Russische Stammzellenforschung: Einst Militärgeheimnis, heute Innovationsmotor

In Russland wurde die Stammzellenforschung zuerst für militärische Zwecke betrieben. Während des Krieges in Afghanistan versuchten Wissenschaftler so die Folgen von Hirnverletzungen zu bekämpfen. Foto: ShutterStock/Legion-Media

In Russland wurde die Stammzellenforschung zuerst für militärische Zwecke betrieben. Während des Krieges in Afghanistan versuchten Wissenschaftler so die Folgen von Hirnverletzungen zu bekämpfen. Foto: ShutterStock/Legion-Media

In Russland ist die Stammzellenforschung für viele Menschen die letzte Hoffnung bei der Behandlung schwerer seltener Erkrankungen. Russische Stammzellenforscher aber verzeichnen große Erfolge, die Medikamente erhalten Zulassungen in Übersee. Bei der Zahl der Stammzellenbanken hinkt Russland im weltweiten Vergleich aber noch hinterher.

Am 15. August eröffnete in Wladiwostok eine neue Stammzellenbank am Zentrum für Zell- und reproduktive Technologie. In Russland ist es die siebte Einrichtung dieser Art. Damit liegt Russland noch weit hinter den USA mit etwa 300 Stammzellenbanken und Europa, wo es etwa 80 gibt. Schon vor der Eröffnung gab es zahlreiche Anfragen aus der Bevölkerung.

Stammzellen können aus Blut und Knochenmark gewonnen werden, besonders begehrt sind embryonale Stammzellen aus dem Nabelschnurblut. Empfänger der Stammzellen können der Spender selbst oder dessen Blutsverwandte sein. Die Gefahr eine Abstoßung ist minimal. Aus Stammzellen kann Organgewebe gezüchtet werden. Auch bei der Behandlung von Schlaganfällen, Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und genetischen Erkrankungen kommen sie zum Einsatz.

Unumstritten ist das alles nicht – auch über die Auswirkungen gibt es unterschiedliche Forschungsergebnisse.

Im März 2014 bekam die sechsjährige Karina aus Tscheljabinsk die Diagnose Fanconi-Anämie. Bei dieser seltenen genetischen Erkrankung entwickeln sich hämatologische Störungen und Tumore. Die einzige Aussicht auf Heilung bestand in der Transplantation gesunder Stammzellen, die die „kranken“ ersetzen können. Karina bekam die Stammzellen ihres 2012 geborenen Bruders Nikita.
Im Jahr 2014 wurde in Russland ein Kind geboren, mit dessen Stammzellen die ältere Schwester behandelt werden soll, die am Shwachman-Bodian-Diamond-Syndrom erkrankt ist, einer seltenen angeborenen Fehlbildung des Verdauungssystems.

 

Stammzellenforschung für das Militär

In Russland wurde die Stammzellenforschung zuerst ausschließlich für militärische Zwecke betrieben. Während des Krieges in Afghanistan versuchten Wissenschaftler so die Folgen von Hirnverletzungen zu bekämpfen.

Andrej Brjuchowetskij forscht seit mehr als fünfundzwanzig Jahren auf dem Gebiet der Stammzellen. Er erinnert sich: „Anfangs erprobte man die Technologie an Kälbern“. An der Forschung war der bekannte Transplantologe Walerij Schumakowyj beteiligt.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte im Juni, eine speziellen Forschungseinheit in Zusammenarbeit mit der Militärmedizinischen Akademie Kirow einrichten zu wollen, die aus drei Abteilungen bestehen soll. Die biologisch-pharmazeutische Abteilung soll eine Stammzellenbank für Militärangehörige aufbauen. Zusätzlich soll es eine medizinisch-prophylaktische und eine ingenieurtechnische Abteilung geben.

 

Hohe Kostenunterschiede bei der Aufbewahrung

Die ersten Stammzellenbanken gab es in Russland zu Beginn des neuen Jahrtausends. Nicht alle gehen sorgsam mit den wertvollen Stammzellen um. Ende April 2014 verschwand das Unternehmen „Flora-med“ von der Bildfläche und mit ihm die gelagerten Stammzellen.

Einige der Stammzellenbanken hatten finanzielle Probleme. Die Russen haben zwar ein großes Interesse an neuer Medizin, wollen dafür aber möglichst kein Geld ausgeben. Die Kosten für die Aufbewahrung von Stammzellen sind daher in Moskau im internationalen Vergleich deutlich niedriger. In Moskau werden etwa 95 000 Rubel fällig, das entspricht etwa 1 960 Euro, in den USA hingegen sind es 8 950 Euro.

Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten. Das 2013 in Moskau eröffnete „Genetico-Institut für menschliche Stammzellen“ erforscht intensiv die Behandlung seltener genetischer Krankheiten wie Morbus Krabbe, Omenn-

Syndrom, Diamond-Blackfan-Syndrom oder Fanconi-Anämie. Das Institut plant eine Zusammenarbeit mit betroffenen Familien in Europa und Asien.

„Genetico“ hat das Präparat „Neovasculgen“ entwickelt, das sich in den USA im Zulassungsverfahren befindet. „Neovasculgen“ hat bereits die Unterstützung des Rates für Biotechnologie des Staates Maryland. Mit der Neuentwicklung soll die Ischämie der unteren Extremitäten behandelt werden, eine gefährliche Durchblutungsstörung, die zum Absterben von Gliedmaßen führen kann. Weltweit sind davon etwa 220 Millionen Menschen betroffen. Russland hat mit 500:1 000 000 betroffenen Personen pro Jahr die höchste Amputationsrate.

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