In Moskau war es so kalt wie seit 120 Jahren nicht mehr.
Global Look PressDie erste Januarhälfte ist für die Russen eine langersehnte Zeit. Gleich elf Feiertage ohne Unterbrechung erwartet sie zu Jahresbeginn, das Neujahrs- und orthodoxe Weihnachtsfest miteingeschlossen. In diesem Jahr aber herrschte in den russischen Städten statt Volksfeststimmung eisige Stille. Unglaublich, aber wahr: Eine klirrende Kälte zwang die Russen an den Feiertagen in ihre Häuser.
Dabei waren nicht alle Stuben immer mollig warm. In Krasnogorsk, einem Moskauer Vorort, blieb es bei 12 000 Menschen wegen einer Panne im dortigen Heizwerk eisig kalt. „Zwei Nächte haben wir in Pelzmänteln geschlafen. Die Gasherde und die Heizstrahler waren an, das half aber nicht“, erzählt ein Einwohner. „Die Fensterscheiben waren so vereist, man konnte gar nicht durchgucken.“
„Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal so viel Arbeit hatten“, erzählt Igor Kazjuba, Leiter einer Rettungswache des russischen Katastrophenschutzes. „Auf den Fernstraßen sind ganze Familien erfroren, wegen der Kälte fielen einfach die Motoren aus. Erschwerend kommt hinzu, dass den Akkus von Mobiltelefonen bei dieser Kälte augenblicklich der Saft ausgeht – die Menschen konnten nicht um Hilfe rufen. Wir mussten rund um die Uhr mit unseren Heizkanonen auf den Hauptverkehrsadern patrouillieren.“ Über hundert Menschen habe man ins Krankenhaus einliefern müssen.
Selbst für Alteingesessene jenseits des Urals war dieser Frost ungewöhnlich. In der Region Perm etwa 1 200 Kilometer nordöstlich von Moskau fiel das Thermometer auf minus 45 Grad. Ein Tacken dicker kam es für die Menschen in Nischnij Nowgorod: Minus 46 Grad wurden in der Wolgametropole gemessen – ein Wert, der selbst für Russland aus dem Rahmen fällt. „So lange ich denken kann, war es auf den Straßen zu Weihnachten nie so leer wie in diesem Jahr“, sagt der 36-jährige Andrej aus der Wolgastadt.
Bei derartigen Minus-Temperaturen sprangen viele Autos nicht an. Selbst ein Taxi am Flughafen zu bestellen war in der Nacht auf den 8. Januar ein Problem. / Sergey Pyatakov/RIA Novosti
Auch über Moskau brach zu Weihnachten der Frost herein: Minus 30 Grad im Stadtzentrum, minus 33,4 im Umland – die tiefsten Werte der letzten 120 Jahre. In den Hauptstadtflughäfen wurden über 70 Flüge verschoben oder ganz gecancelt. Das Gesundheitsministerium verhängte in der Stadt die vorletzte Alarmstufe Orange. Menschen wurden aufgefordert, nur in den dringendsten Fällen ihre Häuser zu verlassen. Dennoch kamen in der russischen Hauptstadt an den Feiertagen 129 Menschen mit Erfrierungen ins Krankenhaus, zwei von ihnen starben an Unterkühlung.
Auch der 25-jährige Igor Walejew wurde eingeliefert, nachdem er sich nur 40 Minuten im Freien aufgehalten hatte. „Eigentlich habe ich mich winterlich warm angezogen, aber das Auto sprang nicht an“, erzählt der junge Mann. „Ich musste aber meine Verwandten besuchen. Also habe ich versucht, den Motor wiederzubeleben, und habe gar nicht gemerkt, wie meine Finger- und Zehenspitzen langsam erfroren sind. Als ich im Krankenhaus ankam, waren sie schon geschwollen.“ Igor hatte Glück: Nur eine halbe Stunde länger im Freien und seine Finger hätten amputiert werden müssen.
14 Kilometer führte die Strecke der Winter-Fahrradparade vom Frunze-Ufer an der Moskwa bis zum Kreml und zurück. / Komsomolskaya Pravda/Global Look Press
„Bei dieser Eiseskälte geht man am besten gar nicht aus dem Haus“, hieß es im Zentrum für Notfallmedizin des russischen Gesundheitsministeriums auf Anfrage von RBTH. „Der größte Fehler bei Unterkühlung ist es, heißes Wasser zu trinken, die Extremitäten ins heiße Wasser zu tauchen oder sie warm zu reiben. Das sollte man auf keinen Fall tun! Man muss sich mit lauwarmem Wasser wärmen und die Temperatur dabei langsam erhöhen“, so ein Sprecher des Zentrums. „Noch besser ist es, auf die betroffenen Körperstellen eine wärmende Binde aus Watte aufzulegen. Man sollte sich auch nicht am Feuer wärmen, denn dabei können sich Thromben in den Blutgefäßen bilden.“
Inzwischen ist die klirrende Kälte milderen Temperaturen gewichen. In Sibirien aber und im Fernen Osten des Landes gilt Alarmstufe Orange weiterhin.
Doch die Russen wären nicht Russen, wenn sie selbst bei dieser Rekordkälte nicht zeigen würden, was sie draufhaben. In dem Moskauer Vorort Klimowsk haben zwei Waghalsige eine badewannengroße Öffnung in die Eisdecke eines Flusses geschlagen und ein Bad im eiskalten Wasser genommen – nur der Champagner fehlte.
Die größten Helden aber waren die Menschen in der Hauptstadt: An einem Sonntagmorgen bei klirrenden minus 31 Grad nahmen sie an einer Fahrradparade teil. 14 Kilometer führte die Strecke vom Frunze-Ufer an der Moskwa bis zum Kreml und zurück. Keiner der Teilnehmer musste medizinisch behandelt werden, ganz im Gegenteil: „Mir wurde es beim Treten richtig warm, ich bin total durchgeschwitzt“, sagte die 26-jährige Jekaterina zu RBTH.
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