Kreml will verbotene Lebensmittel vernichten lassen

Zollbeamten durchsuchen in Beschlag genommenes Fleisch an der russisch-polnischen Grenze.

Zollbeamten durchsuchen in Beschlag genommenes Fleisch an der russisch-polnischen Grenze.

Igor Zarembo / RIA-Novosti
Sanktionierte Lebensmittel, die in Russland an den Landesgrenzen und im Einzelhandel beschlagnahmt werden, sollen vernichtet werden. Ein entsprechender Präsidentenerlass erging Ende Juli. Experten appellieren an die Regierung, Lebensmittel lieber an Bedürftige zu verteilen, etwa in der Krisenregion in der Ukraine.

Lebensmittel, die aufgrund des Lebensmittelembargos an den Grenzen und in den Supermärkten des Landes konfisziert werden, sollen nach dem Willen der russischen Regierung ab Donnerstag, den 6. August, vernichtet werden. Einen entsprechenden Erlass hat Präsident Wladimir Putin vergangene Woche unterzeichnet, heißt es auf der Internetseite des russischen Präsidenten. Betroffen sind landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den USA, der Europäischen Union und weiteren Ländern, die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland eingeführt hatten. Lebensmittel für den Eigenbedarf dürfen weiterhin eingeführt werden.

Illegaler Ware auf der Spur

Verbotene Ware wird nicht nur an den Landesgrenzen konfisziert. Auch Supermarktregale und Einzelhandelslager sollen gemäß dem Präsidentenerlass danach durchsucht werden. Unmittelbar nach der Beschlagnahme steht die Vernichtung an. Vorgesehen ist, die Maßnahmen auf Foto- oder Videoaufnahmen unter Aufsicht von mindestens zwei Augenzeugen festzuhalten. Wie der stellvertretende Landwirtschaftsminister Ewgenij Gramyko gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax erklärte, werden Fette, Käse, Obst und Gemüse in Spezialöfen verbrannt. Wie Fleischprodukte entsorgt werden sollen, ließ die russische Regierung bislang offen. 

„Es liegt an den Besonderheiten der nationalen Gesetzgebung und den Zollbestimmungen der Eurasischen Wirtschaftsunion, dass das Embargo nicht in seinem vollen Umfang umgesetzt werden kann“, sagt der Analyst der Investmentgesellschaft Finam Timur Nigmatullin. So habe Belarus keine Sanktionen gegen die EU verhängt, wobei Grenzkontrollen zu Russland nahezu völlig fehlten. „Die Verhängung des Lebensmittelembargos war sowohl geopolitisch als auch makroökonomisch motiviert. Es diente unter anderem dazu, inländische Produzenten zu schützen. Und die Ziele wurden auch erreicht“, sagt Nigmatullin. Selbst das Missmanagement der Behörden habe dem nicht im Weg gestanden.

Der leitende Analyst der UFS IC Ilja Balakirew betont, die Vernichtung von Lebensmitteln sei in den Industrienationen eine durchaus gängige Praxis. „Auf der anderen Seite zeigen diese Maßnahmen, dass umfassende Kontrollen bei der Einfuhr sanktionierter Lebensmittel de facto unmöglich sind“, sagt er.

Verbotene Lebensmittel in Russland (Übersicht)

Nach Angaben des russischen Zollamtes wurden im ersten Halbjahr 2015 landesweit 552 Tonnen sanktionierter Ware konfisziert. Wie der russische Vize-Premier Arkadij Dworkowitsch erklärte, haben die Kontrollbehörden des Landes innerhalb der vergangenen Monate an die 700 bis 800 Verstöße gegen das Embargo registriert. In den Supermarktketten wurden 44,8 Tonnen verbotener Lebensmittel beschlagnahmt.

Gesellschaftliche Resonanz

Die russische Gesellschaft fasste den Präsidentenerlass mit gemischten Gefühlen auf. „Ich sehe solche Maßnahmen äußerst kritisch“, sagt die Direktorin des Zentrums für Landwirtschaftspolitik an der Russischen Akademie für Wirtschaft und Verwaltung, Natalja Schagajda. „Überhaupt pflegen die Russen einen sehr sorgsamen Umgang mit Nahrungsmitteln und schätzen die Arbeit von Menschen, die Lebensmittel herstellen, besonders. Für den Großteil der Russen hat die Vernichtung, die Verbrennung genießbarer Lebensmittel etwas Makabres an sich“, führt sie weiter aus.

In der Krise habe die russische Bevölkerung ihren Konsum insgesamt reduziert und teure Lebensmittel aus dem täglichen Verzehr ohnehin ganz ausgeschlossen, was ein entsprechender Einzelhandelsindex belege, fügt sie hinzu. Nach Angaben des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung ging der Einzelhandelsumsatz im ersten Halbjahr 2015 um acht Prozent zurück. Der Rückgang bei Lebensmitteln betrug dabei 7,7 Prozent, bei nicht-landwirtschaftlichen Konsumgütern 8,3 Prozent. „Um Händler und Lieferanten, die gesetzliche Bestimmungen missachten, zu bestrafen, können hochwertige Lebensmittel konfisziert werden. Nur sollten sie an Schulen, Waisenhäuser und Altenheime verteilt werden, anstatt sie zu vernichten“, schlägt Schagajda vor.

Der Abgeordnete der Mitte-Links-Partei „Gerechtes Russland“ Andrej Krutow schlug der russischen Regierung indes vor, die konfiszierten Lebensmittel nicht zu vernichten, sondern in den Donbass zu schicken. Meldungen der Zeitung „Izwestija“ zufolge hat der Parlamentarier ein entsprechendes Schreiben an den russischen Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschew gerichtet. Nach Ansicht des Abgeordneten werden kleinere Ortschaften im Südosten der Ukraine wegen der Blockade nur unzureichend mit Lebensmitteln versorgt.

 

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