Seit 1892 stellt das Metallwerk in Koltschugino (Gebiet Wladimir) Teeglashalter für die Russische Eisenbahngesellschaft her. Damals waren hier bereits Kupferblättchen hergestellt worden. Und als die Eisenbahn dann ausgebaut wurde und ihr Netz nach Osten hin wuchs, erhielt die Fabrik vom damaligen Verkehrsministerium ihre erste „Geschirr“-Bestellung.
Die Teeglashalter, die zuvor mit dem Samowar als Haushaltsgegenstand nach Russland gekommen waren, wurden nun standardisiert und aus Kupfer, Silber oder Messing hergestellt. Ihr breiter Fuß und relativ hohes Gewicht sorgten für einen sicheren Stand der Teeglashalter. Der Henkel wurde speziell so groß gestaltet, dass alle Finger einer Hand Platz in ihm finden. Und am Grund des Teeglashalters prangt das Emblem der Fabrik: ein Auerhahn. Daran können Sie ein Original aus Koltschugino von billigen Fälschungen unterscheiden.
Teechen mit Stalin
Vom einfachen Metallblattband von etwa 20 Zentimeter Breite bis zum fertigen Teeglashalter sind es mehr als 15 Produktionsschritte. Zunächst wird das aufgerollte Band der dünnen Metalllegierung in einer speziellen Presse zu kleinen Blättchen gestanzt. Außerdem werden dort die Konturen des späteren Fußes sowie der Rahmen für das Dekorbild gestanzt.
„Diese Rahmen - wie für ein Foto - heißen in der Fachsprache ‚Fenster‘. Die Bilder dafür werden dann auch in der Presse gestanzt.“
Viktor Gorjatschew, Leiter des Werks, erläutert Produktionsprozess und Besonderheiten der Motive. Besonders beliebt bei den Kunden seien Kirchenmotive oder Sehenswürdigkeiten wie die Basilius-Kathedrale mit Kremlturm, aber auch Wappen Russlands sowie der einstigen Sowjetunion. Eines der populärsten Teeglashalterbildern aber ist das Konterfei Josef Stalins. Im Monat werden hier 400 Stalin-Teeglashalter hergestellt:
„Dieser Alltagsgegenstand wird ja doch mehr mit der Sowjetzeit assoziiert, daher kommt sicher auch dieses Interesse.“
Putin-Porträts werden hier übrigens nicht auf Teeglashalter gedruckt, wie Gorjatschew erklärt:
„Für die Verwendung des Porträts des regierenden Staatschefs müssen sie eine lange Autorisierung durchlaufen. Hier geht es ja nicht um Souvenir-T-Shirts eines privaten Anbieters, sondern um die Produktion des offiziellen Lieferanten (u.a. der Russischen Eisenbahnen - Anm. d. Red.). Da gibt es schon Schwierigkeiten.“
Echtes Handwerk
Die Bilder werden mithilfe von schweren Druckstempeln in das Metallblatt gestanzt. Diese sind mit Kreise beschriftet, damit die Arbeiter schneller das richtige Motiv finden. In einer achtstündigen Schicht werden oft bis zu 3000 Metallblätter her gestellt. Aber das Stanzen eines bestimmten Motivs dauert oft einen ganzen Monat.
Diese schwierige und filigrane Arbeit macht in der Fabrik schon über 40 Jahre der Gravierer Anatolij Aljoschin.
„Früher war das reine Handarbeit. Da haben wir die Konturen auf seine Metallplatte aufgetragen und dann auf das Legierungsmaterial übertragen. Dann wurde alles aus dem Metall ausgeschnitten und ein Hintergrund und Farben ausgesucht. Heute funktioniert die Übertragung des Bildes per Computer. Aber am Ende müssen wir diese Stempel trotzdem noch per Hand korrigieren, damit der Abdruck dann deutlicher wird.“
Aljoschin baut seine Arbeitsmittel selbst und kreiert immer neue Motive für die Teeglashalter. Oft lässt er sich dabei von Gemälden berühmter russischer Maler inspirieren: „Die drei Ritter“ von Viktor Wasnezow, zum Beispiel. Für die Teeglashalter müssen die Bilder dann jedoch noch angepasst werden.
„Metall ist Metall. Wir behalten dann die Szene bei, die auch erkennbar sein soll, verändern aber Details. Beispielsweise vergrößern wir besonders kleine, aber wichtige Einzelheiten und die Gesichter der Menschen, damit sie auch zu erkennen sind und das Bild leichter wiedererkannt wird. Manchmal bekommen wir auch von den Kunden fertige Wunschmotive, die einen manchmal verrückt machen können. Ohne Handarbeit wirkt am Ende alles so unlebendig. Das ist nicht interessant.“
Eine Wanne voll Gold
Nach dem Aufdruck der Motive werden die Metallblättchen zu einem Zylinder eingedreht und verschweißt. Dann bekommen sie ihren Grund. Der Henkel wird aus Draht hergestellt, ebenfalls verziert und erst am Ende am Teeglashalter-Zylinder befestigt.
Dann erwartet den künftigen „Reisebegleiter“ eine Schönheitskur: Polieren und Lackieren. Das kann entweder in einer speziellen „Silberwanne“ geschehen, wo die Halter dann, aufgereiht an einer „Leine“, eingetaucht werden. Danach können sie optional auch noch vergoldet werden.
In aufwendiger Handarbeit werden die Stellen nachlackiert, die noch unberührt sind. Und dann kommen die Halter in eine extra „Gold-Wanne“. Nach mehreren Wendungen darin und das wohl berühmteste Transsib-Souvenir ist fertig.
Zu kaufen gibt es die Teeglashalter mittlerweile übrigens auch direkt in den Zügen der Russischen Eisenbahnen. Außerdem erhalten Sie sie in den firmeneigenen Geschäften „Koltschuginskij Melchior“ in Wladimir und Jekaterinburg sowie unzähligen Souvenirläden des Landes. Abhängig vom Material kostet ein Teeglashalter oft zwischen 700 und 7000 Rubel (umgerechnet 10 bis 100 Euro).
Gorjatschew erinnert sich:
„In jeder Region Russlands sind andere Motive beliebt. Als es in Russland kein günstiges Porzellan gab, haben meine Eltern Tee aus Teegläsern mit Teeglashaltern aus Koltschugino getrunken. Für mich gehörte das zu unserer Geschichte und war Teil unserer Familie. Für andere Leute ist es oft ein Symbol für Russland - wie die Matrjoschka oder roter Kaviar. Ich denke, darum kaufen sie sie auch heute noch so gern.“