Konsum, so lautete seit Jahren das Zauberwort für Russlands Wirtschaftsaufschwung. Die unersättlich scheinende Nachfrage der Russen machte viele westliche Investoren reich. Doch seit in Russland die Krise wütet, müssen diese umdenken.
Längst nicht überall herrscht deswegen schlechte Stimmung. Hersteller von Haushaltsgeräten etwa nutzen die Krise und weiten ihre Produktion aus. Die Expansion zielt diesmal aber nicht auf konsumfreudige Russen, sondern vor allem auf Kunden im Ausland. Der schwache Rubel macht es möglich. Das Unternehmen BSH, eine Tochter des Bosch-Konzerns, welches in Russland Kühlschränke und Waschmaschinen der Marken Bosch und Siemens herstellt, peilt im laufenden Jahr eine Verdopplung des Exports von Waschmaschinen aus Russland an, auf insgesamt 100 000 Stück. Die Geräte sind nicht nur für Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion bestimmt, sondern auch für EU-Mitglieder wie Deutschland, Frankreich oder Italien. Zum Ende des Jahres soll das Investitionsvolumen des Geräteherstellers in die russische Wirtschaft 160 Millionen Euro erreichen.
Wie Hakan Mandaly, Hauptgeschäftsführer der Produktion bei BSH, gegenüber RBTH erklärt, werde vor allem in den Ausbau des Produktions- und Logistikkomplexes im kleinen Ort Strelna nahe Sankt Petersburg investiert. Dort betreibt das Unternehmen zwei Werke, je eins für Kühlschränke und Waschmaschinen. Wachstumsmotor sind die Kühlschränke. Waren es im vergangenen Jahr 100 verschiedene Modelle, wird die Produktionspalette in diesem Jahr auf 145 Versionen erweitert. Bis zu 50 Prozent betrage der Lokalisierungsanteil des Geräteherstellers. Teils stelle das Unternehmen Komponenten selbst her, teils wer-de das Zulieferernetz innerhalb der Eurasischen Union engma-schiger, sagt Mandaly. „Russland ist und bleibt einer unserer wichtigsten Märkte. Zudem hat die Abwertung des Rubels im zweiten Halbjahr dieses Jahres unsere Ex-portaussichten verbessert, und wir versuchen, das neue Potenzial in vollem Umfang auszuschöpfen“, erklärt Hakan Mandaly.
Das Werk bei Sankt Petersburg gründete Bosch 2007. Damals betrug das jährliche Produktionsvolumen 250 000 Kühlschränke. Das angrenzende Werk für Waschmaschinen nahm 2012 die Produktion auf. Heute stellen beide Werke jährlich 500 000 Kühlschränke und 450 000 Waschmaschinen her. Geplant ist eine Gesamtkapazität von jährlich eine Million Stück.
Andere Unternehmen gehen ähnliche Wege wie BSH. Auch der italienische Konzern Candy exportiert seit diesem Frühjahr seine Haushaltsgeräte aus russischer Produktion (aus dem Werk in Kirow, 950 Kilometer östlich von Moskau). Unternehmenspläne se-hen vor, den Anteil der in Russland hergestellten Kühlschränke und Waschmaschinen an der Gesamtproduktion bis zum Herbst dieses Jahres zu verdoppeln. „Der Anteil komplexer elektronischer Komponenten an der Herstellung ist vergleichsweise gering, die Produktionsprozesse sind relativ einfach. Daher kann die Herstellung von Haushaltsgeräten recht leicht lokalisiert werden“, erläutert Timur Nigmatullin, Analyst bei der Investmentgesellschaft Finam. Auf eine Anfrage von RBTH gab der italienische Konzern an, dass Waschmaschinen der Marken Candy und Hoover aus russischer Herstellung nun auch die Nachfrage in Europa, Neuseeland, Australien und Japan bedienten.
Die Geräte aus russischer Produktion sind nicht mehr nur für den heimischen Markt bestimmt, sondern auch für Deutschland oder Italien. Foto: Ruslan Schamukow / TASS
Rund ein Drittel der in Russland hergestellten Waschmaschinen soll exportiert werden. Zudem plant das Unternehmen, Teile seiner tschechischen Kühlschrankproduktion nach Russland zu verlagern. Im laufenden Jahr wird das Unternehmen 300 000 Waschmaschinen in Russland herstellen: ein Zuwachs von 50 Prozent. Die jährliche Kühlschrankproduktion soll um ein Drittel auf 60 000 Stück ansteigen. Im vergangenen Jahr betrug der weltweite Jahresumsatz des Unternehmens eine Milliarde Euro. Hatte Russland mit sechs Prozent dazu beigetragen, geht das Unternehmen für 2015 von sieben Prozent aus.
Marktakteuren zufolge ist der wachsende Export auf die sinkende Inlandsnachfrage zurückzuführen. So fiel der Jahresumsatz des Bosch-Konzerns in Russland 2014 nach Angaben des Unternehmens mit 652 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent niedriger aus. Allein die russische Kühlschrank-Sparte musste verglichen mit 2013 einen Absatzrückgang von bis zu einem Viertel hinnehmen. Das Unternehmen rechnet mit weiteren Rückgängen der Binnennachfrage in Russland und erwartet für 2015 schwächere Absatzzahlen als im Vorjahr. „Der russische Markt weist einen beständigen Bedarf an Langzeitgütern auf und bleibt daher hinreichend groß. Finanziell betrachtet schrumpfte die Nachfrage jedoch erheblich“, kommentiert Ilja Balakirew, Analyst bei UFS IC. Durch die Lokalisierung würden die Produktionskosten aufgrund niedrigerer Lohnkosten und teilweise günstigerer Komponenten sinken. „Dadurch können Unternehmen im Inland als auch auf den Auslandsmärkten konkurrenzfähigere Produkte anbieten“, erklärt Balakirew.
Laut dem Branchenverband für Haushalts- und Computertechnik werden rund 95 Prozent der auf dem russischen Markt verkauften Waschmaschinen, 92 Prozent der Fernseher und 80 Prozent der Kühlschränke in Russland hergestellt. So sieht sich BSH selbst als heimischen Produzenten, wie Hasan Mandaly darlegt: 900 Menschen arbeiteten in den russischen Werken, nur ein Prozent von ihnen seien Expats. „Wir treiben die Lokalisierung der Produktion voran“, betont er. Doch ihm mangelt es an Wertschätzung: „Die Lokalisierung bedarf einer größeren staatlichen Unterstützung“, fordert er.
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