Russische Überwachungs-App soll Proteste verhindern

Die Überwachungs-App „Laplace Dämon“ soll potenzielle Protestbewegungen in sozialen Netzwerken aufdecken. Foto: TASS

Die Überwachungs-App „Laplace Dämon“ soll potenzielle Protestbewegungen in sozialen Netzwerken aufdecken. Foto: TASS

Seit zwei Wochen ist „Laplace Dämon“ in Russland aktiv, eine App, die von einem kremlnahen Forschungsinstitut entwickelt wurde. Sie soll potenzielle Protestbewegungen in sozialen Netzwerken aufdecken, bevor diese sich ausweiten können. Nach VKontakte sollen nun auch Facebook und vor allem Twitter beobachtet werden.

Jewgenij Wenediktow, der Direktor des russischen Zentrums für die Erforschung von Legitimität und politischem Protest, hat eine App entwickeln lassen, die soziale Netzwerke nach möglichen Protestbewegungen durchforstet.

Wenediktow hat das Programm „Laplace Dämon" genannt, nach einem französischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Entwickelt hat er es unter dem Eindruck des Maidan in der Ukraine, der nach Massenprotesten und bewaffneten Zusammenstößen schließlich zum Machtwechsel in der Ukraine führte.

„Laplace Dämon" beobachtet die Nutzerbewertung von Beiträgen in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder auf VKontakte und analysiert die Beiträge und Kommentare auf bestimmte Schlüsselworte. Daraus lässt sich laut Wenediktow ableiten, ob eine Protestbewegung entstehen wird. „Es gibt Studien, die besagen, dass das Anwachsen von Protesten und Demonstrationen von einer Erhöhung dieser Kenngrößen begleitet wird", erklärt Wenediktow.

 

Facebook und Twitter im Visier

Potenzielle Nutzer des Programms könnten neben Wissenschaftlern auch Strafverfolgungsbehörden sein. Und auch bei Vertretern oppositioneller Gruppierungen weckt „Laplace Dämon" Interesse. Wenediktow erzählt, ein junger Mann habe sich als Wissenschaftler ausgegeben, um mehr zu erfahren. In den sozialen Netzwerken sei dieser Mann jedoch als Anstifter von Protesten bekannt, sagt der Politologe.

Unter russischen Oppositionellen wird Wenediktows Entwicklung kritisch betrachtet. „Wir müssen nicht beobachtet werden. Wir handeln öffentlich und sind immer dialogbereit", erklärt Anna Stepanowa, Vorsitzende des Regionalverbandes der Republikanischen Partei Russlands ( Partei für Volksfreiheit) in Nischnij Nowgorod. „Diese Überwachung geschieht nur durch eine Seite. Damit bringen die Behörden die Menschen selber dazu, auf die Straße zu gehen, und provozieren Widerstand dort, wo man alles friedlich regeln könnte."

Wenediktow will seine Entwicklung nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen. Bislang habe er auch kein Interesse an einer kommerziellen Nutzung, sagt er. In der vergangenen Woche gab es einen Testlauf. In den kommenden Wochen wird die App das russische soziale Netzwerk VKontakte ausspähen, im September folgen dann Twitter und Facebook. Freiwillige haben eine Liste erstellt, welche Gruppen und Seiten unter Beobachtung stehen sollten.

„Twitter ist führend, was die Protestaktivität im russischsprachigen Raum angeht", bemerkt Wenediktow. „Anders als VKontakte reagiert dieses Netzwerk nicht auf die Bitten von Roskomnadsor (Medienaufsichtsbehörde, Anm. d. Red.), bestimmte Beiträge zu löschen, die extremistische Inhalte haben."

Wenediktows „Laplace Dämon" berücksichtigt auch die Erkenntnisse russischer Statistiker. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen an einer Demonstration teilnehmen, ist demnach höher, wenn sie andere Demonstranten persönlich kennen – und nicht nur über das Internet. „Beispielsweise kennen sich 80 Prozent der Mitglieder von Gruppen des ukrainischen ‚Rechten Sektors' (informelle nationalistische Gruppierung in der Ukraine, Anm. d. Red.) in sozialen Netzwerken auch persönlich. In den russischen Netzwerken ist dieser Kennwert sehr viel niedriger, dort beträgt er lediglich 15 bis 20 Prozent", sagt Wenediktow. „Je mehr Menschen, die im Internet surfen, einander auch persönlich kennen, desto stärker ist ihre Aktivität im realen Leben."

 

Der Markt der Überwachung wächst

„Laplace Dämon" soll drei Gruppen überwachen: politisch orientierte Gruppen, soziale Protestgruppen und örtliche Diskussionsplattformen, die die Nutzer geografisch vereinigen. Ganz neu ist das nicht. Die russischen Strafverfolgungsbehörden haben die Aktivitäten derartiger Gruppen auch früher schon beobachtet. Etwa mit Unterstützung von Programmen wie „Semantic Archive", wie Experten erklären.

„Die Präsidialverwaltung und die Ministerien haben ihre eigenen Systeme. Wenediktow versucht, in diesen lukrativen Markt einzusteigen", meint Andrej Soldatow, Redakteur der Webseite Agentura.ru, die sich mit Aufklärungsdiensten beschäftigt. Die bisher vorhandenen Programme wurden allerdings für die Beobachtung strukturierter Informationen, und zwar Mitteilungen in den Massenmedien, entwickelt. Für die Arbeit mit dem Inhalt sozialer Medien muss das System relativ klein und auf konkrete Aufgaben ausgerichtet sein.

Wenediktow ist vom Nutzen seiner Neuentwicklung überzeugt: „Zu Beginn waren meine Ziele ausschließlich wissenschaftlicher Natur. Ich wollte politische Prozesse erforschen", erläutert er. „Aber nun denke ich, dass das Projekt dem Wohl der Gesellschaft dienlich sein kann." Bisher nutzt die Regierung „Laplace Dämon" noch nicht. Doch entsprechende Anfragen gebe es laut Wenediktow bereits.

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