Russland zum Brexit: „Eine Katastrophe ist das nicht“

Was russische Politiker und Experten nach der historischen Abstimmung sagen.

Was russische Politiker und Experten nach der historischen Abstimmung sagen.

DPA/Vostock-Photo
Großbritannien wird die Europäische Union verlassen. Russische Politiker und Experten versuchen, den Grund für den Ausstieg zu finden als auch Antworten, wie es im vereinten Europa nun weitergeht.

52 Prozent der Briten haben bei dem Referendum am gestrigen Donnerstag für einen Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt. Damit verabschiedet sich das Land nach 43 Jahren von der EU. Premierminister David Cameron, der das Referendum eigentlich initiiert hatte, um die Europagegner ein für alle Mal ruhig zu stellen, hat seinen Rücktritt bereits für Oktober angekündigt.

Eine Niederlage für Brüssel

„Als bedeutendstes aller Integrationsprojekte hat Europa neben ganz offensichtlichen Erfolgen sein wichtigstes Ziel nicht erreicht: verständlich und komfortabel für die breite Bevölkerungsmasse zu werden“, schrieb Konstantin Kosatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Föderationsrats, auf seiner Facebook-Seite. Die aufgeblähte Bürokratie der Europäischen Union sieht Kosatschow als Hauptgrund für die Unzufriedenheit: Sie hindere Brüssel, auf neue Herausforderungen und Probleme, wie zum Beispiel den internationalen Terrorismus oder die Flüchtlingskrise, flexibel zu reagieren.

Sein Kollege Alexej Puschkow, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, stimmte ihm zu. Er ließ sich auf Twitter zu einem kleinen Wortgefecht mit dem früheren Botschafter der USA in Russland, Michael McFaul, hinreißen.

Michael McFaul schrieb: „Shocked by #Brexit vote! Losers: EU, UK, US, those that believe in utility of a strong, united, democratic Europe. Winners: Putin“ (zu Deutsch: „Geschockt von #Brexit-Wahl! Verlierer: EU, Großbritannien, USA, alle, die an den Nutzen eines starken, vereinten, demokratischen Europas glauben. Gewinner: Putin“).

Darauf antwortete Puschkow: „Russland hat damit nichts zu tun. Das ist eine Niederlage der Brexit-Gegner. Und ein persönliches Versagen Barack Obamas“.

Er meinte nicht, beschwichtigte McFaul, Putin hätte in irgendeiner Weise die Wahl der Briten beeinflusst, doch ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU sei für ihn von Vorteil.

„Eine Katastrophe ist das nicht“

Die Nachricht vom Brexit hat die europäischen Börsen bereits zum Absturz gebracht. German Gref, Chef der russischen Sberbank, hatte bereits im Vorfeld des Referendums gewarnt, dass auch Russland einen Schlag verspüren könnte: „Es wird zu Panik kommen. Und das wird äußerst negative Auswirkungen auf unsere Wirtschaft, auf den Rubelkurs und die Investitionen in russische Wertpapiere haben.“

Andere russische Wirtschaftsexperten beschwichtigen, dass der Absturz nur von kurzer Dauer sein und Russland nicht berühren werde. „Man kann die Entscheidung der Briten zum Ausstieg aus der EU bedauern. Aber eine Katastrophe ist das nicht, obwohl es auf dem Finanzmarkt zu einer kurzfristigen Instabilität kommen wird“, sagte der frühere Finanzminister Alexej Kudrin am Freitagmorgen auf Twitter. Seiner Meinung nach wird der Brexit Russland nicht betreffen: „Wir haben unsere eigenen, deutlich spürbareren Probleme.“

Rückenwind bekommt Kudrin von dem amtierenden Finanzminister Anton Siluanow: Er glaubt, dass Russland nach dem Brexit mit sinkenden Erdölpreisen und einem weiteren Rubelverfall zu rechnen habe, der Einfluss dieses Ereignisses auf die wirtschaftliche Situation im Land sich jedoch in Grenzen halten werde.

Berlin gewinnt weiter an Gewicht

Wie der Ausstieg Großbritanniens sich auf das Verhältnis zwischen Russland und der EU auswirken wird, ist indes umstritten. „Langfristig betrachtet wird er von Vorteil sein, da eine EU ohne Großbritannien Kontinentaleuropa gesprächsbereiter werden lässt“, meint Timofej Bordatschow, Direktor des Zentrums für europäische und internationale Forschung der Fakultät für Weltwirtschaft und -politik an der Higher School of Economics in Moskau.

Bordatschow glaubt, dass die Dominanz Deutschlands weiter zunehmen wird. Berlin sei zu einer Kooperation mit Moskau weitaus eher bereit als das traditionell den USA nahestehende London, meint er. Für die EU selbst sei der Brexit „zunächst sehr schlecht“, da die Dominanz Deutschlands zu einer Instabilität in der Union führen werde.

Dmitrij Danilow, Leiter der Abteilung für europäische Sicherheit an der Russischen Akademie der Wissenschaften, stimmt mit Bordatschow dahingehend überein, dass Europa eine Phase der Instabilität droht. Er glaubt aber nicht, dass Russland davon profitieren wird. „Strategische Unstimmigkeiten liegen nicht im Rahmen russischer Interessen“, sagt der Experte RBTH. Die verbleibenden EU-Länder könnten nun danach streben, das Bündnis zu konsolidieren und die Einheit zu bewahren, gibt Danilow zu bedenken, also auch in politischen Fragen, was zu einem schärferen Kurs gegenüber Russland führen könne.

Der Sicherheitsexperte sieht aber auch andere Möglichkeiten: Eine geschwächte Europäische Union etwa wäre geneigt, die Hilfe externer Partner zu suchen. In erster Linie seien das die USA. Doch Brüssel könnte ebenso versuchen, die Zusammenarbeit mit Russland zu reaktivieren. „Es gibt Chancen, die Beziehungen zur EU wieder zu verbessern und dem Bündnis aus der Krise zu helfen, und ich glaube, in dieser Richtung sollten wir handeln“, sagt der Experte.

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