Russland, Deutschland und Osteuropa – Beziehungen im Wandel

Das Gaidar-Naumann-Forum fand zum dritten Mal in Berlin statt.

Das Gaidar-Naumann-Forum fand zum dritten Mal in Berlin statt.

Sascha Radke
Auf Einladung des Gaidar-Naumann-Forums diskutierten europäische Liberale in der Vorwoche in Berlin zum Thema „Russland, Deutschland und Osteuropa – Beziehungen im Wandel“. Europa und Russland würden einander „systematisch missinterpretieren“, beklagte der russischstämmige Alexander Libman von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität.

Das Gaidar-Naumann-Forum wird seit 2014 von der deutschen Friedrich Naumann Stiftung und der russischen Jegor Gaidar Stiftung organisiert. Es ist eine Veranstaltung, bei der die deutschen Liberalen den Spagat zwischen Kritik an der russischen Politik bei gleichzeitiger herzlicher Gesprächsbereitschaft versuchen. Kooperationspartner sind der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und das Deutsch-Russische Forum. In deren Fahrwasser wird das Gaidar-Naumann-Forum zu einer der wenigen Plattformen, wo deutsche Russlandversteher und, sagen wir, Russlandnichtversteher sich sowohl auf dem Podium als auch im Publikum überhaupt noch begegnen.

Auch bei den russischen Vertretern wurde deutlich, dass die eintägige Konferenz mehr war als ein Stelldichein der liberalen Opposition. Dass der Liberalismus international in der Krise steckt, bemerkte auch der altersweise Jewgeni Jassin, Wirtschaftsminister 1994-97: Die Zahl echter Liberaler in Deutschland und Russland zusammen entspreche in etwa der Zahl der Zuhörer im Saal.

Das 3. Gaidar-Naumann-Forum begrüßte auch in diesem Jahr hochrangige internationale Redner. V.l.n.r.: Karl-Heinz Paqué, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit; Leszek Balcerowicz, ehemaliger polnischer Vizepremier; Andrey Nechaev, ehemaliger Wirtschaftsminister Russlands; Yevgeny Yasin, Wissenschaftlicher Direktor, Moskauer Hochschule für Wirtschaft; Armen Darbinyan, Rektor, Russisch-Armenische Universität.  / Sascha RadkeDas 3. Gaidar-Naumann-Forum begrüßte auch in diesem Jahr hochrangige internationale Redner. V.l.n.r.: Karl-Heinz Paqué, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit; Leszek Balcerowicz, ehemaliger polnischer Vizepremier; Andrey Nechaev, ehemaliger Wirtschaftsminister Russlands; Yevgeny Yasin, Wissenschaftlicher Direktor, Moskauer Hochschule für Wirtschaft; Armen Darbinyan, Rektor, Russisch-Armenische Universität. / Sascha Radke

„Russland, Deutschland und Osteuropa – Beziehungen im Wandel“ so der Titel der Veranstaltung. Doch von Wandel war wenig zu spüren an diesem Tag. Jedenfalls nicht von Wandel bei der Einschätzung der russischen Wirtschaftspolitik. In dem Punkt fiel das Urteil der liberalen Volkswirte verheerend aus, nicht anders als in den Vorjahren: eine oligarchische Variante von Rentenökonomie, fehlende Strukturanpassungen, Reformstau bei den Institutionen und ein krasser Mangel an Rechtssicherheit - und das vor allem für einheimische Investoren. Die zwei Russen auf dem Panel "Wirtschaft im Wandel" hatten wenig dagegenzuhalten. Ohnehin stehen Jewgeni Jassin und sein Vorgänger Andrej Netschajew, Wirtschaftsminister der ersten zwei Reformjahre 1992/93, nicht in dem Ruf, die Position der Regierungspartei "Einiges Russland" zu vertreten.

Die schärfste Aburteilung der russischen Politik kam, vielleicht nicht überraschend, von einem Polen. Es war der ehemalige Vizepremier und Vater der polnischen Marktwirtschaft Leszek Balcerowicz, der sich offensichtlich darin gefiel, dem Kreml klare Kante zu zeigen. Unermüdlich gab er sein Credo zum Besten, ohne kapitalistische Marktwirtschaft gebe es kein Wachstum und ohne Wachstum keine Demokratie.

Den Falken unter den deutschen Teilnehmern gab Joachim Zweynert von der Universität Witten/Herdecke. Er sprach von einem neuen Kalten Krieg und verteidigte die Sanktionen ohne Wenn und Aber, forderte gar Nachschlag wegen Russlands Eingreifen in Syrien. Der russischen Volkswirtschaft prophezeite er den totalen Kollaps in den kommenden 15 Jahren.

Das diesjährige Forum widmete sich dem Thema „Russland, Deutschland und Osteuropa – Beziehungen im Wandel“.  / Sascha RadkeDas diesjährige Forum widmete sich dem Thema „Russland, Deutschland und Osteuropa – Beziehungen im Wandel“. / Sascha Radke

Zum Abschluss befasste sich das Panel "Gesellschaft im Wandel" mit den Phänomenen Populismus und Nationalismus. Krassen Stanchev vom bulgarischen Institut für Marktwirtschaft relativierte die Gefahr des religiös motivierten Terrorismus'; ihm fielen überhaupt vor allem Muslime zum Opfer. Chris Pyak von der transeuropäischen liberalen Alde-Partei sagte zum Thema Migration, mit den realen Problemen habe sie nicht viel zu tun. Allerdings seien die Eliten gefordert, die Ängste der Bürger zu adressieren.

Während viele der deutschen Redner nur den Bösewicht Kreml im Visier hatten, fiel das Urteil der Russen differenzierter aus. Sowohl Jewgeni Gontmacher, Vizedirektor des Moskauer IMEMO-Instituts, als auch der Aufsichtsratschef der staatlichen VTB-Bank Sergej Dubinin interpretierten den westlich-russischen Konflikt als Symptom eines weltanschaulichen Umbruchs, in einem Topf mit Brexit und der Wahl von Donald Trump.

Der russischstämmige Alexander Libman von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität erinnerte an die kulturellen Differenzen. Man müsse realistisch sein: Europa und Russland würden einander „systematisch missinterpretieren“. Seit langem würden die Vorschläge der jeweils anderen Seite nicht danach bewertet, was sie in der Realität bewirken würden, sondern danach, welche geheimen Intentionen sich dahinter verbergen. Die eingangs geäußerte Hoffnung des Ehrenvorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums, Ernst-Jörg von Studnitz, auf die Wirksamkeit von mehr Dialog in schwieriger Zeit bleibt also vorerst wohl ein frommer Wunsch.

Jugend im Dialog: Forum zur Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen

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