«Bei Direktinvestitionen in Russland ist Luxemburg unter den ersten drei»

Oleg Prozorow: "Trotz Krise stellen wir ein erhöhtes Interesse kleiner und mittelständischer Unternehmen aus Luxemburg an Russland fest."

Oleg Prozorow: "Trotz Krise stellen wir ein erhöhtes Interesse kleiner und mittelständischer Unternehmen aus Luxemburg an Russland fest."

Pressebild
Oleg Prozorow, der Chef des Moskauer Büros der belgisch-luxemburgischen Handelskammer in Russland über die Auswirkungen der vor einem Jahr eingeführten Sanktionen auf die Beziehungen zwischen Russland und dem Großherzogtum

Vor mehr als einem Jahr führten die EU und einige Staaten, die sich ihr angeschlossen hatten, Sanktionen gegen die Russische Föderation ein. Im Gegenzug verhängte Russland damals ein Lebensmittelembargo. Inwiefern tangieren diese Maßnahmen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Luxemburg?

In der Tat ist seit der Einführung der Sanktionen mehr als ein Jahr vergangen und wir haben es die ganze Zeit hindurch mit einer Flut an Informationen zu diesem Thema zu tun. Über die Folgen der Sanktionen und die Verluste wird viel gesprochen. Der praktische Aspekt dieser Frage bleibt größtenteils außen vor. Schauen wir uns das genauer an. Eingeführte Sanktionen umfassen ein klar definiertes Spektrum an Finanzinstituten, Produktionsstandorten, konkreten Industriebranchen und Produktkategorien, privaten und juristischen Personen. Entscheidend dabei: Die Tatsache, dass ein Importprodukt auf der Sanktionsliste steht, zieht noch lange kein Verbot nach sich, dieses Produkt nach Russland einzuführen oder es dort anzuwenden.

Vielfach kann eine Genehmigung eingeholt werden, das Produkt nach Russland zu liefern, wenn vorgeschriebene Verfahren eingehalten und Informationen über die Endbestimmung des Produkts eingereicht werden. In den von Sanktionen betroffenen Wirtschaftssektoren nach gewohntem Muster zu kooperieren, ist jetzt natürlich deutlich schwieriger. Angesichts dessen empfiehlt die Handelskammer russischen und luxemburgischen Wirtschaftsvertretern, ihre Interessen nach den Branchen auszurichten, die eine Zusammenarbeit nicht nur erlauben, sondern auch große Perspektiven bieten. Der Agrarsektor ist dafür ein Beispiel.

Bringt die luxemburgische Wirtschaft unter den heutigen Umständen das Interesse auf, sich in Russland weiterhin zu engagieren?

Die Ergebnisse der letzten drei Jahre zeigen: Bei Direktinvestitionen in Russland ist Luxemburg stabil unter den ersten drei. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Investitionen auf rund 45 Milliarden Euro. Und trotz Krise stellen wir ein erhöhtes Interesse kleiner und mittelständischer Unternehmen aus Luxemburg an Russland fest. Das Cluster für Internethandel zum Beispiel entwickelt sich prächtig.

Sind neue Formen der Zusammenarbeit zwischen russischen und luxemburgischen Unternehmen entstanden, etwa eine Unternehmenslokalisierung in Russland?

Die Lokalisierung in Russland ist an sich nichts Neues. Wir können auf die luxemburgischen Mitglieder unserer Kammer verweisen, die vor einigen Jahren Fabriken in Russland gebaut hatten – in der Region Jaroslawl, in der Oblast Moskau oder in Samara, um nur einige zu nennen. Auch heute werden Fabriken gebaut und neue Projekte erfolgreich umgesetzt. Die Wirtschaft steht nicht still. Sie passt sich neuen Voraussetzungen an und bringt die für sie günstigen und profitablen Kooperationsformen voran.

Inwiefern kann die Handelskammer im Verbund mit öffentlichen Organisationen zur Wirtschaftsförderung und mit staatlichen Behörden die Probleme der luxemburgischen Wirtschaft in Russland lösen? Gibt es dafür konkrete Beispiele?

Wir haben eine Reihe von Memoranden und Agreements unterzeichnet, mit regionalen und auch föderalen Partnern. Das Ziel dieser Vereinbarungen besteht darin, eine effektive Infrastruktur für die Handelskammermitglieder in Russland zu schaffen. Dabei kann ich auf Erfolge bei der Migrationsgesetzgebung und Visafragen, bei Besonderheiten des russischen Steuerrechts und der Erfüllung von Zollformalitäten verweisen. Zudem haben wir unter den heutigen Umständen unsere Zusammenarbeit mit der Handelskammer des Großherzogtums und anderen Wirtschaftsförderern in der EU noch einmal deutlich ausgeweitet.

Wie ist die Stimmungslage hinsichtlich eingeführter Sanktionen und Gegensanktionen in den Wirtschaftskreisen Luxemburgs? Hat sich hier die Stimmung seit letztem Jahr gewandelt?

Auf die Einschränkungen ihrer Tätigkeit können Unternehmen nicht positiv reagieren. Die abwartende Haltung vom letzten Jahr ist der Einsicht gewichen, dass die Entwicklung unter den heutigen schwierigen Bedingungen weitergehen muss. Ganz besonders will ich hervorheben, dass Russland sich weiterhin zur Marktwirtschaft bekennt. Es ist ein Staat mit uneingeschränkten Ressourcen und enormem Humanpotenzial.

Wie nehmen russische Unternehmen ihre Situation in Luxemburg heute wahr?

Russische Privatunternehmen setzen ihre Tätigkeit in Luxemburg fort. Leider stoßen auch sie hin und wieder auf Hindernisse. Schwierigkeiten entstehen, weil oftmals die Kenntnis und das Verständnis für den Gegenstand der Sanktionen fehlen. Das führt zu Fehlern und Verzögerungen bei Bankgeschäften. Doch ich möchte betonen, dass Luxemburg sehr loyale Positionen vertritt. Das Land trennt Wirtschaft und Politik, so gut es geht.

Was macht Luxemburg für russische Unternehmen als ein Finanzzentrum attraktiv? Wie häufig entscheiden sie sich für Luxemburg als einen Finanzplatz, um ausländisches Kapital heranzuziehen?

Luxemburg liegt im Herzen Europas und ist ein allgemein anerkanntes Weltfinanzzentrum mit einem traditionell hohen Maß an Kompetenz und wirtschaftlicher Sicherheit. Die Regierung Luxemburgs optimiert stetig die Gesetzgebung und verfügt mit Russland über ein Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Die Handelskammer empfiehlt Luxemburg immer als einen Vorreiter in puncto Professionalität und Stabilität und stellt ein erhöhtes Interesse des Großherzogtums an den Projekten in der Russischen Föderation fest.

Das Gespräch führten Jekaterina Iwanowa und Jekaterina Tschipurenko.

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