Statt ins Ausland verreisen Russen jetzt lieber im eigenen Land.
Anatolij Strunin/TASSDer November war kein guter Monat für die Tourismusbranche. Am 6. November verhängte der Kreml ein Flugverbot nach Ägypten. Am 13. November erschütterte eine Anschlagsserie die französische Hauptstadt. Am 24. November wurde es russischen Reiseveranstaltern untersagt, Urlaubsreisen in die Türkei zu verkaufen – „um die Sicherheit russischer Touristen zu gewährleisten“.
Lange Zeit standen Ägypten und die Türkei bei den Russen auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Ein Drittel aller russischen Auslandstouristen – 17,6 Millionen, um genau zu sein – erholten sich in der Herbst-Winter-Saison in diesen Ländern. Im vergangenen Jahr kamen 3,3 Millionen Russen in die Türkei, 1,3 Millionen Menschen waren es in der ersten Hälfte dieses Jahres. Eine ähnliche Größenordnung wiesen die Reiseströme nach Ägypten auf: 2,5 Millionen Touristen 2014, eine Million im ersten Halbjahr 2015, so die offiziellen Angaben von Rostourism.
In der aktuellen Saison hätte Ägypten Spitzenreiter werden können. Vor dem Absturz des russischen Airbus A321 habe das Reiseland bei Urlaubsbuchungen einen Anteil von 40 Prozent ausgemacht, sagt Jekaterina Beschanowa von Onlinetours.ru. Die Umsätze hätten bereits das Vorjahresniveau erreicht und die 50-Prozent-Marke sei greifbar nahe gewesen.
Nach dem Flugverbot könnten sich die Gesamtverluste Unternehmensschätzungen zufolge auf über 320 Millionen Euro belaufen. Rund 119 Millionen Euro sind Fluggesellschaften durch annullierte Flügen durch die Hände gegangen, gut 21 Millionen mussten Reiseveranstalter in die Hand nehmen, um russische Touristen vorzeitig aus Ägypten zurückzubringen, Zehntausende bereits bezahlter Urlaubsbuchungen müssen wohl storniert werden – macht zusätzliche 182 Millionen Euro.
Und jetzt das Reiseverbot in die Türkei. Der Verband russischer Reiseveranstalter (Ator) schließt weitere Millionenverluste und eine neue Pleitewelle nicht aus: Jede dritte Firma von insgesamt 1 380 könnte in diesem Jahr vom Markt gehen.
Durch die aktuelle Wirtschaftsentwicklung war die russische Reisebranche ohnehin stark gebeutelt. Wegen der Rubelabwertung ging der Reiseverkehr seit Jahresbeginn durchschnittlich um 40 Prozent zurück. Im ersten Halbjahr 2015 verloren Spanien 43 Prozent russischer Touristen, Italien 34, Frankreich 30, Thailand 53 und Israel 29 Prozent. Weniger betroffen waren die Billigziele: Ein Minus von 25 Prozent bei der Türkei, bei Montenegro 14,5 Prozent, 13 bei Ägypten. Im Weihnachtsgeschäft setzt sich der Trend fort.
„Bei Europa-Flügen stellen wir bislang keinen starken Rückgang fest. Doch ändern sich die Präferenzen. Waren früher Frankreich, Italien und Österreich sehr beliebt, sind es heute Ungarn, Tschechien und Polen“, sagt Konstantin Parfenenok, Unternehmenssprecher von Andgo.travel. Die Kosten seien hierbei ausschlaggebend. Russische Ziele – Sotschi, Simferopol, Irkutsk – würden sich umso größerer Nachfrage erfreuen.
„Silvester und Weihnachten werden die meisten Russen wohl zu Hause verbringen. Oder sie verreisen innerhalb Russlands“, meint auch Pawel Salas, Hauptgeschäftsführer von Etoro. Der diesjährige starke Rückgang beim Auslandstourismus sei durch kräftige Zuwächse bei Inlandsreisen größtenteils kompensiert worden. Um 30 Prozent habe die Anzahl an Binnenurlaubern zugenommen. „Von der Sperrung Ägyptens und der Türkei bleibt der russische Reisemarkt aber nicht unberührt. Um zehn bis 15 Prozent könnten die Preise aufgrund gestiegener Nachfrage anziehen“, schätzt Pawel Salas.
In dieser Situation profitieren die Länder Südostasiens am meisten. „Die Zahl verkaufter Tickets nach Thailand, Sri Lanka, Indien und Vietnam nimmt zu“, heißt es bei Andgo.travel. Der Reiseveranstalter Onetwotrip stellt zudem ein erhöhtes Interesse an Zypern, Kreta, Goa und den Kanaren fest – um 13 bis 15 Prozent stieg die Nachfrage. Im Kampf um den russischen Touristen fährt aber auch Israel schwere Geschütze auf: Das Ministerium für Fremdenverkehr des Landes will Charterflüge aus Russland mit bis zu 45 Euro pro Passagier subventionieren. Das macht 21 Prozent des Flugpreises aus.
Nicht nur die Präferenzen ändern sich, auch die Vorausplanung verkürzt sich. „Gebucht wird nur noch für die nächste Woche. Mehrere Monate im Voraus planen die Urlauber nicht mehr“, sagt Ellin Tolstow, technischer Direktor bei Level.travel.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!