Witali Mutko: „Ein Nachweis für staatliches Doping und ich bin weg“

Russlands Sportminister über den Doping-Skandal und die Fußball-WM.

Russlands Sportminister über den Doping-Skandal und die Fußball-WM.

Anton Denisov/RIA Novosti
Der russische Sportminister Witali Mutko sprach im Exklusiv-Interview mit RBTH über den Doping-Skandal, die Fußball-WM 2018 und die russischen Hooligans.

RBTH: Der Ruf des russischen Sports ist im Ausland wegen des Dopings, der Hooligans und anderer Skandale ramponiert. Welche Mittel gibt es, um sein Ansehen wiederherzustellen?

Witali Mutko: Unsere wichtigste Ressource sind die Sportler. Sie sind es, die das Image des russischen Sports gestalten. Wir haben viele hervorragende Champions, die die ganze Welt kennt. Und es wächst eine neue, sehr talentierte Generation heran, in vielen Disziplinen.

Wie könnte einem Fan aus dem Ausland vermittelt werden, dass die russische Nationalmannschaft bei den Spielen in Rio trotz des Dopingskandals Unterstützung verdient?

Natürlich haben wir in diesem Bereich Probleme. Wir versuchen, mit allen verfügbaren Mitteln dagegen vorzugehen. Wie Präsident Putin sagte, sind wir bereit, mit allen guten Gewissens zu kooperieren. Wir sind offen. Sollte auch nur ein Fall staatlicher Einmischung in den Sport und das Doping nachgewiesen werden, werde ich morgen nicht mehr hier sein.

Bis 2008 konnte keine einzige Probe aus Russland ausgeführt werden. Der Grenzschutz ließ sie nicht durch. In Russland gab es kein normales Labor. (Bis 2008 gab es in Russland keine nationale Anti-Doping-Organisation. Für die Auswahl und die Untersuchung der Proben war das Olympische Komitee Russlands zuständig, Anm. d. Red.) Wir haben Milliarden von Rubel in den Aufbau des Moskauer Anti-Doping-Labors – Rusada – investiert, nach Modell des norwegischen Labors. Das galt als das weltbeste.

Der russische Präsident Wladimir Putin trifft sich mit dem Sportminister Witali Mutko (Mitte) und dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Russlands Alexander Zhukow (r.) während der Europaspiele in Baku im Juni 2015. Foto: Alexei Druzhinin/RIA NovostiDer russische Präsident Wladimir Putin trifft sich mit dem Sportminister Witali Mutko (Mitte) und dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Russlands Alexander Zhukow (r.) während der Europaspiele in Baku im Juni 2015. Foto: Alexei Druzhinin/RIA Novosti

Dann wurden unsere Strukturen für qualitativ unzureichend erklärt – wegen der ARD-Dokumentation und der Familie Julia Stepanowas. (Die russische Leichtathletin Julia Stepanowa war Kronzeugin in der 2014 erschienenen Doku über Doping im russischen Sport, Anm. d. Red.). Dabei hat sie selbst keine reine Doping-Weste – und ihr Mann hat ihren Dopingmissbrauch gedeckt. Wir haben das hingenommen und im Januar dieses Jahres eine Roadmap mit der Wada unterzeichnet.

Wir zahlen 32 000 Pfund pro Jahr an die britische Anti-Doping-Agentur, die russische Proben untersucht, wir vergüten ihre Inspektoren. Gleichzeitig schließen wir das Moskauer Labor mit seinen 50 Mitarbeitern nicht, obwohl es keine Arbeit gibt. Würden wir die Leute entlassen, müssten wir weitere zehn Jahre nach solch qualifizierten Spezialisten suchen. Man sagt uns, diese Maßnahmen seien gut, doch sie reichten nicht aus. Der unerklärliche Ausschluss unserer Sportler geht indes einfach weiter.

Die russischen Fechterinnen Jana Egorjan (r.) und Sofia Welikaja (l.) haben in Rio Gold und Silber gewonnen. Foto: ReutersDie russischen Fechterinnen Jana Egorjan (r.) und Sofia Welikaja (l.) haben in Rio Gold und Silber gewonnen. Foto: Reuters

Das alles sage ich, weil unsere Sportler keine Schuld an diesem „großen Spiel“ haben. Sie wollen nur bei Olympia auftreten und gute Ergebnisse präsentieren. Sie sind bereit, statt zwei 20 Doping-Proben abzugeben. Um ihren Traum zu verwirklichen, sind sie zu allem bereit. Deswegen verdienen sie Unterstützung.

Der Weltverband IAAF begründet die Suspendierung des gesamten russischen Leichtathletik-Teams damit, dass die Mannschaft sich in einem System bewegt, das solche Fälle ermöglicht. Gibt es Ihrer Ansicht nach ein solches System? Wenn ja, wer ist dafür verantwortlich? Und sind die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden?

