Seit einer Woche fliegen die russischen Luftstreitkräfte Angriffe gegen die Stellungen islamistischer Terroristen in Syrien. Einige dutzend Einsätze waren es bislang und sorgten für stärkeren Nachhall als Tausende von Luftschlägen der US-geführten Koalition innerhalb weniger Monate. Anders als beim Vorgehen Moskaus in der Ukraine erwies sich die Reaktion des Westens diesmal als weitaus weniger geschlossen.
Frankreich, so verlautbarte Präsident François Hollande, hält ein gemeinsames Vorgehen mit Russland bei der Offensive gegen die Terrororganisation Islamischer Staat unter bestimmten Umständen für möglich. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, Russland müsse eine wichtige Rolle bei der Regulierung in Syrien spielen. Auch Baschar al-Assad könne sich am Prozess beteiligen. Großbritannien hingegen erklärte Russlands Aktion in Syrien als einen „ernstzunehmenden Fehler“. Und immer heftiger wird die Kritik vonseiten der USA: von neuen Sanktionen gegen Moskau ist dort bereits die Rede.
Gleich nach dem ersten Einsatz russischer Flieger brachten die sieben Mächte Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA, Saudi-Arabien und Katar in einer Erklärung ihre „Besorgnis“ zum Ausdruck, vorgeblich über den Tod von Zivilisten während der Offensive. Bemerkenswert: Als am selben Tag US-amerikanische Bomben zufällig auf ein Krankenhaus der „Ärzte ohne Grenzen“ im afghanischen Kundus fielen, erfolgten derlei Erklärungen nicht.
Die „Besorgnis“ einiger Länder über die Intervention Moskaus im syrischen Konflikt, die die Regierung Baschar al-Assads flankiert, droht zu einem massiven Informationskrieg zu werden und zukünftig in indirekte Maßnahmen mit fremden Händen gegen die russischen Luftstreitkräfte in Syrien umzuschlagen. Die heutigen Kritiker Moskaus könnten Waffen in diese Hände geben, denn mit der Kritik verfolgen sie eigene Ziele, die sich auf den Kampf gegen den IS nicht einschränken lassen.
Die Vereinigten Staaten kritisieren Russland dafür, dass es „auf die Falschen“ – auf die „gemäßigte Opposition“ – einschlage. Zugleich wird in Washington vermieden, die „Gemäßigten“ beim Namen zu nennen. Es gibt Fragen, die hören die Sprecher im Pentagon und im Weißen Haus gar nicht gern. So etwa Fragen danach, ob die US-geführte Koalition Formationen wie die Dschabhat al-Nusra (regelmäßig in Zusammenstöße mit dem IS verwickelt) oder Ahrar al-Sham (eine durchaus terroristische Vereinigung und Teil der Islamischen Front) angreift. Oder gegen die Armee des Islams vorgeht, die durch ihr blutiges Massaker im Geiste des IS in der Arbeitersiedlung Adra bei Damaskus berühmt-berüchtigt geworden ist. Denn die Koalition attackiert die Stellungen dieser Gruppen nicht.
Derweil schmieden die Islamische Front und die Armee des Islams Pläne zur Einrichtung eines islamischen Staates nach dem Gesetz der Scharia in Syrien und genießen die Unterstützung der Saudis. Für „gemäßigt“ gehalten werden können sie wahrlich nur bedingt. Der Islamischen Front steht eine weitere islamistische Organisation nahe, die bis vor Kurzem noch die „Mäßigung“ für sich beanspruchte – die Front Syrischer Revolutionäre. Sie als gemäßigt anzuerkennen, wurde allerdings versäumt: Sie gingen ein Bündnis mit dem IS ein.
Wenn im Westen von „Gemäßigten“ die Rede ist, dann ist damit häufig die Syrische Freiheitsarmee gemeint. Als Kampfverband fiel diese Gruppe im Frühling dieses Jahres praktisch auseinander. Dafür agiert unter ihrer „Schirmherrschaft“ ein ganzer Haufen kleiner und selbstständiger lokaler Kampfgruppen, die taktische Bündnisse mit den Islamisten, auch mit dem IS, eingehen. Wer diese Formationen bewaffnet, muss im Auge behalten, dass ihre Kämpfer häufig von einer Gruppe zur nächsten überlaufen, weswegen ihre Waffen auch beim IS landen können.
Natürlich wird der Druck auf Russland weiterhin steigen. Man will den Kreml zwingen, auf Maßnahmen zu verzichten, die die Regierungstruppen Assads stärken könnten. Ob und inwiefern Russland diesem Druck auch zukünftig standhalten wird, ist eine Frage des diplomatischen Handels. Ebenso ist es das hinsichtlich des Schicksals al-Assads, um seine Rolle im Verhandlungsprozess während der Übergangsperiode.
Aus militär-taktischer Sicht sind zwei bis drei Monate Luftunterstützung notwendig, um vor dem Hintergrund der territorialen Verluste der Regierungstruppen in diesem Jahr ihre Positionen wiederherzustellen. Das muss vor Wintereinbruch gelingen. Denn dann setzen in dieser Region starke Sandstürme ein.
Der Autor ist Politologe und Mitglied des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik.
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