Wie russisches Flüssiggas auf Tankern über das Nordpolarmeer transportiert wird – eine Reportage

Alexander Ryumin/TASS
Rund 30 Frauen und Männer bringen 172 000 Kubikmeter Flüssiggas auf einem Tanker nach Europa. Eine Reise, die sich über hunderte Kilometer von Eis und Schnee erstreckt und kaum als Vergnügungsspaziergang bezeichnet werden kann.

An einem frostigen Winterabend traf ich auf der Halbinsel Jamal ein, um eine Kreuzfahrt durch das Eis des Nordpolarmeeres auf einem der weltgrößten Gastanker der staatlichen Reederei Sovkomflot, „Christophe de Margerie“ anzutreten.

Das Schiff nahm in seinen scheinbar bodenlosen Tanks verflüssigtes Gas aus der Jamal-Verarbeitungsanlage mit, die vor ein paar Jahren an der Mündung des Ob im Dorf Sabetta entstanden war. Die vom Schneesturm umwehte Gangway scheint beim Begehen nicht enden zu wollen. Man musste, gebeugt und von Windstößen umgeben, auf eine Höhe eines dritten Stockwerks hinaufsteigen.

An Bord warteten mehrere breitschultrige Wachmänner, die warme rote und blaue Overalls sowie über den Kopf gezogene Kapuzen trugen, hinter denen es schwer fiel, ihre Gesichter zu erkennen. Die kleinste Person von ihnen streckte mir eine offensichtlich weibliche Hand in einem Handschuh entgegen und sagte mit leiser Stimme: „Ich bringe Sie zum Kapitän.“ Ich eilte der Frau nach, die zusammen mit drei weiteren Frauen auf dem Tanker arbeitete, der die Reise zu den norwegischen Küsten mit fast zweihunderttausend Tonnen Gas für Europa antreten sollte.

Eine Woche später

Ich verbrachte meinen siebten Abend in der Kabine und bewunderte die blauschwarze Polarnacht durch das Fenster des Bullauges. Im Hintergrund brummte der Dieselmotor.

Es ist schwer, denjenigen, die noch nie in der Arktis gearbeitet haben, zu erklären, was „richtig harte Arbeit“ ist. Dabei geht es nicht einmal um die bitterkalten Winter und Temperaturen unter 40 Grad Celsius. Oder um 24-Stunden-Schiffswachten, bei denen man nur drei Stunden Schlaf bekommt, von hundert Blinkgeräten auf der Brücke umgeben ist und nur mit Hilfe von Ortungsgeräten das Schiff vorwärts navigiert - durch das schwarze Gemisch aus Wasser und Himmel, während man nicht einmal die Sterne sieht und parallel jede zehnte bis fünfzehnte Meile im Logbuch markieren muss.

Nein, das Schwerste an dem Job ist die Verantwortung für den Tanker, die Besatzung sowie die wertvolle und explosive Ladung. Diese muss an Bord in Empfang genommen und in der - vom Wetter abhängigen - vereinbarten Zeit von „A“ nach „B“ gebracht werden. Zeitgleich muss man ein Auge darauf haben, dass weder die Besatzung noch die Maschinen versagen oder Fehler machen. Auch wenn man selbst mit der Crew verschiedene Kurse und Schulungen durchlief und über Steuerungserfahrung von Schiffen unter schwierigen arktischen Bedingungen verfügt, ist all das nicht mit dem vergleichbar, was bei dieser Fahrt auf einen zukommt. Zudem wiegt die Verantwortung durch die Ehre, der Pionier eines Tankers zu sein, der für den ganzjährigen Transport von Flüssiggas in der Arktis ausgesucht wurde, um einiges schwerer.

Unser Schiff und unsere Abenteuer auf vereister See

Der Gasfrachter „Christophe de Margerie““ ist der erste in der Reihe von fünfzehn Schiffen dieser Art; insgesamt zehn davon sind bereits auf dem Nördlichen Seeweg unterwegs. Er wurde von Spezialisten von Sowkomflot, Jamal SPG und Total mit Hilfe russischer und finnischer Institute sowie in Zusammenarbeit mit Schiffsbauern konstruiert. „Christophe de Margerie“ ist in der Lage, sich hervorragend durch vereiste Gewässer zu bewegen, da seine Motoren mit den Motoren eines Atomeisbrechers vergleichbar sind. Gleichzeitig kann der Frachter das Eis nicht nur auf herkömmliche Weise mit Hilfe des eigenen Gewichts zermalmen, sondern auch mittels dreier Azipodschrauben, die es ihm sowohl ermöglichen, sich hin und her zu bewegen, als auch sich auf der Stelle umzudrehen.

Um zu verstehen, wie Azipods funktionieren, muss man sich einen Tischventilator vorstellen, der sich kopfüber um 360 Grad dreht. Es wird behauptet, dieser Tanker könne so viel Flüssiggas in seinen vier Tanks transportieren, dass er beispielsweise innerhalb von einem Monat ganz Schweden beliefern könnte. Das Gas selbst wird auf der Jamal-Halbinsel gewonnen, wird am Ufer des Golfs in der Jamal-SPG-Anlage verflüssigt und in die Länder transportiert, in denen es benötigt wird.

Eine Fahrt in der Ob-Mündung ist für solche Schiffe daher eine besondere Angelegenheit. Denn während sie am Kai des Dorfes Sabetta, wo sich die SPG-Anlage befindet, noch relativ leicht wenden können, kann die Kara-See nur durch einen künstlichen, 50 Kilometer langen, 300 Meter breiten und 14 Meter tiefen Kanal erreicht werden. Die Fracht misst indessen 12 Meter, die Breite des Tankers 50 Meter.

Zeitgleich ist das Eis auf dem Kanal nicht immer an beiden Flussufern festgefroren. Sehr oft driftet es in separaten Abschnitten oder mischt sich mit klarem Wasser und kann während eines Hurrikans jedes Schiff, das sich mit minimaler Geschwindigkeit bewegt, über die Kanalgrenzen hinaustreiben und auf Grund laufen lassen.

Der Kapitän darf keine Fehler machen. Er arbeitet nicht mehr an einem Simulator, wo ein erfolgloses Manöver durch einem neuen Versuch korrigiert werden kann; hinter seinem Rücken befindet sich ein riesiger Tanker, der fast so groß wie ein zehnstöckiges Haus ist und 172 Tausend Kubikmeter Flüssiggas zu einem Preis von 310 Euro pro Kubikmeter, also im Wert von insgesamt 55 Millionen, transportiert. Darüber hinaus ist er für ein 290 Millionen teures Schiff, 30 Crewmitglieder sowie das Ansehen des Unternehmens und seines Landes verantwortlich. Das ist harte Arbeit.

>>> Wird Russland seine Position als führender Energieexporteur halten können?

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!