Wie russische Tauchboote James Cameron beim Film „Titanic“ halfen

Wissen und Technik
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
1995 gab es nur zwei Tauchboote, die sicher auf den Grund des Ozeans hinabtauchen konnten, und die hatten die Russen.

Im Jahr 1996 erschien James Camerons berühmt gewordener Film Titanic auf der Leinwand. Der damals rekordverdächtige 200-Millionen-Dollar-Streifen spielte seine Produktionskosten in nur 25 Tagen ein. Doch vor dem Oscar und dem Triumph war es noch ganz anders: Die Produzenten nannten Cameron einen Verrückten, weil er das damals Unmögliche wollte – eine detailgetreue Wiedergabe der realistischen Kostüme und der Inneneinrichtung des gesunkenen Schiffes auf der Leinwand.

Cameron verlangte einen Tauchgang in das Wrack der Titanic. Und die einzigen, die dabei helfen konnten, waren die Russen.

Flug nach Russland

1992 sah sich Cameron den Dokumentarfilm Titanica von Stephen Low an. Darin wurden echte Aufnahmen des Wracks in 3.800 m Tiefe im Atlantik gezeigt, die während des Tauchgangs der russischen Bathyskaphen Mir-1 und Mir-2 gemacht worden waren. Sie waren damals die besten in einer Reihe von Tiefsee-Tauchbooten, was auch vom United States Centre for Technology Development anerkannt wurde. Also besuchte der Regisseur die russischen Wissenschaftler.

Er flog nach Kaliningrad, dem Heimathafen des Forschungsschiffs Akademik Keldysch, das die Mirs transportierte. Der Plan erforderte eine sehr gründliche Vorbereitung und natürlich enorme Ressourcen.

„Es dauerte zwei Jahre bis zur Entscheidung. Das lag natürlich auch an unserer Kommunikation, denn wir haben Faxe ausgetauscht, E-Mails gab es damals noch nicht“, erinnert sich der russische Wissenschaftler Anatolij Sagalewitsch. Er und seine Kollegen waren es, die seinerzeit mit den Mirs zur Titanic hinuntergetaucht waren, um für Stephen Low zu filmen.

Die Aufgabe war sehr ehrgeizig, denn Cameron wollte nicht nur die echten Innenräume der Titanic dokumentieren, sondern diese Aufnahmen auch in den Film einbauen. Es stellte sich heraus, dass die Studioausrüstung dafür nicht geeignet war.

„Er wollte Stereomaterial – zwei Kameras in einem Gehäuse, und sie durften deshalb nur halb so breit sein. Er fragte bei Sony an. Sie sagten, sie könnten das machen, aber dafür müsse man nicht 250.000 US-Dollar für jede Kamera ausgeben, sondern 1 Million US-Dollar. Cameron sagte: Ja, ich bin bereit zu zahlen“, erzählte der Hydronaut Jewgenij Tschernjajew, der mit Cameron zusammenarbeitete.

Roboter mit Lampen

Die Akademik Keldysch war 20 Tage lang mit den Bathyscaphen in der Untergangszone der Titanic unterwegs. In dieser Zeit unternahmen Cameron und die Besatzung mehr als 20 Tauchgänge.

„Wenn es für mich ein großes Abenteuer war, so war es für Anatolij und seine Crew ein ganz normaler Job: Schaffen wir das Unmögliche vor dem Abendessen“, schrieb der Regisseur in seinem Buch Exploring the Deep. Den russischen Wissenschaftlern zufolge war er ein hervorragender Taucher und lernte schnell.

„Der Druck beträgt 500 Atmosphären, das heißt, auf das Fenster wirkt eine Kraft von mehr als 160 Tonnen, was dem Gewicht von vier Panzern entspricht“, so Sagalewitsch über die Bedingungen, unter denen die Bathyskaphen getaucht sind.

Der Film in der Kassette reichte nur für 20 Minuten – bei einem Tauchgang. Die Kamera befand sich außer Bord in einem speziellen Hydraulikgehäuse. Die Mirs waren mit kleinen ferngesteuerten Modulen ausgestattet, die in das Innere der Titanic gelangen konnten. Diese kleinen ferngesteuerten Roboter durchsuchten das gesamte Schiff – die überwucherten Salons, Decks, Kabinen, und bewegten sich an den Seiten entlang.

„Wir drangen in jeden Raum auf der Titanic, in dem wir mit den Geräten hineingelangen konnten, wir gingen in die Kabinen, sahen die Kojen, die Waschbecken, die Spiegel; wir wussten, wer welche Kabine bewohnte, und wir fanden ihre Kleidung, ihre persönlichen Gegenstände. Wir haben sogar den Laderaum besichtigt und die Ladung inspiziert“, so der Regisseur.

Und damit die Tiefseeaufnahmen überhaupt einen Sinn ergaben, statteten die Spezialisten die Geräte mit Quecksilber-Halogenid-Jod-Lampen aus, von der jede eine Leistung von 1.200-Watt hatte.

Einige der Unterwasseraufnahmen fanden Eingang in den Film, aber die meisten wurden als Dokumentationsmaterial für die Gestaltung der Grundrisse und Innenräume der Titanic verwendet.

Die offizielle Premiere fand 1997 in Los Angeles statt. In Folge drehte der Regisseur vier weitere Filme mit den russischen Wissenschaftlern: die Dokumentarfilme Ghost of the Abyss: Titanic (2001), Expedition „Bismarck“ (2002) in einer noch größerer Tiefe von 4.700 Meter, Last Secrets of the Titanic (2005) und der populärwissenschaftliche Streifen Strangers from the Abyss.

Wohin sind die Mir-Bathyscaphen noch getaucht?

Die maximale Tiefe, in die die Mirs abtauchen können, beträgt 6.000 m. Es wird angenommen, dass sie Tiefen erreichen können, die 98,5 % des gesamten Grundes der Weltmeere ausmachen. Die Bathyscaphen wurden für die wissenschaftliche Forschung und für Suchaktionen gebaut.

Der erste Tauchgang fand 1987 statt, und seither haben die Mirs alleine innerhalb von nur vier Jahren 35 wissenschaftliche Expeditionen unternommen.

Neben den Tiefen des Ozeans erforschten sie auch den Grund des Baikalsees, des tiefsten Sees der Erde. Im August 2009 wagten die Mirs einen Tauchgang auf den Grund des Baikalsees, darunter auch mit Wladimir Putin an Bord.

In den Nullerjahren wurden sie zur Untersuchung des gesunkenen U-Boots Kursk in der Barentssee eingesetzt. Sie suchten auch nach einem gesunkenen japanischen U-Boot mit einer Ladung Gold an Bord und erforschten den Meeresgrund an der Stelle, wo das Schlachtschiff Bismarck während des Zweiten Weltkriegs gesunken war.

Im Jahr 2007 waren die russischen Mirs die ersten der Welt, die auf den Grund des Arktischen Ozeans auf eine Tiefe von 4.300 m abgetaucht sind. Die Besatzung nahm Bodenproben und hinterließ dort eine russische Flagge aus Titan.

Die Tauchboote sind immer noch in Kaliningrad stationiert, nehmen aber nicht mehr an Expeditionen und Rettungsaktionen teil. Die Mir-1 ist jetzt ein Ausstellungsstück im Weltozeanmuseum (obwohl sie sich in einem gebrauchsfähigen Zustand befindet und bei Bedarf an Bord der Keldysch zurückgebracht werden kann). Die Mir-2 verstaubt in einem Hangar des Instituts für Ozeanologie der Russischen Akademie der Wissenschaften.