136 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt gibt es ein anderes Leben: viel Granit, brutale Waräger und ein Zeughaus voll mit Äxten, Schwertern und Kettenpanzern.
Anastasia SemenovichEs ist sehr einfach, in den Alltag der Waräger einzutauchen. Zunächst steigt man in einen überfüllten Regionalzug, der einen von Sankt Petersburg nach Wyborg, 136 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt, bringt. Dann nimmt man einen Bus Richtung Swjatogorsk und steigt zwischen den Haltestellen Petrowskoje See und Fluss Wuoksa aus. Und da ist sie – die Burg Swargas: viel Granit, brutale Waräger mit langen Bärten und ein Zeughaus voll mit Äxten, Schwertern und Kettenpanzern. Es gibt auch eine Schmiede und Ziegen, sowie eine Küche, gebaut aus Stein, mit einem Backofen, in dem man Brot backen kann. Wie es sich gehört, wird die Burg von einem bösen Hund bewacht, dem man sich lieber nicht nähert. Strom, Gas und andere Annehmlichkeiten gibt es hier nicht.
„Mein Name ist Göling. Ich bin seit fünf Jahren hier“, erzählt der Schmied, der eigentlich Alexander Rusakow heißt. „Die Burg selbst wurde vor zehn Jahren gebaut. Alles begann ganz simpel: Ich war mit einem Bekannten unterwegs und wir wollten hier eine Pause machen. Dabei haben wir mit Schwertern gekämpft und Äxte geworfen. Später kam ich immer wieder zurück. Die Atmosphäre hier ist besonders, sie ist gut.“
Alexander Rusakow ist als Schmied für die Herstellung von Alltagsgegenständen verantwortlich. Foto: Anastasia Semenovich
Zu Hause in Wyborg hat Alexander eine Familie und Kind – „wie bei allen anderen“, sagt er. Aber seine Freizeit verbringt er in Swargas. Der mittelalterliche Lebensstil hat ihn schon immer fasziniert. Als Schmied ist er in der Burg für die Herstellung von Alltagsgegenständen verantwortlich: Er baut Türklinken und andere kleine Gegenstände aus Eisen. Getragen wird handgemachte Lederkleidung, die jener aus dem 10. Jahrhundert ähnelt. Und auch das Essen wird nachgeahmt – es gibt Warägerbrei: Buchweizen mit grüner Einlage. Die Burg bekommt keine finanzielle Unterstützung vom Staat, sie wird durch private Investitionen finanziert. Selbst Bauarbeiten führt man selbst aus. 30 Menschen besuchen Swargas regelmäßig, einige davon leben in der Burg.
In Swargas sind sogenannte Nachsteller, Menschen, die konkrete geschichtliche Ereignisse oder Epochen neuinszenieren, nicht willkommen. „Nachsteller versuchen oft, mit etwas Geld zu verdienen, von dem sie keine Ahnung haben. Es ist eine Bewegung für Hochstapler und Schaumschläger“, erklärt Alexander Nikolaew, Geschäftsführer der Burg Swargas. „So haben die Wikinger zum Beispiel nie Helme mit Hörnern getragen. Die Epoche wurde einfach in einen Mythos verwandelt.“
Schüler und Kinder der Burgbewohner sind hier häufig zu Gast. Foto: Anastasia Semenovich
Die Burgbewohner wollen stattdessen innehalten und ihren Kindern die Geschichte beibringen, Schüler aus naheliegenden Schulen und ihre Geschichtslehrer sind herzlich willkommen. „Das Projekt war für mich wie ein großer Sandkasten für ein Kind ist“, erzählt Nikolaew. Sein Sohn war sieben, als der Geschäftsführer begann, sich für Wikinger und die Geschichte des Frühmittelalters zu interessieren. Er beschloss, eine Burg zu bauen. 2008 lernte er Professor Kirpitschnikow kennen, dessen Schwerpunkt die Klassifikation von frühmittelalterlichen Waffen ist. Diese Bekanntschaft führte dazu, dass es in Swargas keinen Platz mehr für Nachsteller gibt. Stattdessen ist die Burg zum Lebenszentrum und Wohnsitz für ihre Bewohner geworden.Professor Kirpitschnikow wurde zum „Ehrenkonungr“ von Swargas ernannt und ist derzeit als Berater für den Lebensstil der Wikinger in der Burg tätig. „Wir haben sogar versucht, Eisen aus Sumpferz zu gewinnen. Das ist nicht einfach, aber wir arbeiten weiter daran“, erzählt Nikolaew.
Eine gerade eingetroffene Touristengruppe begutachtet das Zeughaus. In dem Raum aus kaltem Stein, der mit Kerzen ausgeleuchtet ist, zeigt Kustos Woldemar Äxte und Schwerter „wie bei den Karolingern“ und erklärt, wie der echte Kettenpanzer aussehen muss. Schnell stellt sich heraus, dass in Filmen alles falsch dargestellt wird.
„Alle Streitigkeiten wurden in der Regel mit einem Kampf gelöst. Zwei gingen nach draußen, zurück kehrte nur einer. Möchte jemand mal mit unserem Schmied nach draußen gehen? Nein? Das ist auch gut so“, scherzt Woldemar. Für einen Kampf gegen den Schmied findet sich kein Freiwilliger.
Wem schmeckt’s hier nicht? Foto: Anastasia Semenovich
Zum Abschied gibt es Warägerbrei. Währenddessen prägen die Burgbewohner Münzen mit einem großen Gerät, das wie eine Mischung aus Folterwerkzeug und Trainingsgerät wirkt.
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