Was bedeutet der Putschversuch für das russisch-türkische Verhältnis?

Die russisch-türkischen Beziehungen stehen unter schlechten Vorzeichen.

Die russisch-türkischen Beziehungen stehen unter schlechten Vorzeichen.

Reuters
Während der Kreml sich zurückhaltend äußert, hat die Mehrheit der Experten eine klare Meinung zum Putschversuch in der Türkei: Die Ereignisse werden keinen positiven Einfluss auf die Beziehungen zu Russland haben.

In der Nacht zum Samstag fand in der Türkei ein versuchter Militärputsch statt. Eine Gruppe von Rebellen innerhalb der Armee kaperten Hubschrauber und führten mehrere Luftschläge auf öffentliche Gebäude in Ankara aus. In Istanbul blockierten die Putschisten die Brücken über den Bosporus, besetzten das Gebäude des wichtigsten türkischen Mediums, des Fernsehsenders TRT, und des Medienzentrums Dogan Media Group, dem der Fernsehsender CNN Turk und die größte Oppositionszeitung des Landes „Hurriyet“ gehört.

Über 260 Menschen kamen ums Leben, fast anderthalbtausend wurden verletzt. Initiator des Putsches sei eine Gruppe Offiziere der Militärpolizei und der Luftstreitkräfte des Landes gewesen, erklärte der kommissarische Generalsstabschef der Türkei Ümit Dündar

Mehr als 2 800 Personen seien wegen des Verdachts auf Beteiligung an diesem versuchten Staatsstreich festgenommen worden.

Verhaltene Reaktion aus Moskau

Während die internationale Gemeinschaft den Putschversuch in der Türkei verurteilte, reagierte Moskau etwas zurückhaltender. Dmitrij Peskow, Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, brachte seine Sorge zum Ausdruck: „Wir sind daran interessiert, dass das, was gerade in der Türkei passiert, möglichst schnell einen legitimen Abschluss findet, und das Land auf den Weg der Stabilität, Vorhersagbarkeit und Rechtsordnung zurückfindet“, erklärte Peskow.

Er bemerkte zudem, dass Präsident Putin zu keiner der beiden an den Ereignissen in der Türkei beteiligten Seiten Kontakt aufgenommen habe. Putins Reaktion ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt. Russland Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew rief Ankara dazu auf, die Verfassungsordnung umgehend wiederherzustellen, und erklärte: „Die Geschehnisse zeigen, dass in der Gesellschaft und in der türkischen Armee sehr ernsthafte und tiefgreifende Widersprüche existieren, die sich nun in diese Ereignisse entladen haben.“

Die Ereignisse sind nicht zum Vorteil der Beziehungen

Ende Juni bat der Präsident der Türkei Recep Tayyip Erdoğan Russland um Entschuldigung für den Abschuss des russischen Kampfflugzeuges am 24. November 2015, der zu einer Krise in den bilateralen Beziehungen geführt hatte. Es folgten Anstrengungen, um das Verhältnis wieder zu normalisieren: Noch Ende Juni telefonierten Putin und Erdoğan erstmals wieder miteinander. Die Seiten vereinbarten ein persönliches Treffen für die nächste Zeit und eine Einstellung der russischen Tourismus-Sanktionen.

„An der Macht befindet sich dort eine Führungspersönlichkeit, die ihre Absicht, dieses Verhältnis wiederherzustellen, deutlich zum Ausdruck gebracht hat“, sagt Ilschat Sajetow, Türkei-Experte und Direktor des Zentrums für Studien zur modernen Türkei. Deshalb glaubt er, dass „die neue Situation sich nicht negativ auf die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei auswirken“ wird.

Dennoch sieht der Experte eine Gefahr: „Die allgemeine Instabilität in der Türkei – Terroranschläge, der Putschversuch, die Polarisierung der Gesellschaft und vieles anderes mehr – sind den Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht sehr dienlich. Die Konzentration der gesamten Macht in den Händen des türkischen Präsidenten erhöht das Risiko nicht durchdachter Entscheidungen, und die russische Regierung wird diese Tatsache berücksichtigen.“

Mit dieser Meinung stimmt auch Juri Mawaschew überein, Orientalist und Turkologe sowie Experte des Caucasus Geopolitical Club. „Die vergangenen sieben Monate der russisch-türkischen Krise haben sich unweigerlich auf die Einschätzung eines bestimmten Teils der russischen Gesellschaft ausgewirkt“, sagt er. So hätten nicht wenige russische Experten den Putschversuch in den ersten Stunden begrüßt. Der Putsch hätte tief verwurzelte Ursachen, habe es geheißen, und spiegle die sich angestauten Probleme der türkischen Gesellschaft wider. „Diese Einschätzungen zeigen, dass die russische Gesellschaft noch nicht vollkommen überzeugt ist, dass die Führung des Landes tatsächlich bestrebt ist, die Beziehungen – unter Berücksichtigung der früheren Fehler – auf das notwendige Niveau zurückzuführen“, meint Mawaschew.

Eine etwas optimistischere Einschätzung gibt Kerim Has, Fachmann für eurasische Politik bei der International Strategic Research Organization, einem unabhängigen Think-Tank in Ankara. Seiner Meinung nach werden die jüngsten Ereignisse der Normalisierung der Beziehungen zu Moskau einen neuen Impuls geben. Dennoch räumt auch er Gefahren ein: „Die Führung der Türkei wird beginnen, eine unabhängigere Politik zur Stärkung der Sicherheit im Lande zu führen. Negative Folgen dieser Politik werden eine Verringerung des Touristenstroms aus Russland und eine Verzögerung bei der Rücknahme der russischen Wirtschaftssanktionen sein“, vermutet Has.

Hasan Oktay, ein türkischer Analyst und Leiter des Zentrums für strategische Kaukasus-Studien mit Sitz in Ankara, meint ebenfalls, dass die Ereignisse sich nicht negativ auf die Beziehungen zu Moskau auswirken werden. „Der Putschversuch ist gescheitert. Die Rädelsführer wurden verhaftet. Die Demokratie hat gesiegt“, resümiert der Experte.

Dossier: Putin und Erdoğan suchen einen Weg aus der Krise

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