Ich habe nie geleugnet, dass es in unserer Leichtathletik Probleme gibt. Lange vor dem ersten ARD-Film habe ich dieses Problem in den Medien offen diskutiert. 2014 haben wir vom IAAF ein Papier erhalten. Darin hieß es, der IAAF habe eine Untersuchung vorgenommen und herausgefunden, dass 125 Sportler zwischen 2009 und 2011 systematisch verbotene Präparate einnahmen. Von den 125 Athleten waren 15 Russen. Infolge der von uns initiierten Ermittlungen wurde die Verbandsführung entlassen und die 15 Sportler wurden suspendiert. Unsere Verantwortlichen haben wir also bestraft. Doch was ist mit den anderen 110 Sportlern? Ich habe diesen Fall aufmerksam verfolgt und stelle fest, dass weder die Sportler noch die Verbandsleitungen jener Länder sich verantworten mussten. Warum ist das so?

Der russischen Geherin und Olympiasiegerin von Peking 2008 Olga Kaniskina wurden wegen Dopings rückwirkend alle Titel ab 2009 aberkannt. Sie verlor damit ihre Silbermedaille der Olympischen Spiele in London 2012.Der russischen Geherin und Olympiasiegerin von Peking 2008 Olga Kaniskina wurden wegen Dopings rückwirkend alle Titel ab 2009 aberkannt. Sie verlor damit ihre Silbermedaille der Olympischen Spiele in London 2012.

Zuvor gab es schreckliche Skandale im Radsport (Lance Armstrong), im Ski-Sport (Finnlands Nationalmannschaft bei der WM 2001), im Gewichtheben (Bulgariens Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking) und einen Fall, in dem Top-Athleten aus den USA verwickelt waren. Warum hat damals niemand Kommissionen eingerichtet und einen Ausschluss des amerikanischen Radsportverbands von den Olympischen Spielen gefordert? In den USA ist keine Profiliga den Wada-Regeln unterworfen – auch die NHL und die NBA nicht. Warum macht daraus niemand einen Skandal? Warum schweigen alle in dieser Frage? Alles wird sehr einseitig ausgelegt.

Unter Profis kursiert die Meinung, dass zwar alle dopen, aber nicht jeder erwischt wird. Das hänge auch davon ab, was als Doping eingestuft wird. Ist es so?

Genauso denken die Sportler in den zyklischen Disziplinen. Das ist das Hauptargument, warum ein Athlet oder ein Skiläufer ein verbotenes Präparat einnimmt. Das ist eine verdorbene Denkweise – eine Einstellung, gegen die man kämpfen muss. Wenn ein Sportler und sein Trainer so denken, kommt nichts Gutes dabei raus.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, konsequent eine neue Generation von Sportlern heranzuziehen, die durch Training und mittels neuer Technik ihre Gegner besiegen. Wir investieren Milliarden in neue Einrichtungen. Ich bin überzeugt, dass das bald Früchte tragen wird.

Der russische Fußballspieler Andrei Arschawin. Foto: ReutersDer russische Fußballspieler Andrei Arschawin. Foto: Reuters

Kommen wir zum Fußball. Man sagt, dass die Niederlagen der russischen Nationalelf darauf zurückzuführen sind, dass es in Russland keine Spitzenfußballer gibt. Stimmen Sie dem zu? Wenn dem so ist: Warum bekommen mittelmäßige Fußballer in Russland Honorare, die mit den Verträgen der Weltstars vergleichbar sind? Kann es sein, dass diese Summen sie an der Weiterentwicklung hindern?

Ich stimme dem zu, dass es in Russland momentan keine Spitzenfußballer gibt. Die Schüler Andrei Arschawins beenden ihre Karriere allmählich. Viele von ihnen spielten in europäischen Top-Klubs. Eine neue derart starke Spielergeneration ist bei uns nicht aufgekommen.

Das hat viele objektive Ursachen: Die exorbitanten Gehälter sind eine davon. Nach der Europameisterschaft 2008 gab es einen Fußball-Boom im Land: Viele große Unternehmer haben in den Fußball investiert. Da bekamen unsere Spieler Verträge, die mit den Verträgen von Weltstars vergleichbar waren. Das ist möglicherweise falsch, doch ich kann den Klubeigentümern nicht verbieten, ihren Spielern große Gehälter zu zahlen. Ich schließe nicht aus, dass eine Obergrenze für Fußballgehälter festgelegt wird – für die 21- bis 23-jährigen Spieler.

Im Westen fürchtet man, dass bei der WM 2018 das Problem russischer Hooligans erneut aufkommt. Welche Maßnahmen werden ergriffen, damit die Weltmeisterschaft friedlich über die Bühne geht?

Erstens wird unser Sicherheitssystem gut organisiert sein. Russland veranstaltet jährlich internationale Wettkämpfe und es gab bislang keinerlei Skandale mit Hooligans.

Zweitens stellt unser Fußballbund die Kooperation mit der Russischen Fanvereinigung ein. Stattdessen gründen wir eine neue Fanorganisation, mit der wir eine gemeinsame Sprache finden und vernünftige Beziehungen aufbauen werden. Ich bin mir sicher, dass russische Hooligans an keinem Skandal mehr beteiligt sein werden.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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