Die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) war immer mehr als nur eine Partei in der UdSSR. Bis zum Ende der 1980er-Jahre genossen die Herrschaftsstrukturen der KPSU (das Zentralkomitee und das Politbüro der sowjetischen Regierung) ihr Machtmonopol und existierten in dem sozialistischen Land als Staat im Staate. Viele ihrer Führungskräfte genossen dabei finanzielle Privilegien – nicht immer auf legale Art und Weise.
Als zu Beginn der 1990er-Jahre, kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion, dann mehrere Quellen angaben, dass rund zehn Milliarden US-Dollar aus der Parteistaatskasse spurlos verschwunden waren, war sich die Mehrheit der russischen Bevölkerung sicher: Das Geld wurde gestohlen.
Eine reiche Partei
Viktor Mironenko, der ehemalige Vorsitzende des Komsomol (der Jugendorganisation der Partei) war es, der in einem Interview erwähnte, dass unmittelbar vor dem Untergang der Sowjetunion die KPdSU zehn Milliarden US-Dollar im Budget gehabt habe. Die Ursachen für diesen Reichtum fielen recht unterschiedlich aus, angefangen bei monatlichen Spenden einfacher Parteimitglieder (es gab im Jahr 1990 19,5 Millionen Menschen, die der KPdSU angehörten) bis hin zum staatlich finanzierten Fond zur Sicherung des Friedens mit einem Budget von ungefähr 4,5 Milliarden Rubel.
Es ist schwer zu sagen, ob Mironenko mit der Höhe der Summe richtig lag. Die Aktiva der Partei waren unabhängig vom Budget der UdSSR und nur hochrangige Beamte besaßen Zugang zu dieser Statistik. Auf die Frage „Wer stahl all das Geld?“ antwortete Mironenko schulterzuckend: „Keine Ahnung. Ich nicht“.
Viktor Geraschenko, der ehemalige Leiter der UdSSR-Staatsbank, gab im Jahr 2011 zu verstehen, dass das Kassenbüro des Zentralkomitees viel Geld besessen habe, aber der ganze Betrag 1991 auf mysteriöse Weise verschwunden sei.
Verdächtige Todesfälle
Die ganze Situation wirkte bereits in den 1990er-Jahren sehr verdächtig, insbesondere nach einer Reihe plötzlicher Todesfälle. Am 26. August 1991, ein halbes Jahr vor dem Zerfall der Sowjetunion, fiel Nikolai Krutschina, der Kassenwart der KPdSU und ein Vertrauter Michail Gorbatschows, aus dem Fenster seiner Wohnung und starb.
Seinen Amtsvorgänger Georgi Pawlow, der 18 Jahre lang für die Parteigeschäfte zuständig war, ereilte einen Monat später das gleiche Schicksal. Der dritte „Finanzier“, Dmitri Lisowolik, der den amerikanischen Sektor der internationalen Abteilung des Parteizentralkomitees leitete und ebenfalls viel mit den Zahlungsströmen zu tun hatte, fiel einige Tage später ebenfalls aus dem Fenster.
Nach solchen Zufällen riefen alle offiziellen Behauptungen darüber, dass es das „Parteigold“ gar nicht erst gegeben hätte, in Russland Zweifel hervor. Die Todesfälle beantworteten jedoch ohnehin nicht die zentrale Frage: Wo ging das Geld hin?
Der Staat im Suchmodus
Nicht nur Neugier und ein Gefühl der Ungerechtigkeit brachten die russischen Führungskräfte dazu, nach dem „Parteigold“ zu suchen. Nachdem das neue Russland aus der Asche der UdSSR auferstand, benötigte es dringend Geld. Die Milliarden der Kommunisten wären dabei also eine große Hilfe gewesen.
Um das Geld aufzuspüren, engagierte Jegor Gaidar, der Ministerpräsident der Boris-Jelzin-Regierung im Jahr 1992, sogar Privatdetektive der Firma Kroll, einer weltberühmten amerikanischen Agentur. Gaidars Memoiren zufolge musste die russische Regierung jedoch die Suche aufgrund des “Fehlens signifikanter Informationen“ seitens der Amerikaner einstellen. Den von Kroll vorgelegten Bericht veröffentlichte die Regierung nie.
Mögliche Versionen
Was könnte also mit dem Geld der KPdSU geschehen sein? Einer Version zufolge überwiesen die, die das Parteigold stahlen, es mit Hilfe der Beziehungen zu China auf geheime Bankkonten in Hongkong. In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren wurden viele Bankkonten in Hongkong anonym geführt und lieferten internationalen Ermittlern keine Informationen über deren Inhaber (im Gegensatz zu den Schweizer Banken beispielsweise).
Die anderen Orte, an die laut dieser Version das Geld hätte wandern können, schließen Zypern und Libanon mit ein. So oder so ist das „Parteigold“ aber schon lange weg, in kleine Teile aufgeteilt, auf duzende Bankkonten weltweit transferiert und unauffindbar.
Jeder für sich
Ein anderer Standpunkt besagt, dass das Geld die ganze Zeit über in Russland geblieben sei. Die hohen Parteifunktionäre, die den Tod des sozialistischen Systems vorausgeahnt hatten, konnten es in kleinen Summen inoffiziell in Genossenschaften und anderen halbstaatlichen, halbprivatisierten Unternehmen, die in den späten 1980er-Jahren auf der Bildfläche erschienen, stecken. Dies führte zu den ersten großen Kapitalbildungen im postsowjetischen Raum.
Wahrscheinlich werden wir niemals genau herausfinden, was mit dem Geld passiert ist. Beide Versionen stimmen jedoch dahingehend überein, dass es keine organisierte Verschwörung alter Kommunisten war, die das „Parteigold“ stehlen wollten. Vielmehr handelte jeder aus einem eigenen Interesse heraus, um sich den größtmöglichen Anteil des Geldes zu sichern. Der Kapitalismus war angekommen.