Por-Baschyn: Wie eine Sonneneruption half, das Rätsel um eine sibirische Festung zu lösen

Andrej Panin/Russische Geographische Gesellschaft
Das größte Mysterium von Por-Baschyn war die Frage, warum es überhaupt keine Spuren ihrer Nutzung gab. Mehr als 120 Jahre nach Beginn ihrer Erforschung haben Wissenschaftler herausgefunden, warum - mit Hilfe einer Sonneneruption.

Für die meisten Menschen begann die Geschichte der Festung Por-Baschyn (tuwinisch für „Lehmhaus“) vor 131 Jahren. Auf einer malerischen Insel im Tere-Khol-See, in einer der abgelegensten Gegenden der Republik Tuwa nahe der mongolischen Grenze, entdeckte der Ethnograph Dmitri Klementz eine alte Festung. Was er sah, war in vielerlei Hinsicht eine Sensation. 

Die Ruinen waren ein klares Rechteck mit einem Labyrinth von Straßen. Das Gebilde ähnelte einem buddhistischen oder hinduistischen Mandala und war anders als alles, was in der Republik je gefunden wurde. 

Der Bereich vor der Ostwand sah aus wie ein Platz vor einem Palastgebäude, auf dem rituelle Zeremonien abgehalten wurden. Im hinteren Teil des Platzes befand sich einst ein prächtiger Palastkomplex. Davon sind bis zu zehn Meter hohe Mauern sowie das Fundament und Unterbauten von Säulen erhalten geblieben. 

Die alte Festung sah aus, als wären ihre Bewohner einfach verschwunden und hätten kaum Spuren ihrer Existenz hinterlassen. Was geschah mit den Bewohnern von Por-Baschyn? Wer hat diese für diese Gegend untypische Festung gebaut? Die Wissenschaftler hatten viele Fragen.

Märchenhafte Festung

Das Bild einer geheimnisvollen Festung inmitten eines Sees taucht in verschiedenen Variationen immer wieder in mündlichen Überlieferungen des tuwinischen Volkes auf. Die Einheimischen halten den See und die Festung für heilig und glauben, dass ein blaues Stierwesen namens Meender in den Gewässern des Sees lebt: Es kommt nachts an Land und frisst die Ängste der Menschen. Eine andere Legende besagt, dass das Grab von Dschingis Khan auf dieser Insel versteckt ist. Einige glaubten, es sei der Eingang zu Shambhala, einem mythischen Land in Tibet, nach dem die Sowjets ernsthaft gesucht hatten.

Dmitri Alexandrowitsch Klementz.

Wie auch immer, die von dem Ethnographen entdeckte Festung war ein erstaunliches Artefakt, und 1957 begab sich eine archäologische Expedition, geleitet von dem Ethnologen Professor Sewian Wainstein, auf die Insel.

„Ich habe von 1957 bis 1963 an Ausgrabungen teilgenommen. Man konnte nur mit einem kleinen Flugzeug oder auf dem Pferd dorthin gelangen. <...> Wir - drei Archäologen und 15 Arbeiter - lebten auf der Insel mitten im See in Zelten, arbeiteten, angelten und verscheuchten Mücken“, erinnert sich Wainstein. Sie zählten hinter den Festungsmauern auf der Insel 27 Wohnhäuser mit Innenhöfen, und als sie einen der Hügel ausgruben, stießen sie auf die Ruinen eines Palastes. Sein Dach war mit Tonziegeln gedeckt, er wurde von 36 Holzsäulen getragen. Dort fanden die Forscher auch ornamentale Fresken in geometrischen Formen, die in überraschend hellen, warmen Farben wie Rot, Orange und Gelb gemalt waren. An manchen Stellen waren Spuren eines Holzbodens erhalten geblieben. 

„Wir hielten die Überreste von Waffen, Gefäßen, Rohlingen und einer anthropomorphen Figur aus Ton in unseren Händen. Es gab nicht viele Funde, da der Palast bei einem Brand vor mehr als tausend Jahren zerstört wurde. Es ist nicht bekannt, was mit den Bewohnern von Por-Baschyn geschah - wir haben keine menschlichen Überreste gefunden. Wahrscheinlich sind sie geflohen“, sagte Wainstein. 

Erklärungsansätze 

Nach dieser Expedition in den 1950er und 1960er Jahren kamen noch mehr Fragen auf. Lange Zeit konnten die Forscher von Por-Baschyn nicht verstehen, was für eine Anlage sie vor sich hatten. Es gab mehrere Auffassungen dazu. 

Der Archäologe Wainstein glaubte, dass die Festung und der Palast von dem uigurischen Khagan Bayan-Chor (Khan des alten Turkstaates, der von 713 bis 759 lebte) erbaut wurden. 

Einer anderen Erklärung zufolge war die Festung ein Wachposten an der Großen Seidenstraße von China nach Europa (dabei wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass die Festung isoliert auf einer Insel inmitten eines Sees lag). Nach einer weiteren Version lebten dort Räuber, die Kaufleute überfielen, und so soll die Legende von den Schätzen entstanden sein, die in den Kellern der Festung versteckt waren. 

