The Big Nato Theory: Humor im Auftrag des Kremls

In der Satiresendung "Projektorperishilton" war schon einmal Til Schweiger dabei.

In der Satiresendung "Projektorperishilton" war schon einmal Til Schweiger dabei.

Maxim Li/RIA Novosti
Die Nato hat russische Comedy-Sendungen der letzten neun Jahre unter die Lupe genommen. Ergebnis der Untersuchung: Russische Comedians verfolgen nur ein Ziel – Propaganda. Diese „Enthüllung“ blieb in Russland natürlich nicht unbeachtet.

Im Nato-Kompetenzzentrum für strategische Kommunikation (StratCom) schrillen die Alarmglocken – die Bedrohung: russischer Humor. Am Freitag hat das Zentrum in der lettischen Hauptstadt Riga einen Bericht unter dem Titel „StratCom lacht. Auf der Suche nach einem analytischen Geflecht“ („StratCom laughs: in search of an analytical network“) veröffentlicht.

Darin untersuchen die Kommunikationsspezialisten vier russische Comedy-Sendungen auf deren Inhalt, beginnend mit dem Jahr 2008. Auch Russlands älteste, noch zu Sowjetzeiten gegründete Kabarettreihe „KWN“ (russische Abkürzung für „Klub der Witzigen und Findigen“) geriet ins Visier des Militärbündnisses.

Diskreditierung westlicher Spitzenpolitiker

Die Nato-Analysten befassen sich in ihrem Bericht größtenteils damit, wie westliche Politiker in den Satiresendungen des russischen Staatssenders „Erster Kanal“ dargestellt werden.

Demnach haben es die russischen Komiker natürlich darauf abgesehen, „das gesamte System der westlichen Führung“ zu diskreditieren, wie die Autoren schreiben. Die größte Aufmerksamkeit gelte dabei US-Politikern. George Bush jr. komme am schlechtesten weg. Dieser werde „in persönlicher und professioneller Hinsicht als ein Mensch von extrem niedriger Intelligenz“ dargestellt, der weltweit gehasst werde, heißt es im Bericht.

Diese Behauptung untermauern die Nato-Fachleute durch einen Witz aus einer der Sendungen. Der geht so: Barack Obama spielt im Oval Office mit den Kindern seiner Mitarbeiter. Dabei fällt ihm ein, dass der Erste, der den Teppich im Arbeitszimmer des Präsidenten eingenässt habe, sicherlich George Bush jr. gewesen sei.

Auch französische Staatschefs kriegen im russischen Kabarett ihr Fett ab, wie StratCom schreibt. Keiner der französischen Präsidenten werde „als Staatsmann eines einflussreichen europäischen Landes porträtiert“; vielmehr würden sie als gewöhnliche Kleinbürger dargestellt, beim Versuch ihre alltäglichen Problemchen zu bewältigen. Gemeint sind damit der amtierende Präsident François Hollande und sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy.

Und auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel werde nicht gebührend präsentiert, mokieren die Nato-Analysten: „Ihre Rolle als eine der führenden EU-Politikerinnen wird praktisch gänzlich ignoriert“, schreibt StratCom.

Freude über die Aufmerksamkeit

Eine weitere „Fallstudie“ des Nato-Zentrums ist der Auftritt einer studentischen Satiretruppe in einer „KWN“-Folge aus dem Jahr 2015. In der Sendung hatten Studenten des Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO), angehende Diplomaten also, über die Redefreiheit und die Rechte sexueller Minderheiten in den Vereinigten Staaten ihre Witze gemacht. Und eben deshalb ist die Satirereihe „KWN“ in den Augen der Nato-Experten nichts weiter als ein „Instrument zur strategischen Kommunikation“ des Kremls, mit dessen Hilfe das „Regime“ Zugang zur „strategisch wichtigen“ jungen Zielgruppe bekomme.

Der Sprecher der Studententruppe, Iwan Abramow, reagierte abweisend auf eine Anfrage von RBTH: Der Inhalt des Nato-Papiers sei eines Kommentars nicht wert, sagte er. Zuvor hatte er den Bericht als „Kindergarten“ bezeichnet und erklärt, dass „KWN“ vor allem so erfolgreich sei, weil die Jugend in Russland einen ausgeprägten Sinn für Humor habe und der Leiter der Sendung, Alexander Massljakow, eine charismatische Persönlichkeit sei – mit angeblichen besonderen Beziehungen zum Kreml habe das nichts zu tun.

Alexander Massljakow freut sich indes über die Nato-Publikation. RBTH sagte er: „Nach diesem ganzen Getöse wird man uns mit noch größerem Interesse schauen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Witze die Kabarettisten aus ganz Russland zu diesem Thema bringen werden.“

„Gelesen und gelacht“

Ohne Ironie kommt in Russland kein einziger Kommentar zum Nato-Bericht aus: „Gelesen, gelacht“, sagte etwa ein Sprecher des „Ersten Kanals“ der Nachrichtenagentur Ria.

Der Kabarettist Juri Gussman, Mitglied der „KWN“-Jury, erinnerte an die lange Geschichte der Satiresendung: „Brillante Menschen haben ‚KWN‘ vor 56 Jahren ins Leben gerufen, natürlich als Waffe gegen die Nato. All die Zeit haben sie die Waffe geschärft und nun ist sie, Gott sei Dank, endlich perfekt.“ Und ein weiteres Jury-Mitglied, Waldis Pelsch, empfiehlt die Satirereihe den Mitarbeitern der Nato – „KWN“ sei eine Sendung für die ganze Familie.

Der russische Kabarettist Andrej Roschkow vermutet gar, der Bericht könne ein „Fake“ sein. Es sei einfach rückständig und übertrieben, „KWN“ Propaganda-Absichten vorzuwerfen: „Ich hätte es verstanden, wenn der Bericht zu Sowjetzeiten erschienen wäre. Aber heute davon zu reden, ‚KWN‘ sei ein ideologisches Instrument, ist völliger Unsinn“, sagte er.

Auch das russische Außenministerium hat es sich nicht nehmen lassen, den Nato-Bericht zu kommentieren. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa spottete: „Der Humor ist zur neuen Bedrohung für den Weltfrieden geworden. Er ist die neue Geheimwaffe dieser hinterhältigen und arglistigen Russen.“

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