Russlands „Mann in der eisernen Maske“: Das Schicksal Iwan des Sechsten

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Der an Jahren jüngste russische Zar Iwan VI., verbrachte den größten Teil seines Lebens in einem feuchten Gefängnis in Einzelhaft. Sein wirklicher Name und seine Identität waren dabei selbst den Wachen unbekannt.

Die Geschichte Iwan VI. ist ebenso tragisch wie Dumas’ Erzählung „Der Mann in der eisernen Maske“. Der kleine Junge trug zwar nie wirklich eine eiserne Maske, wurde aber Opfer russischer Hofintrigen, verbrachte fast sein ganzes Leben im Gefängnis und litt fortwährend unter der Demütigung, seiner Identität beraubt worden zu sein.

Unsere Geschichte beginnt in der Nacht des 25. November 1741 im Winterpalast von Sankt Petersburg. Die Regierungszeit des jüngsten russischen Zaren, die nur ein Jahr dauerte, nahm ein abruptes Ende, als Elizabeth, die Tochter Peter des Großen, in Begleitung von Soldaten der königlichen Garde das Schlafzimmer von Iwans Eltern betrat.

„Es ist Zeit, aufzustehen, Schwester!“, schrie Elisabeth Iwans Mutter und Regentin Anna an, während die Wachen, die Peters Tochter treu ergeben waren, losgeschickt wurden, um Anton Ulrich, den Vater des kleinen Iwans sowie das Kleinkind selbst zu verhaften.

Da Elizabeth den Wachen verboten hatte, dem kleinen Herrscher Angst einzujagen, warteten sie eine Stunde lang an seiner Wiege, bis der einjährige Junge die Augen öffnete und beim Anblick der Soldaten zu weinen begann.

"Kleiner, du hast dich keines Vergehens schuldig gemacht!“, sagte Elisabeth, als Iwan zu ihr gebracht wurde. Doch mit seiner vier Monate alten Schwester Catherine gingen die Soldaten nicht so behutsam um. Sie ließen sie auf den Boden fallen und machten das Mädchen damit für den Rest ihres Lebens taub.

Elisabeth verließ daraufhin mit dem Jungen in ihren Armen den Winterpalast, wusste jedoch nicht, was sie mit diesem problematischen Kind, das der einzige Mensch war, der ein legitimes Recht auf den russischen Thron besaß, tun sollte.

Eine Ära der Staatsstreiche

Das 18. Jahrhundert wird in Russland gerne als „die Ära der Palastrevolten" bezeichnet. Auch Peter der Große kam so Ende des 17. Jahrhunderts nach einer Reihe von gewaltsamen Umstürzen an die Macht, die dazu führten, dass er und sein Halbbruder, Iwan V., sich bis zu Iwans Tod im Jahre 1696 den Thron teilen mussten.

Da Peters älterer Sohn Alexej jedoch regierungsunfähig war, änderte Peter die Erbfolge: Von nun an musste jeder Monarch in seinem Testament einen Nachfolger angeben.

Die erste große Krise kam 1730, als der Zar und Enkel Peter des Großen, Peter II., starb, ohne seinen Nachfolger bestimmt zu haben. Nach einem heftigen internen Rechtsstreit entschied die einflussreiche Seite unter der Führung von Fürst Dmitrij Golitsyn, dass der Thron an die Nachkommen des Bruders Peter des Großen, also Iwan V. gehen sollte. Das bedeutete, dass die nächste Herrscherin die Tochter Iwan V., Anna, sein würde. Währenddessen wurde Peters Tochter Elisabeth angewiesen, die Verhandlungen vor Gericht zu verlassen. Im Jahr 1730 bestieg Anna Iwanowna den Thron und begann sofort mit der Planung eines Nachfolgers.

Zu jung zum Regieren

Anna Iwanowna verabscheute die ganzen Verwandten Peter des Großen und glaubte, dass Peter ihren Vater zu Unrecht der Macht beraubt hatte. Im Jahr 1730, da war Anna 37, stellte sich heraus, dass sie wohl nicht in der Lage war, ein Kind zu bekommen. Sie beschloss, mithilfe ihrer Nichte Anna Leopoldowna einen Nachfolger zu „produzieren“. Im Jahr 1739 arrangierte Anna die Heirat ihrer Nichte mit Herzog Anton Ulrich von Braunschweig. Im Jahr 1740 erblickte Iwan VI. eineinhalb Monate vor Annas Tod das Licht der Welt und wurde dem Gericht sowie der Öffentlichkeit gezeigt, um zu beweisen, dass es einen Erben gibt. Der junge Michail Lomonossow schrieb sogar eine Ode an Iwan. Da der Junge zu klein war, um die Verantwortung für den Staat zu übernehmen, nahmen seine Mutter und sein Vater die Position der Staatsoberhäupter ein.

