Kameraüberwachung: Big Brothers neugierige Blicke in Moskau

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Die ganze Stadt wird durch Videokameras überwacht. Angeblich zur Sicherheit der Moskowiter. Stimmt das?

An einem Sonntagabend Ende Januar 2019 geht ein unscheinbarer blonder Mann durch die Tretjakow-Galerie in Moskau. Er betrachtet ein Bild, nimmt es dann von der Wand und spaziert seelenruhig an dutzenden Besuchern vorbei aus dem Gebäude. Niemand nimmt Notiz von ihm. Man hält ihn für einen Museumsmitarbeiter. 

Eine Stunde später stürmt die Polizei eine kleine Wohnung in einem Moskauer Vorort. Nach einer Weile sieht man in einer Kameraaufnahme einen knieenden Mann. Im schmuddeligen Flur entdecken die Polizisten ein Bild mit einer Berglandschaft, eingewickelt in eine alte Jacke. 

So wurde der Hauptverdächtige in einem der spektakulärsten Kunstraube in diesem Jahr festgenommen, bei dem Archip Kuindschis Werk „Ai-Petri”, das rund 175.000 Euro wert ist, gestohlen wurde. Der Kurator des Museums wurde nach dem Vorfall entlassen, das Sicherheitssystem überarbeitet und der Täter vor Gericht gestellt. Das Bild kehrte in die Tretjakow-Galerie zurück. Ende gut, alles gut.

Aber das ist nicht das Ende. Tatsache ist, dass der Dieb wohl nie geschnappt worden wäre, wenn er nicht ins Visier einer der 170.000 Überwachungskameras geraten wäre, die im Rahmen des Programms „Sichere Stadt” in ganz Moskau installiert wurden. In diesem Jahr sollen 105.000 Kameras zusätzlich mit einer neuen Gesichtserkennungstechnologie ausgestattet werden (rus)

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Verbrechensbekämpfung 

Die Kameras finden sich in Hinterhöfen, Eingangsbereichen, Schulen, Kliniken und an anderen öffentlichen Orten. Die Kameraaufnahmen spielen bei den Ermittlungen von rund 70 Prozent der Straftaten eine Rolle, erklärte Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin im russischen sozialen Netzwerk VKontakte.

Neben einfachen Kameras gibt es ein separates System mit Gesichtserkennung. Die ersten Kameras dieser Art wurden bereits 2017 installiert. Im März 2018 wurden sie in der U-Bahn getestet. In diesem Jahr wurden bereits 1.500 Kameras mit Gesichtserkennung aufgerüstet. 

In den letzten zwei Jahren konnten mit Hilfe der Aufzeichnungen rund 300 Kriminelle gefasst werden, berichtet (rus) die Zeitung „Wedomosti”, davon 152 bei Veranstaltungen, 39 durch  Außenkameras in der Stadt und 90 durch die Aufnahmen von Kameras in den Eingangsbereichen von Wohngebäuden. Der Ausbau des Videoüberwachungssystems zielt jedoch nicht nur auf weniger Kriminalität ab, sagt Sobjanin. 

Stauvermeidung durch Überwachung und Datensammeln

Auch die Straßen sind mit Kameras gesäumt, um den Verkehr zu überwachen. So können Verstöße gegen das Tempolimit oder Falschparken geahndet werden. Sobjanin erklärte in den sozialen Netzwerken, dass dies einen Beitrag zur Reduzierung von Verkehrsverstößen leiste.

Die Moskauer Stadtregierung sammelt jedoch auch die Daten von Mobilfunkbetreibern. Tele2 liefert den Behörden auf Anfrage alle gewünschten Auskünfte. So können Bewegungsprofile der Bevölkerung erstellt werden. „Dadurch können die Behörden das „Smart City”-Konzept, das  Parkplätze, öffentliche Verkehrswege, Haltestellen usw. umfasst, besser planen, erklärte die Pressestelle von Tele2. Ein Sprecher des Mobilfunkbetreibers MegaFon, sagt, dass diese Informationen bei der Planung für neue Straßen und Kreuzungen genutzt werden. 

