Russland trauert um Helmut Schmidt

In russischen Nachrichten wird Schmidt Kritik an der Politik der deutschen Bundeskanzlerin, wenn es um die Sanktionen ging, angerechnet.

In russischen Nachrichten wird Schmidt Kritik an der Politik der deutschen Bundeskanzlerin, wenn es um die Sanktionen ging, angerechnet.

DPA
In Nachrufen russischer Politiker und der Medien wird der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt als großer europäischer Politiker gewürdigt. Vertrauen sei zweiseitig, so seine unter Russen beliebteste Botschaft.

Konstantin Kossatschew, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus, brachte es auf den Punkt: Mit Helmut Schmidt sei „eine der epochemachenden Gestalten aus der besten Zeit der europäischen Politik“ von uns gegangen. Ein Vergleich mit den gegenwärtigen EU-Politikern, so Kossatschew, falle nicht gerade zu deren Gunsten aus.

Dabei hat der verstorbene Altkanzler es den russischen – seinerzeit sowjetischen – Politikern während seiner Amtszeit nicht leicht gemacht. Unisono erinnern die Moskauer Medien an das Diktum vom „Obervolta mit Atomraketen“, mit dem Schmidt den großen Gegner im Kalten Krieg, die UdSSR, belegte.

Und auch sonst war sein Verhältnis zu Russland zunächst ein denkbar schwieriges. Es begann mit seiner Zeit als junger Leutnant im Zweiten Weltkrieg. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte er 2012: „Als Hitler im Juni 1941 den Ost-Feldzug begann, habe ich gewusst, wir würden den Krieg verlieren.“ Dennoch ging er freiwillig an die Ostfront, wo er fünf Monate, bis Ende 1941, als Flak-Offizier in der ersten Panzer-Division kämpfte. In jener Zeit war er an der Leningrader Blockade beteiligt. Sein Eisernes Kreuz zweiter Klasse entstammte diesem Kriegsabschnitt.

Das Bekenntnis zum wehrhaften Staat kostete den widerborstigen Mann, der schon 1953 im Bundestag saß, fünf Jahre später die Mitgliedschaft im SPD-Fraktionsvorstand: Er hatte an einer Wehrübung teilgenommen. Auch später stand der drohende militärische Konflikt mit dem östlichen Nachbarn im Mittelpunkt von Schmidts politischem Leben, sei es als Verteidigungsminister 1969 bis 1972 oder bei der Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss, die ihn 1982 schließlich die Kanzlerschaft kostete.

Der Habitus des aufgeklärten, im Alter abgeklärten Offiziers prägte seine öffentliche Erscheinung bis zum letzten Tag. Im inzwischen „postheroischen“ Deutschland wirkte das befremdlicher als in Russland, wo militärische Haltung auch im 21. Jahrhundert noch etwas gilt.

Trotz allem war der „Macher“ Schmidt einer der großen Protagonisten der Entspannungspolitik der siebziger Jahre. Der Besuch des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnjew und seines Außenministers Gromyko 1978 im Langenhorner Privathaus der Schmidts war ein Höhepunkt jener Zeit, eineinhalb Jahre vor dem alles verändernden sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Die Werke von Marx und Engels im Schmidt’schen Bücherregal, Spargel mit Schinken, als Dessert Rumtopf – aus dem Langenhorner Treffen wurde, wie Schmidt später sagte, „eine ziemlich fröhliche Runde“.

Im  November 1981 trafen sich Leonid Breschnew und Helmut Schmidt in Bonn. Foto: DPA

In den Jahrzehnten seit seinem Abgang hat sich nicht nur der politische Stil verändert – die Welt ist eine andere geworden. Neoliberalismus, Neokonservatismus, das waren zu Schmidts Amtszeiten unbekannte Begriffe. Der Westen war damals noch grundbescheiden; hinter dem Eisernen Vorhang saß schließlich die große, weithin gefürchtete Alternative „Kommunismus“. Mit den heutigen Verhältnissen ist das alles nicht zu vergleichen; inzwischen wird jedes Land gescholten, das nicht nach Mustervorlage demokratisch ist. Allen voran Russland.

Umso genauer nahm man dort wahr, wenn Helmut Schmidt von der Warte des „Elder Statesman“ aus warnend den Zeigefinger hob. Vertrauen sei zweiseitig, so wird er in Russland gerne zitiert, und werde durch die „idiotischen Vorschläge und Absichten“ zerstört, die Europäische Union um die Länder Ukraine, Georgien und Armenien zu erweitern. Auch dass Schmidt schon zu Amtszeiten ein Befürworter der Politik der Nichteinmischung war, wird ihm in russischen Nachrufen angerechnet – ebenso wie seine Kritik an der Politik der deutschen Bundeskanzlerin, wenn es um die Sanktionen ging und darum, Russland zu erzieherischen Zwecken von den Tischen der westlichen Staatengemeinschaft zu verbannen.

Immer wieder erinnerte er daran, dass Russland in der nicht-westlichen Welt alles andere als isoliert ist: „Die G8 ist in Wirklichkeit nicht so wichtig wie die G20. Aus der G20 hat man die Russen bisher nicht rauskomplimentiert.“ Die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnete der Altkanzler als „durchaus verständlich“, die Sanktionen gegen Russland und die Ostukraine hingegen als „dummes Zeug“. Dass sie ihr Ziel verfehlen würden, prognostizierte er schon 2014.

Der Ukraine-Konflikt, so Schmidt noch in diesem Jahr, zeige auf, wie zerbrechlich die gegenwärtige Weltordnung sei. Jede der beteiligten Parteien hätte „entschiedene Fehler“ begangen. Der Senior der deutschen Politik sah für die Ukraine nur eine Lösung: eine Annäherung an Europa bei anhaltend guten und engen Beziehungen zu Russland.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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