Türkei und Russland: Droht ein Krieg?

Iorsch
Der Konflikt zwischen der Türkei und Russland spitzt sich immer weiter zu. Georgi Bowt beurteilt die aktuelle Situation und zieht unerfreuliche Schlüsse. Droht nun gar ein Krieg?

Die russisch-türkischen Beziehungen drohen zu eskalieren. Am 30. Januar warf die Türkei den russischen Luftstreitkräften vor, ihren Luftraum erneut verletzt zu haben. Dieses Mal soll es ein Su-34-Bomber gewesen sein. Als Antwort darauf erhöhte Ankara die Kampfbereitschaft des Militärs auf Stufe Orange. Dies bedeutet, dass der türkischen Luftwaffe die Erlaubnis erteilt wurde, das Feuer zu eröffnen, ohne sich vorab mit dem Stab abzusprechen. Ein Sprecher des russischen Militärs widersprach einer Verletzung des Luftraums vehement.

Folgt ein weiterer Abschuss?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist ein Politiker, der in schwierigen Situationen gerne mit dem Feuer spielt und dabei mit jedem Schritt den Einsatz erhöht. Seine Selbstständigkeit ist sogar den Amerikanern ein offensichtlicher Dorn im Auge. Dennoch sprach die Nato auch nach dem letzten Vorfall der Türkei ihre Solidarität aus. Beide Parteien hatte man zur Zurückhaltung aufgefordert.

Was wird aber passieren, wenn die Zurückhaltung ausbleibt? Sind die Türken bereit, zu provozieren und ein weiteres russisches Flugzeug abzuschießen?

Es wäre schwieriger als im November des letzten Jahres als ein Su-24-Bomber abgeschossen wurde. Rund um den russischen Stützpunkt in der syrischen Stadt Latakia wurden die Anlagen der Flugabwehr C-400 bereits mobilisiert. Somit besteht für die türkische Luftwaffe de facto eine Flugverbotszone im Norden Syriens. Eine Verletzung ohne Vorwarnung könnte einen Abschuss zur Folge haben.

Die Türkei ist auch in Syrien aktiv

Die Lage wird zusätzlich erschwert, da sich türkische Einheiten offenbar mit Bodenoperationen am Syrien-Konflikt beteiligen. Das Hauptziel der Militärpräsenz auf dem Boden scheint nicht der Kampf gegen den IS zu sein. Vielmehr sollen wohl Erfolge der kurdischen Rebellen im Norden des Landes verhindert werden. Wären die Türken damit einverstanden, dass ihre Bodenoperationen trotz einer Flugverbotszone stattfinden würden? Wohl kaum.

Die Zusammenarbeit Moskaus mit der US-amerikanischen Luftwaffe über Syrien ist seit dem Einsatzbeginn geregelt. Seit dem Abschuss des russischen Su-24 wurden jedoch alle Kontakte zu türkischen Einheiten abgebrochen. Die Gefahr einer militärischen Konfrontation, sei sie auch zufällig, steigt somit enorm.

Im Fall einer Konfrontation mit Russland rechnet die Türkei natürlich mit der Solidarität der Nato. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mitglieder der Allianz davon begeistert wären. Sie würden zu Geiseln des riskanten Spiels Erdoğans werden. Seine strategischen Ziele stimmen bei Weitem nicht mit allen Zielen der USA und der anderen westlichen Partner überein. Der Flirt der türkischen Geheimdienste und Politiker mit dem IS sowie die Bewertung der Rolle kurdischer Rebellen im Kampf gegen die Islamisten sind Beispiele dafür.

Erdoğan nimmt die EU in Geiselhaft

Die Türkei erpresst die Europäische Union beinahe offen damit, dass sie Europa mit Hunderttausenden von Flüchtlingen überschwemmen könnte, sollten die Europäer nicht kooperieren. Selbst die von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochenen drei Milliarden Euro für ein Zurückhalten der syrischen Flüchtlinge in der Türkei, zurzeit etwa zwei Millionen Menschen, sind Ankara zu wenig. Die Türkei zielt auf die Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen EU-Beitritt sowie die noch diesjährige Abschaffung der Visapflicht ab. Die Abschaffung der Visapflicht für ein muslimisches Land mit etwa 80 Millionen Einwohnern und Hunderttausenden Flüchtlingen ist wohl kaum das, wovon Europa momentan „träumt“.

Vor Kurzem erzählte eine anonyme Quelle innerhalb der russischen Geheimdienste, dass die Spuren des Terrorangriffs auf das russische Passagierflugzeug über dem Sinai am 31. Oktober 2015 in die Türkei führten. Konkret sei die Terrororganisation Graue Wölfe gemeint. Ihre Mitglieder gelten auch in Europa als Terroristen.

Der Türkei wird vorgeworfen, internationale Terroristen zu decken. Sollten diese bislang nur inoffiziell geäußerten Vorwürfe mit neuen Beweisen gestützt werden, würde Erdoğan im Westen an Glaubwürdigkeit verlieren.

All das könnte den türkischen Präsidenten aber nicht davon abhalten, weitere riskante Schritte zu gehen. Auch militärische Aktionen als Beweis für die Stärke der türkischen Armee sind nicht auszuschließen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die russischen Streitkräfte aufgrund türkischer Drohungen ihre Sachen packen und verschwinden werden. Ihre Arbeit vor Ort ist noch nicht getan. Wladimir Putin gehört zudem auch nicht zu jenen Politikern, die unter Druck nachgeben.

Der Autor ist Politologe und Mitglied des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik.

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