Doch das ist nicht alles. Die Moskauer Behörden und Unternehmen nutzen auch die Daten von öffentlichen Netzwerken im Nahverkehr. Der Wi-Fi-Anbieter Maxima Telecom, verwendet diese Daten, um die Moskauer zum Beispiel über Änderungen im U-Bahn-Fahrplan zu informieren.

Rabattinformationen nach dem Besuch im Café 

Stellen Sie sich vor, Sie sind eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit und gehen in den ersten Coffeeshop, den Sie sehen. Sie trinken eine Tasse Kaffee, zahlen und gehen weiter ins Büro. In den nächsten Tagen fahren Sie nicht dorthin. Eines schönen Tages blättern Sie in Ihrem  Instagram-Newsfeed und unter den Katzenbildern und Aufnahmen von Blumen steht eine Anzeige für das Café, das Sie schon fast vergessen hatten. Nicht irgendeine alte Anzeige, sondern eine für eine Rabattaktion und einen kostenlosen Donut. Klingt verlockend.

So in etwa funktioniert das MT_box-System. Es wurde von Maxima Telecom entwickelt und ermöglicht es KMU, Werbung für Benutzer zu schalten, die einmal an ihrem Standort vorbeigekommen sind. Darüber hinaus wird solche Werbung nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auf nahezu jeder Website angezeigt, wenn der Benutzer in der U-Bahn eine Verbindung zum kostenlosem WLAN herstellt. Artjom Pulikow, Geschäftsführer von Maxima Telecom Internet, berichtete (rus) „Rusbase”, dass einer der Kunden, das Unternehmen Benetton, auf diese Weise 17.000 mehr Kunden in drei Moskauer Geschäfte locken konnte (in welchem Zeitraum ist nicht bekannt). 

Die persönlichen Daten sind (weitgehend) sicher 

Nichtsdestotrotz wird die IT-Infrastruktur im Moskauer Personenverkehr zunehmend zu einem wichtigen Ziel für Hacker. Im Oktober 2015 erhielten mehrere Passagiere eine unhöfliche Nachricht, in der erklärt wurde, was sie mit ihren iPhones und Android-Geräten tun sollten. 

Im April 2018 entdeckte der Programmierer Wladimir Serow eine Sicherheitslücke, die es ihm ermöglichte, in der Moskauer U-Bahn ein „digitales Porträt“ von Internetnutzern zu sehen. Das Porträt bestand aus Telefonnummer, ungefährem Alter, Geschlecht, Familienstand und dem möglichen Arbeits- und Wohnort. Maxima Telecom hat die Telefonnummern und andere Informationen sofort verschlüsselt und auf die Serverseite verschoben. 

Alle Betreiber erklären, keine persönlichen Daten zu erheben. Maria Polikanowa, Leiterin des Strategieausschusses der Big Data Association, bestätigt das. Sie sagt, dass selbst eine große Menge anonymer Daten keine Rückschlüsse auf die Identität einer Person oder persönliche Informationen ermögliche. Nach russischem Recht dürfen die personenbezogenen Daten ohne ausdrückliche Zustimmung nicht an Dritte weitergegeben werden.

Das Moskauer Videoüberwachungssystem sei ebenfalls sicher, sagt Juri Namestnikow, Leiter der russischen Forschungseinheit bei Kaspersky Lab. „Die Technologie funktioniert im Wesentlichen nach folgendem Prinzip: Die Kamera erfasst das Gesicht einer Person, liefert aber kein Foto, sondern lediglich einen Datensatz, der diese Person definiert, an den Server. Dieser Datensatz wird mit anderen Datensätzen verglichen, die aus der Analyse von Fotos, beispielsweise Fahndungsfotos, stammen“, erklärt er. 

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