Wurde die amerikanische Freiheitsstatue von Russen mitgebaut?

Daniel Hohlfeld/Global Look Press
Die Freiheitsstatue war ein Geschenk Frankreichs an die USA. Sie steht für Freiheit und ist eine Hauptattraktion New Yorks. Aber woraus besteht sie eigentlich? In einer Industriestadt im Ural meint man, dass sie aus russischem Kupfer produziert wurde.

Die russische Stadt Nischni Tagil, 1 374 Kilometer östlich von Moskau, hat kaum etwas mit New York City gemeinsam. Die abgelegene Stadt im Ural mit einer Einwohnerzahl von 355 000 Menschen spielt für die russische Industrie eine wichtige Rolle. Sie verdankt ihre Gründung den Fabrikarbeitern, die in mehreren Anlagen gearbeitet und Stahl sowie Kupfer produziert haben. Geschäftlich und kulturell jedoch ist die Stadt weit davon entfernt, als russische Metropole zu gelten. Tatsächlich ist sie noch nicht einmal ein regionales Zentrum, sondern eingebettet in die Region Swerdlowsk. Dennoch hat der Ort laut ihren Einwohnern etwas, das sie mit einem der wichtigsten Wahrzeichen von New York City verbindet: der Freiheitsstatue, die im Jahr 1886 eingeweiht wurde.

Wo nur kam das Kupfer her?

Ein Online-Reiseführer über Nischni Tagil gibt an, dass „der Stolz französischer Bildhauer und amerikanischer Köpfe mithilfe russischer Technologie und Fabrikarbeitern aus Nischni Tagil geschaffen wurde“. Sie beziehen sich natürlich auf das Kupfer, das dazu benutzt wurde, um die 90 000 Kilogramm schweren Platten, die für die Konstruktion der äußeren Hülle der Freiheitsstatue verwendet wurden, zu produzieren.

Kupferproduktion in Nischni Tagil

Bis zum heutigen Tag weiß niemand so genau, wo Frédéric Auguste Bartholdi, der französische Bildhauer, der die Statue konzipierte, das Kupfer erwarb. Aus diesem Grund existieren neben der russischen auch eine norwegische, englische und spanische Version der Geschichte. Dessen ungeachtet könnte die russische Version deshalb überzeugen, weil das Kupfer aus Nischni Tagil im Europa des 19. Jahrhunderts sehr geschätzt wurde.

Insbesondere die russische Marke „Alter Zobel“ war in Europa sehr bekannt, vor allem in Frankreich. Im Jahr 1867 gewann sie sogar den ersten Preis auf der Weltausstellung in Paris. Theoretisch ist es also möglich, dass Bartholdi und seine Partner, die in die Erschaffung der Freiheitsstatue investierten, die riesige, für die Errichtung des Denkmals benötigte Menge des Kupfers von russischen Industriellen bestellten.

Die Rolle der russischen Freimaurer

Doch warum wurde, wenn die Legende wahr ist, der russische Beitrag dazu in keinem Dokument über die Konstruktion der Statue erwähnt? Alle sonstigen Fakten zu dem bedeutenden Kunstwerk scheinen bekannt zu sein. Jene, die der russischen Theorie Glauben schenken, vermuten, dass das mit den Freimaurerlogen Russlands zusammenhängen könnte.

Die Freimaurer, sowohl amerikanische als auch französische, waren im 19. Jahrhundert an der Gedenkfeier der amerikanischen Unabhängigkeit beteiligt, da ihre proklamierten Ideale denen der Befürworter der amerikanischen Revolution ähnelten: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Auch den russischen Freimaurern war es möglich, daran teilnehmen – aber nur im Geheimen.

Wendeltreppe im Inneren der Freiheitsstatue

Warum? Weil freimaurerische Organisationen seit 1822 von der russischen Regierung verfolgt wurden. Alexander I. hatte es allen geheimen Gesellschaften untersagt, sich innerhalb des Russischen Reiches zu treffen. Die Freimaurer kamen dennoch heimlich zusammen und waren darum bemüht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn sie also an der Erschaffung der Freiheitsstatue beteiligt waren, wollten sie es vermutlich geheim halten.

Warum die Theorie Löcher hat

Es gibt jedoch keine überzeugenden Beweise, die belegen, dass russische Industrielle oder Freimaurer irgendetwas mit der Konstruktion der Statue zu tun hatten. Obwohl die Frage nicht geklärt ist, scheint es wahrscheinlicher, dass die Franzosen das Kupfer für die Freiheitsstatue aus Norwegen bezogen. In den 1870er-Jahren besaß ein französischer Industrieller ein norwegisches Bergbauunternehmen, das in den Abbau von Kupfer in einer norwegischen Mine involviert war.

Außerdem zeigte eine von amerikanischen Wissenschaftlern durchgeführte Spektralanalyse, dass Proben von der Freiheitsstatue und aus dem norwegischen Bergwerk einander sehr ähnlich sind, wenn auch nicht absolut identisch. Es bleiben also noch einige Zweifel. Dennoch lassen die Indizien die russische Freimaurer-Theorie unwahrscheinlich erscheinen.

Der Bahnhof von Nischni Tagil

Dennoch hat die Version, dass das Kupfer der Freiheitsstatue aus Russland stammt, bis heute ihre Anhänger, auch wenn sie historisch nicht zu belegen ist. Beispielsweise fanden im Jahr 2015 zwei Ausstellungen mit gleichem Namen sowohl in New York City als auch in Nischni Tagil statt, die sich der angeblichen russischen Beteiligung an der Erschaffung eines der bedeutendsten amerikanischen Monumente widmeten.

Trotz ihrer zweifelhafter Authentizität half diese Legende also, zwei Kulturen zusammen zu bringen. Nun wissen dank ihr zumindest ein paar New Yorker, wo sich Nischni Tagil befindet und warum der Ort existiert.

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