Zunächst beabsichtigte die Familie Braunschweig, das Kind von den Verhandlungen vor Gericht fernhalten, das war jedoch nicht ganz einfach. So verlangte der französische Gesandte Marquis de La Chétardie, dass Iwan VI. physisch auf dem Thron anwesend sei, während Chétardie einen offiziellen Brief seines Königs vorlas. Der kleine Iwan musste demnach, während er bei den königlichen Verhandlungen fröhlich spielte und plapperte, auf dem Thron sitzen.

Indessen ging die Macht in Russland langsam in die Hände der Deutschen über: Hinter dem Rücken der Familie Braunschweig, die zu unerfahren war, um ein so großes Land zu regieren, hielt der einflussreiche Graf Ostermann die Zügel der Staatsmacht in der Hand. Das hielt jedoch nicht lange an. Nach dem Putsch von 1741 kehrte die Macht in die Hände der Zarenfamilie Peter des Großen zurück.

Niemand wagte es seinen Namen auszusprechen

Elisabeth wollte ihre Regierungszeit im Guten beginnen und dachte ursprünglich nur darüber nach, die Familie Braunschweig nach Europa ins Exil zu schicken. Ihre höfischen Berater erklärten ihr jedoch bald, dass ein legitimer Erbe in den falschen Händen zu einer Waffe werden und zu einem weiteren Staatsstreich führen könnte. Aus diesem Grund wurde beschlossen, die Familie Braunschweig in Russland zu behalten und im Dorf Holmogory im äußersten Norden von Archangelsk unter Hausarrest zu stellen.

Genau wie in einer Szene aus Harry Potter war es verboten, Iwans Namen auch nur zu erwähnen. Alle Bücher und Münzen mit seinen Bildern und sogar die Kopien von Lomonossows Ode wurden ausfindig gemacht und zerstört. Bis 1745 galt der Besitz dieser Gegenstände als Staatsverbrechen. Selbst in offiziellen Verfahren wurden die Iwan betreffenden Dokumente als „Dokumente mit einem bestimmten Titel“ bezeichnet.

In Holmogory wurden sowohl die Eltern als auch die Kinder in einem abgeschotteten Haus untergebracht, wobei sich auch Iwan ohne das Wissen der anderen im gleichen Gebäude befand. Im Jahr 1746 starb Anna Leopoldowna und wurde in Sankt Petersburg als Mitglied der Zarenfamilie beigesetzt.

Das Hochsicherheitsgefängnis

In 1756 wurde Iwan in das Schlüsselburg-Gefängnis verlegt, wo er als „ein gewisser Gefangener“ bezeichnet und es den Wachen verboten wurde, mit ihm zu sprechen.

Zudem gab es eine weitere düstere Anordnung. Im Falle eines Fluchtversuchs oder auch nur eines Aufrufs zu seiner Freilassung sollte der Junge sofort von den Wachen getötet werden. Die Anordnung sollte selbst dann ausgeführt werden, wenn der russische Monarch eine Freilassung angeordnet hätte. Damit war Iwan im Grunde zum Tode verurteilt.

Später berichteten die Wärter, dass der Gefangene sich in ständiger Angst befunden hätte, „sich über boshafte Hexerei gegen seine Person beschwerte“" und bei dem geringsten Lärm während des Schlafes hochschreckte.

Der arme Erbe träumte ferner davon, in einem Kloster zu leben. Offensichtlich haben die Wärter mit dem Gefangenen aus dem ersichtlichen und traurigen Grund, dass der 16-jährige Junge nach einem ganzen Leben in Gefangenschaft bei allem Hilfe brauchte, kommuniziert; es war um seinen psychischen Gesundheitszustand nicht gut bestellt.

Das Abgleiten in den Wahnsinn

Im Jahr 1762 besuchte Katharina die Große Iwan in seiner Zelle und sah, dass er ein wenig verrückt geworden war. Sie kam ihm jedoch nicht zur Hilfe, da er mehr Rechte auf den Thron als sie besaß und daher eine Bedrohung war.

Im Jahr 1764 kam diese traurige und verworrene Geschichte zu einem abrupten Ende, als der Leutnant Wasilij Mirowitsch einen verzweifelten Versuch unternahm, Iwan zu befreien. Wie zuvor angeordnet, wurde der Gefangene sofort getötet und anschließend irgendwo bei Schlüsselburg begraben. Im Jahr 2010 wurden Meldungen über den Fund von Iwans Leichnam in Holmogory vom Institut für Archäologie der Russischen Akademie der Wissenschaften zurückgewiesen.

Die Frage, die dabei unbeantwortet bleibt, ist, ob Katharina die Verschwörung und Mirowitschs Versuch, den unglücklichen Erben zu befreien und damit zu beseitigen, mitinitiiert hatte, da er einer der wenigen war, den die allmächtige Herrscherin fürchtete.

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