Den Fall ins Rollen gebracht hat das Verbot eines auf Koran-Zitaten basierendes Buches, das feindselige Aussagen gegenüber Nicht-Muslimen enthalten soll.
Alexander Schtscherbak / TASSAm Mittwoch brachte Wladimir Putin in der Staatsduma einen Gesetzentwurf über ein Verbot ein, die heiligen Schriften der Christen, Muslime, Juden und Buddhisten – Bibel, Koran, Tanach und Kanjur – als extremistisch einzustufen. Der Gesetzentwurf war in seiner Grundstruktur im Vorfeld mit Vertretern der entsprechenden Religionsgemeinschaften abgesprochen worden.
Der Gesetzentwurf ist die Folge eines Gerichtsurteils, das in Russland für Aufregung gesorgt hat. Das Regionalgericht Juschno-Sachalinsks im russischen Fernen Osten hatte das auf Koran-Zitaten basierende Buch „Das Flehen zu Gott, seine Bedeutung und sein Platz im Islam“ als extremistisch eingestuft. Das Buch enthalte in der russischen Übersetzung der Kommentare zu den Koranversen „Aussagen feindseligen, aggressiven und abwertenden Charakters in Bezug auf all jene Vertreter konfessioneller Gruppen, die nicht an Allah glauben und zu diesem beten“, hieß es in der Urteilsbegründung.
Die Einstufung als extremistisch ist gleichbedeutend mit einem Verbreitungsverbot in ganz Russland. Nicht nur unter Muslimen rief die Gerichtsentscheidung Empörung hervor. Der russische Muftirat brachte seine Missbilligung zum Ausdruck und auch Ramsan Kadyrow, Präsident der islamisch geprägten autonomen Republik Tschetschenien, übte Kritik. Gegenwärtig wird damit gerechnet, dass es zu einem Berufungsverfahren kommen wird.
Das Urteil führte auch in der Staatsduma zu lebhaften Diskussionen. Der Vorsitzende der Kommission für die Angelegenheiten gesellschaftlicher Vereinigungen, Jaroslaw Lewin, erklärte, dass die heiligen Schriften nicht einer Analyse auf Extremismus unterworfen werden dürften, und erwähnte in einem Gespräch mit der Zeitung „Iswestija“ eine mögliche Korrektur der geltenden Gesetzgebung. Der Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche, Diakon Andrej Tituschkin, zog eine Parallele zwischen dem Koran und der Bibel. „In der Bibel gibt es, aus Sicht des 21. Jahrhunderts betrachtet, viele inhumane Passagen. Diese archaischen Texte kann man nicht durch die Extremismus-Lupe betrachten“, wird Tituschkin von der russischen Wirtschaftszeitung „Kommersant“ zitiert.
Die Vertreter der größten Religionsgemeinschaften in Russland begrüßen daher Putins Initiative. „Kein Buch kann außerhalb seines historischen Kontextes betrachtet werden. Als extremistisch können lediglich zeitgenössische Texte eingestuft werden“, gibt die Nachrichtenagentur Tass die Worte des Präsidenten der Föderation der jüdischen Gemeinschaften Russlands, Alexander Borodas, wieder. Ruschan Abbjasow, stellvertretender Vorsitzender der Geistlichen Verwaltung der Muslime der Russischen Föderation, erklärte: „Die Gerechtigkeit hat gesiegt.“
Nach Meinung des Anwalts und Menschenrechtlers Murad Musajews hat Putin den Gesetzentwurf auch wegen des großen Medienechos, das das Verbot des Buches „Flehen zu Gott“ hervorgerufen hatte, eingebracht. Musajew, der in der Vergangenheit bereits mehrfach Verbote islamischer Literatur kritisiert hatte, unterstützt Putins Initiative: „Viele wichtige islamische Schriften wurden in der Vergangenheit als extremistisch eingestuft und verboten. Das Verbot dieses Verbots ist daher ein wichtiger Schritt nach vorn.“ Putin setze ein richtiges Signal. „Er unterstützt die Religion und missbilligt den Versuch, einen Extremismus dort zu sehen, wo es gar keinen gibt“, so Musajew.
Von RBTH befragte Fachleute sehen Verbesserungsbedarf bei der Qualität der Gutachten, die beurteilen sollen, ob eine religiöse Schrift als extremistisch eingestuft wird. „Das Niveau der Expertisen muss verbessert werden, wir benötigen unabhängige und tatsächlich objektive Gutachter“, sagt die Analystin der Internationalen Krisengruppe und Kaukasus-Expertin Warwara Pachomenko. Diesen Standpunkt unterstützt auch Achmet Jarlykapow, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Probleme des Kaukasus und regionale Sicherheit des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen: „Die Anforderungen an die Gutachten müssen verschärft werden, damit nicht so einfach derart umstrittene Urteile möglich sind.“
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