Ständiger Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen Witalij Tschurkin (R).
ReutersEin internationales UN-Tribunal, das den Absturz der malaysischen Passagiermaschine von Flug MH17 vor einem Jahr über der Ostukraine aufklären sollte, ist vom Tisch. Bei der Abstimmung über eine entsprechende Resolution am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat legte der ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Witalij Tschurkin, das Veto seines Landes ein. Elf Länder hatten für die Annahme der Resolution gestimmt. China, Angola und Venezuela enthielten sich.
Der Vertreter Frankreichs bezeichnete das Ergebnis der Abstimmung als deutlichen Rückschlag für den UN-Sicherheitsrat. Andere Länder, die die Resolution unterstützten, warfen Russland vor, die Familien der Opfer zu beleidigen. Die Ukraine und Malaysia, Initiatoren der Resolution, kündigten andere Optionen für die Strafverfolgung „zu diesem Verbrechen“ an. Sie ziehen ein internationales Tribunal außerhalb der Vereinten Nationen in Erwägung.
Russland begründete sein Veto damit, dass der UN-Sicherheitsrat mit einem solchen Tribunal seine Kompetenzen überschreiten würde. Die Strafverfolgung sei nicht Aufgabe dieses Organs, unterstrich Botschafter Tschurkin. Der Abschuss des Flugzeugs könne nicht als Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit angesehen werden. Zudem wäre die Schaffung eines Tribunals voreilig – die Initiative sei weder durchdacht gewesen noch nachhaltig.
Russland, so Tschurkin, stehe jedoch weiterhin für eine vollständige, unabhängige und objektive Ermittlung ein. „Die heute von uns eingenommene Position bedeutet nicht, dass wir nicht eine Bestrafung der Schuldigen fordern“, fügte er hinzu. Russland hatte dem Sicherheitsrat am 20. Juli einen eigenen „Kompromissvorschlag“ zur Resolution über den Abschuss vorgelegt, in dem es eine umfassende Aufklärung des Falls forderte, dieser wurde aber nicht unterstützt.
Auch der chinesische UN-Botschafter sagte, ein Tribunal wäre verfrüht und könne nur zu einer Spaltung der Mitglieder im Sicherheitsrat führen. Er zweifelt an der Effektivität eines solchen Gremiums: „Es wird den Familien der Opfer nicht helfen, das Unglück nicht aufklären und die Verbrecher vor kein Gericht stellen“, sagte er.
Der Außenminister der Ukraine Pawlo Klimkin kritisierte die Haltung Russlands indes scharf: „Es gibt keinerlei Gründe, gegen das Tribunal zu sein, außer man hat selbst ein Verbrechen begangen.“
Das Veto Russlands war keine Überraschung. Eine Enthaltung sei nicht zu erwarten gewesen, auch wenn einige westliche Länder genau das getan hätten, meinen Experten. Durchaus vorhersehbar sei auch die Haltung Chinas gewesen, das sich weder auf die russische noch auf die westliche Seite geschlagen hat: „Es stimmt nie gegen die westliche Welt, rechnet im Fall der Fälle aber immer mit der Unterstützung Russlands“, erklärt Michail Korostikow, unabhängiger Politologe. Die anderen beiden Enthaltungen kamen aus Venezuela und Angola – Länder, die mit Russland durch Erdöl- und Erdgasprojekte verbunden seien, erinnert der Experte.
Dennoch werde die Abstimmung Konsequenzen nach sich ziehen, zunächst einmal medial, meint Andrej Kortunow, Generaldirektor des Russischen Rats zu internationalen Angelegenheiten. Außerdem könnte das Veto zur Folge haben, dass die Sanktionen gegen Russland weiter verschärft werden. „Zumindest wird es vor diesem Hintergrund sehr schwierig sein, über ihre Aufhebung zu sprechen“, meint Kortunow. Es sei zudem nicht ausgeschlossen, dass die Positionen jener Gruppierungen in Europa und den USA gestärkt würden, die sich für die Lieferung letaler, das heißt tödlicher, Waffen an die Ukraine einsetzen, fügt der Experte hinzu.
Das wichtigste Ergebnis der vergangenen Abstimmung sei jedoch ein Imageschaden für die Vereinten Nationen – ihre Rolle als zentrales Organ der internationalen Sicherheit würde infrage gestellt, ist Timofej Bordatschow, Direktor des Zentrums für Europäische und internationale Komplexforschung der Higher School of Economics, überzeugt. Kortunow stimmt ihm zu: Der Sicherheitsrat sei bereits bei wichtigen Fragen schlicht paralysiert gewesen, wie etwa im strittigen Fall Syriens. In der Ukraine-Krise zeige der Sicherheitsrat überhaupt kein Gesicht, konstatiert er.
Allerdings, so räumt Bordatschow ein, besitze keine andere Plattform die Legitimität, den Unglücksfall von Flug MH17 zu untersuchen. „Auch wenn man jetzt zehn Tribunale schafft“, würde Russland das Ergebnis der Untersuchungen einfach nicht anerkennen. Die Befürchtung Moskaus sei, so ergänzt Michail Korostikow, dass man den Faden von den Aufständischen in der Ukraine, die durch ein Tribunal zweifelsohne für schuldig erklärt werden würden, zu den russischen Militärs weiterstricke.
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