Die am weitesten verbreitete Annahme scheint jedoch zu sein, dass wir es mit den Überresten eines Klosters zu tun haben. Die Geschichte des Buddhismus ist eng mit Zentralasien verbunden, durch das ein Band zwischen Indien, dem Geburtsort des Buddhismus, und China, wo der Buddhismus im frühen Mittelalter weit verbreitet war, bestand. „Und was ich auf den Fotos von Por-Baschyn gesehen habe, ähnelt sehr stark dem Grundriss buddhistischer Klöster, die wahrscheinlich im 7. bis 8. Jahrhundert nach Christus in Zentralasien entstanden und weit verbreitet waren“, meinte Tigran Mkrtitschew, stellvertretender Generaldirektor für wissenschaftliche Arbeit am Staatlichen Museum des Ostens, im Jahr 2007.

Andererseits schloss Mkrtitschew nicht aus, dass es sich um ein Kloster einer anderen altorientalischen Religion handelte - des Manichäismus. Diese Religion, die im dritten Jahrhundert in Mesopotamien entstand, durchdrang das uigurische Kaganat über mehrere Jahrhunderte. „Im Vergleich zu buddhistischen Klöstern, die bei uns gut erforscht sind, wissen wir sehr wenig über manichäische Klöster“, so Mkrtitschew

Das 'Miyake-Ereignis' und eine überraschende Entdeckung

Die Geheimnisse der Festung wurden im Rahmen einer neuen Expedition in den Jahren 2007–2008, die auf der Insel umfangreiche Ausgrabungen durchführte, erneut aufgegriffen. Die Archäologen entdeckten dabei eine interessante Tatsache: Die Festung wurde nach ihrer Erbauung überhaupt nicht genutzt. Dies erklärt, warum die so genannte Kulturschicht innerhalb der Festung sehr arm war. Damit war man der Frage jedoch immer noch nicht näher, was genau Por-Baschyn war, wann es gebaut wurde und warum die Festung ungenutzt blieb.

Im neuen Jahrtausend standen weitere wissenschaftliche Möglichkeiten zur Verfügung: die Radiokarbonanalyse und das Wissen um das „Miyake-Ereignis“. Im Jahr 2012 veröffentlichte die Zeitschrift „Nature“ einen Artikel japanischer Wissenschaftler, die die Ringe einer 1800 Jahre alten Zeder datierten und einen Anstieg des Radiokohlenstoffgehalts in der Atmosphäre im Jahr 775 feststellten. Die Erhöhung stand im Zusammenhang mit einer anomalen Sonneneruption und schlug sich auf der zellulären Ebene nieder. Das Phänomen wurde als „Miyake-Ereignis“ (nach dem ersten Autor des Artikels) benannt und von da an bei Ausgrabungen zur Datierung verwendet. 

Das beschloss auch das russische Forschungsteam zu tun. Im Jahr 2018 wandte es sich an eines der weltweit wichtigsten Labore für Radiokohlenstoffanalysen, das sich in der Universität Groningen in den Niederlanden befindet. 

„Wir schickten drei Lärchenstämme aus den Mauern von Por Baschyn nach Groningen. Ein Exemplar mit gut erhaltener Rinde wurde für die Untersuchung ausgewählt, und darin, im dritten Ring der Rinde, das „Miyake-Ereignis“ gefunden. Und die Untersuchung des jüngsten Ringes auf zellulärer Ebene ermöglichte es Dendrochronologen aus Groningen, festzustellen, dass der Baum im Sommer gefällt worden war. Damit wurde nicht nur das Jahr, sondern auch die Jahreszeit des Baubeginns festgelegt - der Sommer 777“, erklärte Andrei Panin, stellvertretender Direktor des Instituts für Geographie an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Nach Angaben der Archäologen dauerten die Bauarbeiten zwei Sommer lang. Zu dieser Zeit war ein Herrscher an der Macht, der eine äußerst schmerzhafte religiöse Reform durchführte - die Annahme des Manichäismus. Im Jahr 779 kam es in Kagan jedoch zu einem antimanichäischen Putsch: Der Herrscher wurde ermordet, und seine Neuerungen wurden abgeschafft. Und diese Tatsache war der Schlüssel für die Lösung des Rätsels. 

„Einem Komplex von Daten zufolge wurde vermutet, dass die Anlage nicht, wie bisher angenommen, der Verteidigung, sondern einem Kult diente: Es war ein manichäisches Kloster. Wenn das Kloster vor dem Umsturz gebaut wurde, hatten die vorherigen Machthaber einfach keine Zeit, es zu nutzen, und die neuen brauchten es nicht mehr - das erklärt das größte Geheimnis von Por-Baschyn, nämlich das Fehlen von Spuren seiner Nutzung", - erklärt Andrej Panin.

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