In Russland wurde eine Arbeitsgruppe geschaffen, die sich mit der Implementierung des islamischen Bankwesens, auch Islamic Banking genannt, auseinandersetzen soll. Unter anderem solle das Gesetz „Über Banken und Bankgeschäfte“ abgeändert werden. Dies gab Dmitri Saweljew, stellvertretender Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Finanzmärkte und designierter Leiter der Arbeitsgruppe, gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Tass bekannt. So würden der Arbeitsgruppe Vertreter der Zentralbank, des Finanzministeriums und des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung angehören. Banken solle das Recht eingeräumt werden, Handelsgeschäfte abzuschließen, weil das islamische Bankwesen unter anderem die Verzinsung von Krediten verbietet. Konstantin Baimuchaschew, Justiziar bei UFS IC, vermutet, dass die Gesetzesänderungen Russland ins Blickfeld vor allem arabischer Investoren rücken könnte.
Rustam Minnichanow, Präsident von Tatarstan, einer russischen Region mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung, erklärte im Juni 2015 auf dem Kasaner Wirtschaftsforum, ein Finanzierungssystem nach islamischen Grundsätzen könne die sanktionsbedingten Probleme russischer Unternehmen mildern. Diese können zurzeit nur schwerlich auf den internationalen Finanzmärkten Geld beschaffen.
Nach Angaben des jüngsten IWF-Berichts wird das Volumen aller Bankgeschäfte nach islamischer Tradition weltweit bis zum Ende des Jahres 3,4 Billionen US-Dollar (umgerechnet etwa 3 Billionen Euro) erreichen. „Die muslimischen Länder haben sich den Versuchen, unser Land auf internationaler Ebene zu isolieren, nicht angeschlossen“, betont Minnichanow. „Die neuesten Entwicklungen in der Weltwirtschaft zeigen, dass islamische Banken krisenfest sind und einen bedeutenden Beitrag zum internationalen Finanzsystem leisten.“ Am 14. Juli unterzeichnete der Präsident Tatarstans gemeinsam mit German Gref, dem Vorsitzenden des größten russischen Kreditinstituts Sberbank, ein Kooperationsabkommen zum islamischen Bankwesen.
Ahmad Mohamed Ali Al-Madani, Präsident der Islamischen Entwicklungsbank, erklärte gegenüber RBTH, dass auch nicht-muslimische Länder, darunter Großbritannien, Schuldverschreibungen nach Maßgaben der islamischen Gesetzgebung emittierten. Deren Gesamtvolumen liege weltweit bei 120 Milliarden US-Dollar (umgerechnet etwa 108 Mrd. Euro). „Tatarstan könnte zum zentralen Knotenpunkt für die Implementierung des islamischen Finanzwesens in Russland werden“, meint Al-Madani. AK Bars, die größte Bank in Tatarstan, erwarb bereits Anlagen im islamischen Sinne. Der internationale Versicherungskonzern Allianz bietet seit 2015 islamkonforme Versicherungsprodukte und Investments auf dem russischen Markt an.
„Die Implementierung des Islamic Banking im russischen Bankensystem ist ein positives Signal. Es ist weltweit auf dem Vormarsch und die Entwicklung auf dem Binnenmarkt wird es ermöglichen, Investitionsquellen zu diversifizieren und das Vertrauen von gläubigen Muslimen in das Bankensystem zu fördern“, sagt Semjon Nemzow, Analyst der Investmentgesellschaft Russ Invest. Allerdings solle man keine allzu rasante Zunahme von Investitionen aus der islamischen Welt erwarten.
Konstantin Korischtschenko, Lehrstuhlleiter für Wertpapiermärkte und Finanzengineering an der Russische Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst beim Präsidenten Russlands und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Zentralbank, sieht noch mehr Herausforderungen. „Islamic Banking ist in erster Linie eine Frage der Weltanschauung und Religion und erst dann eine Frage der Finanzen. Deshalb gibt es eine Menge Hindernisse für die Implementierung in das russische Rechts- und Finanzsystem“, sagt er. Seiner Meinung nach erschwere eine Aufteilung von Geldern nach ihrer Herkunft sowie die Negierung von Begriffen wie Zinsen und Termingeschäft eine Annäherung des „islamischen“ und „christlichen“ Finanzierungswesens. In Ländern mit vorherrschendem Fallrecht sei es wesentlich einfacher, so einen Mechanismus einzusetzen, als in Russland, wo das Rechtssystem auf generellen Gesetzen beruhe, erläutert Korischtschenko. Deshalb müsse der Implementierung soweit möglich eine Änderung grundlegender Gesetze vorangehen.
Laut Baimuchaschew unterschieden sich das islamische und das russische Finanzsystem grundsätzlich voneinander. „Islamische Banken vergeben keine Kredite an ihre Kunden im herkömmlichen Sinne, sondern verkaufen Waren oder wirken als Partner, sogenannte Co-Investoren, an einem Projekt mit. Dementsprechend teilen sie die entsprechenden Risiken mit ihrem Kunden“, erklärt er. Darüber hinaus verbiete das islamische Bankwesen, das auf der Scharia basiert, bestimmte Geschäftstätigkeiten, zum Beispiel die Vergabe von Krediten an Unternehmen, die Alkohol herstellten oder verkauften, sowie an Unternehmen, die Finanz- und weitere Vermittlungsgeschäfte betrieben. „Die Unterschiede zwischen den beiden Finanzsystemen sind gravierend. Gesetzesänderungen sind nur ein kleiner Teil des Weges, der bei der praktischen Implementierung des Islamic Banking in das russische Finanzsystem zurückzulegen ist“, sagt Baimuchaschew. Er glaubt jedoch, dass die Finanzierung durch islamische Investoren eine Alternative zu westlichen Kapitalmärkten sein könne.
Im Juli dieses Jahres beschloss der Public Investment Fund (PIF), der Staatsfonds Saudi-Arabiens, zehn Milliarden US-Dollar in Russland zu investieren. Dazu visiert der Fonds eine Partnerschaft mit dem vom Staat kontrollierten Russischen Fonds für Direktinvestitionen an, der zur Unterstützung von besonders aussichtsreichen Projekten in Russland dient. Die Summe erachten Experten als bemerkenswert. Ausländische Direktinvestitionen erreichten 2014 eine Summe von insgesamt 21 Milliarden US-Dollar (etwa 18,8 Mrd. Euro). Saudi-Arabien will nun alleine beinahe die Hälfte dieser Summe in die Hand nehmen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!