Moskau befürchtet eine ukrainische Militäroffensive im Donbass.
ReutersDie verschärfte Lage im Donbass ist für den russischen Vize-Außenminister Grigorij Karasin ein Zeichen dafür, dass sich Kiew auf einen militärischen Angriff im Osten der Ukraine vorbereitet. Das erklärte er vergangene Woche bei einem Treffen mit dem deutschen und dem französischen Botschafter in Russland. Die Diplomaten bat er deshalb darum, „ihren politischen Einfluss auf Kiew dafür zu verwenden, ein bewaffnetes Szenario zu verhindern“. Deutschland, Frankreich und Russland gehören zum sogenannten Normandie-Quartett, das die Regulierung des Donbass-Konflikts zum Ziel hat.
Eine ganz ähnliche Forderung wurde aber auch an den russischen Präsidenten Wladimir Putin selbst gestellt: In einem Telefonat am Tag nach dem Botschaftertreffen appellierte US-Präsident Barack Obama an seinen Amtskollegen, „Maßnahmen zu ergreifen, um einen möglichen militärischen Zusammenstoß im Osten der Ukraine zu verhindern“. Die rebellischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk stehen unter dem Schutz Moskaus.Doch nicht nur in Russland ist von einer möglichen Wiederaufnahme der Kampfhandlungen die Rede. Auch in Kiew wurde diese Möglichkeit besprochen – wie immer mit dem Verdacht, dass der Kreml die Situation in der Ukraine im Allgemeinen und im Donbass im Speziellen destabilisieren wolle. Wie Andrej Parubij, der Sprecher des ukrainischen Parlaments, erklärte, könnte Moskau dazu verleitet werden, genau dies angesichts der „bevorstehenden Wahlen in den USA und wegen der Krise in der Europäischen Union“ zu tun.
Ein Anstieg der militärischen Spannungen an der Grenze zum Donbass in letzter Zeit ist unumstritten. Medienberichten zufolge haben die bewaffneten Zusammenstöße in den vergangenen Wochen um ein Drittel zugenommen. Auch die OSZE berichtete, dass die Feuerpause in der Region wiederholt missachtet wurde.
Dennoch gebe es keinen Anlass zu glauben, die Ukraine bereite eine großangelegte Invasion in die aufständischen Regionen des Donbasses vor, sagen indes russische Experten. Der stellvertretende Vorsitzende des Instituts der GUS-Staaten Wladimir Jewseew etwa erklärte: „Von einer großen Mobilmachung durch Kiew kann keine Rede sein. Wohl eher geht es darum, dass radikale Aufständische, die daran interessiert sind, die Beziehungen Russlands zum Westen zu verschlechtern, provoziert werden.“Auch Militärexperte Wiktor Murachowskij, Chefredakteur der Fachzeitschrift „Arsenal Otetschestwa“ (zu Deutsch „Arsenal der Heimat“), erklärte in einem Gespräch mit RBTH, ihm lägen keine Informationen vor, dass „die Ukraine irgendwelche umfangreichen militärischen Aktionen unternehmen möchte“.
Aleksandr Chramtschichina, stellvertretender Leiter des Instituts für politische und militärische Analysen, meint hingegen, dass es keiner speziellen Informationen über etwaige Vorbereitungen zu einem Angriff durch Kiew bedürfe. Die kämpferischen Handlungen im Donezbecken hätten ohnehin niemals aufgehört. Der Krieg, so erklärt der Experte, könne „jederzeit erneut ausbrechen“. Den Grund sieht Chramtschichina in der Unzufriedenheit beider Seiten mit dem derzeitigen Status quo, denn sowohl Kiew als auch Donezk und Lugansk hätten auf mehr gehofft.
Wie Militärjournalist Murachowskij erneut betont: „Die Ukraine erprobt ihre Armeeeinheiten im Rahmen von lokalen Einsätzen regelmäßig – und das zum Teil unter Einsatz schwerer Geschütze.“ Diese Einsätze beziehen sich laut Murachowskij vor allem auf paramilitärische Bataillons, wie zum Beispiel in jenen Gebieten, die von Befürwortern der Volksrepublik Debalzewe kontrolliert werden. Zwei Einsatztruppen des ukrainischen Militärs hätten dabei versucht, die neutrale Zone einzunehmen, erzählt Murachowskij. Doch sie seien heftigem Widerstand begegnet, weswegen sich die ukrainischen Truppen zurückziehen mussten. „Aus militärischer Sicht sind solche Einsätze einfach nur sinnlos“, findet der Experte.
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