In Russland hat der Konzern mehr Probleme mit den Verkaufsflächen als anderswo.
PhotoXpressIn Russland ist Ikea Spitzenreiter – jedenfalls bei der Anzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen. Am staatlichen Schiedsgericht laufen über 200 Klagen gegen den schwedischen Konzern. Insgesamt ist das Möbelhaus in mehr als 560 Gerichtsfälle involviert. Alle anderen Kaufhausketten in Russland zusammen kommen nicht einmal auf ein Zehntel dieser Zahl. Für den schwedischen Konzern ist klar: Mit der Klagewelle reagieren russische Behörden auf Ikeas Einstellung zur Korruption.
Lennart Dahlgren, ehemaliger Russland-Chef des Möbelriesen, veröffentlichte 2010 ein Buch mit dem aufschlussreichen Titel „Trotz der Absurdität. Wie ich Russland bezwungen habe – und Russland mich“. Darin berichtet der Top-Manager, welchen Preis der Konzern für seine Prinzipientreue unter dem Druck totaler Korruption in Russland zahlen musste. Viele Menschen, die dem Möbelgeschäft Steine in den Weg legten, nennt der Autor beim Namen – angefangen mit dem Bürgermeister von Chimki (einem Moskauer Vorort) bis zum Gouverneur der Moskauer Region. Das Buch war ein voller Erfolg.
Tatsächlich sind Marktakteure in Russland überzeugt, dass es schwierig ist, in der Geschäftswelt sauber zu bleiben – und verweisen dabei nur zu gern auf Ikeas Geschichte.
Der Anwalt von IKEA Sergei Kowbassjuk. Foto: IKEA in Russia / press-photoDa wäre zunächst die russische Kanzlei „Anwälte und Unternehmen“ zu nennen, die den schwedischen Konzern seit Jahren in zahlreichen Fällen vertritt – unter anderem in einer Sammelklage wegen Vergiftung in einem Ikea-Restaurant. Branchenkenner behaupten, dass das Mandat des Kanzlei-Inhabers, Sergei Kowbassjuk – einem sehr umstrittenen Anwalt – sich nicht auf den rechtlichen Beistand beschränkt: „Wenn ausländische Firmen die Spielregeln in Russland nicht kennen, beauftragen sie Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen oder Lobbyisten. Diesen wird die Lösung sehr sensibler Fragen anvertraut“, erklärt Ilja Schumanow, Vize-Direktor von Transparency International in Russland. Und dazu gehört in der Regel die Beziehungspflege zu Behörden und oft schlicht Korruption.
Nahezu alle Klagen richten sich gegen die Ikea-Tochter, die die Einkaufszentren des Möbelkonzerns baut. Statt Verkaufsflächen zu mieten, baut Ikea seine Märkte in allen Ländern der Welt selbst. In Russland aber hat der Konzern mehr Probleme als anderswo. Meist geht es dabei um Grundstücke mit einer schwierigen Vergangenheit. Ikea erhält oftmals Böden ehemaliger Kolchosen. „Diese Grundstücke haben eine verworrene und meist sehr lange Privatisierungsgeschichte hinter sich. Alle nötigen Unterlagen dafür sind nicht aufzutreiben“, erklärt Sergei Schumilow von der Rechtsberatung Infralex.
Das Grundstück von IKEA in Chimki. Foto: Ruslan Krivobok / RIA Novosti
Im Moskauer Vorort Chimki etwa pachtete Ikea die Gewerbeflächen zunächst und kaufte sie dann. 2012 meldete sich plötzlich der ehemalige Eigentümer, weil er angeblich erst bei einer Bilanzierung gemerkt hatte, dass die Grundstücke nicht mehr zu seinen Aktiva zählen. „Das würde ja bedeuten, dass die Bilanzierung mehrere Jahre lang nicht vorgenommen wurde – hat denn niemand mitbekommen, dass auf dem Grundstück massiv gebaut wird, worüber auch Medien und Behörden ausführlich berichteten? Das ist doch, vorsichtig formuliert, fragwürdig“, bemerkt der Wirtschaftsprüfer Maxim Gladkich-Rodionow.
2010 mussten der Ikea-Chef für Mittel- und Osteuropa, Per Kaufmann, und der Russland-Direktor der Immobiliensparte des Konzerns, Stefan Groß, im Zuge einer Korruptionsaffäre in Sankt Petersburg ihre Posten räumen. Bei einer internen Untersuchung stellte Ikea fest, dass ein Subunternehmer Behördenvertreter bestochen hatte. Die Beamten hatten sich bereit erklärt, ein gefälschtes Protokoll über die Abnahme von Elektroausrüstung in einem Ikea-Einkaufszentrum zu unterzeichnen, wobei das Bauvorhaben noch nicht einmal genehmigt war. Die Top-Manager wussten davon, haben die Straftat jedoch nicht verhindert.
Ikeas Rechtsberater mutmaßen, dass einflussreiche Beamte den schwedischen Konzern in die Knie zwingen wollen: „Es entsteht der Eindruck, dass man das Unternehmen davon überzeugen will, seine Geschäfte so zu betreiben wie alle anderen Unternehmen auch“, meint Wirtschaftsprüfer Maxim Gladkich-Radionow.Der russische Markt ist für den schwedischen Möbelkonzern ausgesprochen wichtig: Das Wachstum des Konzerns von elf Prozent im Jahr 2015 geht größtenteils auf die Zuwächse in Russland und China zurück. Es ist also davon auszugehen, dass das Unternehmen sich auch künftig rechtlichen Beistand holen muss.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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