Katharina II. veranlasste in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Bau einer 33 Meter langen hölzernen Rutschbahn in ihrer Sommerresidenz Oranienbaum nahe Sankt Petersburg. Die Fassade des Rutschturms wurde von dem Italiener Antonio Rinaldi, dem Hofarchitekten, gestaltet. Schon damals glichen die modernen russischen Rutschbahnen denen heutiger Vergnügungsparks. Im Sommer rutschte man mit eigens dafür gebauten Wagen die Holzbahn hinunter.
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Katharina die Große, die Vergnügungen liebte, wagte es zwar nicht selbst zu rutschen. Aber sie lud viele Botschafter und Gäste aus dem Ausland ein, die tollkühne Rutsche selbst zu erleben. Die französische Baronin Anne Louise Germaine de Staël schrieb dazu in ihren Memoiren: „Man hat dort etwas erschaffen, das sich am ehesten mit Schlittenfahren im Winter vergleichen lässt. Die Russen begeistert die Geschwindigkeit: Sie flitzen wie ein Wirbelwind mit ihren Booten die Holzrutsche hinunter.“
Hochrad „Boneshaker“. Foto: Wikipedia.org
Im Winter 1867 brachte Zar Alexander II. das Hochrad „Boneshaker“ aus Paris mit. Da es zu dieser Jahreszeit in Sankt Petersburg unmöglich war, draußen Rad zu fahren, veranstalteten die Söhne des Zaren, die den Sommer nicht abwarten konnten, einfach Radrennen im Inneren des Winterpalastes. „Wir fuhren überall, sogar an den Wachen vorbei“, erinnerte sich Großfürst Sergei Aleksandrowitsch Romanow. Damals wurden die Reifen noch zur Gänze aus Gummi hergestellt, was den Nachteil hatte, dass sie einen furchtbaren Lärm machten. Die Zarensöhne donnerten durch alle Zimmer, ganz zum Unmut der Diener, die versuchten, kostbare Wertgegenstände irgendwie in Sicherheit zu bringen.
Das Hören von volkstümlicher Musik galt unter Aristokraten als unangebracht. So bevorzugten die Mitglieder der Zarenfamilie Kompositionen aus ihrer Zeit, wie etwa die Stücke von Strauß, Tschaikowski oder List. Doch die Zarenfamilie konnte sich gewisse Freiheiten erlauben und sich dem guten Ton auch widersetzen. So hörte beispielsweise Zar Alexander III. im Schloss Gattschina gern Zigeunermusik.
Zigeunerchor aus dem Film "Die Brüder Karamasow". Foto: Ria Novosti
Die Zarin Alexandra Fjodorowna hingegen genoss den Klang der Balalaika. Ihr Hoffräulein Sofia Buxhoeveden berichtete gar in ihren Memoiren, dass die Zarenfamilie, als sie „auf der Krim war, nach dem Mittagessen manchmal auf der Jacht ,Standard‘ ein Konzert eines Balalaika-Orchesters anhörte“. Der drei Jahre alte Sohn der Zarin, Alexej, soll gar Solos vorgetragen haben.
Die Zarenfamilie hatte auch eine Vorliebe für eine besondere Art von Graffiti: Mit Diamanten ritzte sie gerne Sprüche oder Daten in die Fenster ihrer Residenzen. Eines dieser „Kunstwerke“ ist bis heute in der Eremitage erhalten geblieben. So schrieb die Zarin Alexandra Fjodorowna, die Gattin von Zar Nikolaus II., auf dem Glas eines Fensters im Winterpalais: „Nicky 1902 looking at the hussars. 7 March“ („Nicky 1902, betrachtet die Hussaren. 7. März“). Die Inschrift wurde deswegen auf Englisch verfasst, weil dies die Muttersprache der russischen Zarin – einer Enkelin der englischen Königin Viktoria – war.
Michael von Zichy, "Ball im Konzertsaal des Winterpalastes im Mai 1873". Foto: Wikipedia.org
Die Bälle, die im Winterpalais veranstaltet wurden, wurden sehr oft als „wild“ bezeichnet – was wohl daran lag, dass die Ballgäste zeitweise bis in die Morgenstunden feierten. Schon damals gab es bei den Anfahrten zu den edlen Veranstaltungen Verkehrsstaus, da die Kutschen der Gäste meist doppelt so lang waren wie heutige Fahrzeuge. Der berühmte Poet Alexander Puschkin klagte einst seiner Frau, dass er ganze drei Stunden gebraucht habe, um zum Winterpalais zu kommen.
Vor allem die Zarin selbst feierte sehr gern. Der russische Staatsrat Alexander Polowzew hielt in seinen Memoiren fest: „Als die Zarin um drei Uhr morgens immer noch tanzte, schickte der Kaiser einen Tänzer mit der Anordnung zu den Musikern, dass sie aufhören sollen zu spielen. Die Musiker gingen dabei einer nach dem anderen – und das so, dass kurz vor Ende nur noch eine Geige und eine Trommel spielten. Eine echter Haydn-Scherz.“
"Nikolaus I. auf einem Maskenball". Eine Reproduktion aus dem Staatlichen Literaturmuseum in Moskau. Foto: Ria Novosti
Auch die Leidenschaft für das Theater überstieg sehr oft das Maß des Erlaubten. In seinen Notizen erinnert sich beispielsweise der Schauspieler Pjotr Karatygin daran, wie einmal Zar Nikolaus I. die Bühne betrat, während das Vaudeville „Der oberste Rang“ gespielt wurde: „Der Kaiser ging hinter die Bühne, zog sich einen grauen Mantel an und erschien auf der Bühne als der Quartalaufseher.“ In einer anderen französischen Komödie spielte der für seine raue Natur bekannte Kaiser einen Deutschen, der in einer Szene einen russischen Käufer niedertritt.
Einmal prophezeite der berühmte französische Okkultist Papus den Untergang Nikolaus II. Foto: Roger Violet / East-News
Einige Mitglieder der russischen Zarenfamilie begeisterten sich für Spiritismus. Alles begann mit einem Aufenthalt des großen italienischen Magiers Graf Cagliostro, der Okkultismus praktizierte. „Die Gesellschaft des russischen Thronfolgers hatte Spaß daran, Stühle und Hüte zu magnetisieren. Der Stuhl erhob sich, drehte sich und klopfte den Takt des Liedes ‚Gott schütze den Zaren‘“, berichtet die Hofdame Fräulein Anna Tjutschewa in ihrem Tagebuch.
Der Historiker Michail Perwuchin erzählt in seinem Werk „Der große Magier“, wie der berühmte französische Okkultist Papus auf Bitte des russischen Zaren Nikolaus II. den Geist seines verstorbenen Vaters und Zaren Alexander III. herbeirief – Nikolaus II. wollte seinen Vater um politischen Rat fragen. Doch Hoffnung gab ihm diese Séance wohl nicht: Laut Perwuchins Erzählungen prophezeite Papus den Untergang Nikolaus II.
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