen in der Türkei recht schnell wieder steigen wird“, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. 

4. Die Türkei war der wichtigste Obst- und Gemüselieferant

Nach dem Abbruch der Beziehungen führte Russland ein Verbot auf die Einfuhr der wichtigsten Lebensmittel aus der Türkei ein. Lange Zeit war die Türkei der wichtigste Obst- und Gemüselieferant für Russland, allerdings fielen im Rahmen der inzwischen bereits sieben Monate andauernden russischen Sanktionen deren Lieferungen unter das Embargo.

Wie aus Angaben des russischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung hervorgeht, sank der Lebensmittelimport aus der Türkei in den ersten vier Monaten des Jahres im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 274,6 Millionen US-Dollar – das heißt faktisch auf null. Im Vergleich dazu entfielen vor der Einführung der Sanktionen auf die Türkei fast 53 Prozent des gesamten Tomatenimports nach Russland, wie die Zeitung „RBC“ feststellte. 

5. Türkisches Bauunternehmen sanierte das russische Parlament

Unternehmen aus der Türkei realisierten in Moskau einige der größten Bauprojekte. So sanierte zum Beispiel das Unternehmen Enka das Gebäude des russischen Parlaments, der Staatsduma, und die Firma Renaissance Construction baute in Sankt Petersburg ein Bürogebäude für Gazprom.

Nach Angaben der Zeitung „Kommersant“ erreichte der Gesamtumsatz türkischer Bauunternehmen in Russland zu diesem Zeitpunkt 50 Milliarden Rubel (773 Millionen US-Dollar) pro Jahr. Nach der Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern durften die türkischen Unternehmen lediglich die begonnenen Projekte fertigstellen.

„Die Rückkehr türkischer Bauunternehmen nach Russland erfolgt schrittweise, der Prozess wird mindestens mehrere Monate dauern“, schätzt der stellvertretende Generaldirektor von Finam Jaroslaw Kabakow.

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