Ab Samstag sollen in Syrien die Waffen schweigen. Doch viele Fragen sind ungeklärt. Das Abkommen haben die zwei Interessengruppen Russland und die USA ermöglicht und wurde von der syrischen Regierung in Damaskus sowie einigen Fraktionen der Opposition, die den Präsidenten Baschar al-Assad seit mehr als vier Jahren zu stürzen versuchen, gebilligt. In der Öffentlichkeit löste es vor allem drei Stimmungen aus: Diplomaten reagierten vorsichtig optimistisch, Nahost-Experten eher skeptisch und die Gegner auf dem Schlachtfeld vor allem zynisch.
Auf der einen Seite schränken die Siege von Damaskus die taktischen Möglichkeiten der syrischen Opposition ein. Die nötige „strategische Tiefe“ für einen würdigen Rückzug haben ihr Assads Truppen genommen. Ausgerechnet jene unter Druck zu setzen, die man im guten Glauben als Verhandlungspartei sah, war allerdings nicht richtig, weil es die Opposition dazu bringen könnte, bis zum bitteren Ende kämpfen zu wollen.
Auf der anderen Seite machten die Einsätze zur Befreiung Aleppos wenig Unterschied zwischen den einzelnen paramilitärischen Formationen, die zum einen gemäßigten islamischen, zum anderen aber den radikalen islamistischen Gruppen angehören, die die strategisch wichtige Stadt im Norden des Landes seit Jahren belagern.
Für Baschar al-Assad könnte jede Verzögerung im Prozess der mehr oder weniger glatt laufenden Rückeroberungen der besetzten Gebiete einen Rückschlag bedeuten, denn das Tempo der Offensive würde verlangsamt. Eine Atempause könnten die Feinde nutzen, sich neu zu formieren, aufzurüsten und Munitionsbestände aufzufüllen, um dann mit aller Kraft zurückzuschlagen.
Außerdem zieht jede Feuerpause eine Reihe von Ereignissen nach sich; sie markiert den Beginn eines langwierigen Prozesses. Ähnlich wie bei einem Karussell muss jeder Begriff und jede Bedingung, die in einem Übereinkommen festgelegt wurden, regelmäßig wieder in Augenschein genommen werden, um zu sehen, welche Fortschritte gemacht wurden und wie man mit neu entstandenen Herausforderungen umgehen soll.
Grigori Kosach, Politikexperte für die arabische Welt und Professor an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität in Moskau, glaubt nicht, dass das Waffenstillstandsabkommen in einen politischen Prozess münden wird. „Am Tag nach der Ankündigung der Feuerpause habe ich mir die saudi-arabischen Tageszeitungen angeschaut. Sie schrieben über das traditionelle Montagstreffen der Regierung. Das Abkommen über die Feuerpause wurde nirgends erwähnt. Solange Saudi-Arabien und andere Golf-Monarchien das Abkommen nicht unterzeichnen, ist es im Prinzip wertlos.“
Im Rahmen seiner Rede am Tag des Verteidigers des Vaterlandes, an dem Russland seiner Streitkräfte gedenkt, verteidigte der russische Präsident Wladimir Putin seine Außenpolitik. Er sei überzeugt, dass Russlands Verbündete den Waffenstillstand in der Region einhalten werden. Seine Hoffnung beruht auf den USA, die die regionalen Akteure im Einflussbereich der US-Außenpolitik dazu bewegen sollen, dasselbe zu tun.
Das könnte die richtige Taktik sein. Da die USA als Sicherheitsgarant im Mittleren Osten an Bedeutung eingebüßt haben, ist es nicht sicher, dass die sunnitischen Königreiche auf Washington so hören werden wie früher.
Doch dies ist nicht das einzige Minenfeld. Ein Risiko geht auch von dem in die Ecke gedrängten und oft suizidal wütenden Präsidenten Assad aus. „Der syrische Präsident ist eine harte Nuss“, sagt Politikexperte Kosach. Mit Hinblick auf die Rolle Russlands als Unterstützer und Syriens als Unterstützter führt er aus: „Vielleicht werden wir bald sehen, wie der Schwanz mit dem Hund zu wedeln beginnt.“ Der Experte schließt nicht aus, dass Assad eine versteckte Agenda verfolgt, auch wenn er sich nach außen dankbar für Moskaus Unterstützung gibt.
Im Moment scheinen die negativen Faktoren die positiven zu überwiegen. Wie schön wäre es, wenn sich diese entmutigende Prognose nur als schlechte Kaffeesatzleserei herausstellen würde.
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