Anti-Terror-Paket: Wie die Duma das Fürchten lehrt

Irina Jarowaja.

Irina Jarowaja.

Anna Isakova/TASS
Am letzten Arbeitstag vor den Ferien verabschiedete die Staatsduma ein umfassendes Anti-Terror-Paket, das viele Russen zu spüren bekommen werden. Petitionen, das Paket noch zu kippen, laufen bereits. Doch dafür könnte es zu spät sein.

Das sogenannte Anti-Terror-Paket der Abgeordneten Irina Jarowaja und des Senators Wiktor Oserow ist das letzte Geschenk der sechsten Staatsduma. Nach der Verabschiedung des Pakets ging die Duma in die Sommerferien, im Herbst wählen die Russen neue Abgeordnete.

Die „Jarowaja-Gesetze“, wie der Wurf auch genannt wird, war ein gewaltiger Schlussakkord. Der russische Mediendienst Medialogija bezeichnete sie bereits als die bedeutendste Initiative der Staatsduma der letzten fünf Jahre.

Tatsächlich verschärfen die zahlreichen Gesetzentwürfe die russische Gesetzgebung wesentlich. In der Öffentlichkeit wurden sie daher als „enorm streng“, „repressiv“ und sogar „menschenverachtend“ bezeichnet. Zwar wurden einige ominöse Vorschläge gestrichen, doch die verbliebenen können das Leben der Russen immer noch stark beeinflussen.

Worum geht es beim neuen Gesetzpaket?

Das Anti-Terror-Paket ist insbesondere zur effektiveren Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus gedacht. Der Großteil der Gesetzentwürfe und Gesetzesänderungen zielt auf diesen Zweck ab.

So wurde der Artikel über die „unterlassene Meldung einer Straftat“ neu ins russische Strafgesetzbuch eingeführt. Demnach macht sich strafbar, wer Informationen über die Vorbereitung eines Terroranschlags, einer bewaffneten Ausschreitung oder anderer Straftaten (insgesamt 15) nicht anzeigt. Bei einer Verurteilung droht eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr.

Neu ist auch die Ahndung von internationalem Terrorismus: Werden bei einem Anschlag oder bei der Androhung eines solchen im Ausland russische Bürger verletzt oder getötet, können  die Verantwortlichen künftig mit lebenslangen Haftstrafen geahndet werden.

Darüber hinaus wurde die Rechtfertigung von terroristischen Taten im Internet ähnlichen Aussagen in klassischen Medien gleichgesetzt, das heißt im Fall der Fälle sieben Jahre Haft. Auch neu ist das Strafmündigkeitsalter, das nun auf 14 Jahre herabgesetzt wurde.

Ein großer Teil der Gesetze betrifft die Telekommunikationsbranche: Die Mobilfunkbetreiber sind nun verpflichtet, Anrufe und sonstige Korrespondenz ihrer Kunden sechs Monate sowie die dazugehörigen Metadaten insgesamt drei Jahre lang zu speichern. Dienste, die eine Verschlüsselung von Nachrichten anbieten, müssen auf Verlangen des Geheimdienstes FSB die Schlüssel zur Dekodierung bereitstellen.

Welche Kritik gab es während der Verhandlungen?

Monatelang wurde über die „Jarowaja-Gesetze“ debattiert. Vor der ersten Lesung sah das Dokument noch vor, russischen Terroristen oder Extremisten die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dies wurde gestrichen, nachdem sich der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten zu Wort meldete: Nicht nur, dass ein solcher Vorschlag „jeglicher Logik“ entbehre, ein Entzug der Staatsbürgerschaft sei überdies verfassungswidrig.

Die Regierung lehnte indes nur einen Punkt ab: die Verpflichtung der Mobilfunkbetreiber, eine so große Datenmenge aufzubewahren. Sie hätten gar keine technischen Möglichkeiten dafür. Das Gesetz wurde dennoch verabschiedet.

Wie wurde das Gesetzpaket nach seiner Verabschiedung aufgenommen?

„Die Staatsduma hat die goldene Mitte zwischen der Wahrung der Menschenrechte und der Gewährleistung der Sicherheit der Bürger gefunden“, lobte der Vorsitzende der Staatsduma Sergej Naryschkin. „Natürlich gab es Kritik, aber meiner Meinung nach wurde eine Kompromisslösung erzielt“, fügte er hinzu.

Michail Fedotow, der Vorsitzende des Menschenrechtsrats, sieht das jedoch anders. Er meint, das Gesetzpaket sei „nicht durchgearbeitet, nicht durchdacht und nicht präzise“, und forderte eine Nachbearbeitung. Telekommunikations-Minister Nikolaj Nikiforow stimmte zu: „Das Parlament hat sich so beeilt, dass es das relevante Ministerium dazu gar nicht angehört hat.“

Offenbar sollte das Paket unbedingt noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Eine Marketingmaßnahme vor den Wahlen, glaubt Rechtsanwalt Sergej Badamschin: „Es ist ein Versuch, die öffentliche Meinung zu sondieren“, sagte er der Onlinezeitung Gazeta.ru.

Inzwischen haben Aktivisten Petitionen gegen die Verabschiedung der Gesetzesänderungen ins Leben gerufen und verbreiten sie in den sozialen Netzwerken.

Was ändert sich für Russlands Telekommunikationsbranche?

Mobilfunkpreise werden steigen, das kündigten die führenden Anbieter in Russland bereits an. „Mindestens um das Doppelte oder Dreifache“, sagte ein Sprecher von Megafon dem Wirtschaftsblatt „RBC“. Die Konkurrenzanbieter Tele2 und MTS gaben ähnliche Schätzungen an.

Grund sind die schärferen Anforderungen der Gesetzgebung, die zusätzliche technische Mittel erfordern. Knapp zwei Milliarden Euro Anschaffungskosten und jährlich etwa 80 bis 100 Millionen Euro Betriebskosten kämen auf die Branche zu, sagte die Mail.Ru Group.

Vor Veränderungen stehen auch Messenger-Dienste in Russland, die eine Verschlüsselung anbieten. Sie könnten gesperrt werden, sollten sie den Schlüssel zur Dekodierung nicht bereitstellen. Telegram-Gründer Pawel Durow kündigte bereits an, den Anforderungen des neuen Gesetzes nicht zu folgen. „Telegram übergibt weder Daten noch Kodierungsschlüssel an Dritte, auch nicht an die Regierung“, erklärte er.

Kann man noch etwas ändern?

Im Moment nicht. Das Oberhaus des Parlaments, der Föderationsrat, hat das Paket bereits genehmigt, nun muss es noch von Präsident Wladimir Putin unterzeichnet werden. Theoretisch könnte er ein Veto einlegen, das passiert aber extrem selten. Die Gesetze werden also wohl verabschiedet.

Allerdings ist es wahrscheinlich, dass sie nach den Wahlen vom neuen Parlament in Ruhe korrigiert und nachgearbeitet werden. Der Föderationsrat hat bereits erklärt, Änderungen zuzulassen, beispielsweise wenn die Mobilfunkbetreiber die Notwendigkeit von Preiserhöhungen nachweisen.

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