Peter der Große (Regierungszeit 1692 – 1725) war der erste Kaiser des neuen Russischen Imperiums. Als aber plötzlich eine Kinderleiche, ertränkt und in ein Handtuch gewickelt, auf seinem Palasthof auftauchte, war der Herrscher aufrichtig geschockt. Denn 1716 konnte sich noch niemand vorstellen, wer dieses Unglückskind war.
Erst einige Jahre später kam die Wahrheit ans Licht: Es war das Kind von Mary Hamilton oder, wie sie zu Hofe genannt wurde, Maria Danilowa Gamontowa, der Hofdame von Peters Ehefrau Katherina.
Es war ein außereheliches Kind, so viel war klar. Aber wer war der Vater? Der russische Journalist und Buchautor von „100 Geschichten großer Verbrechen“, Michail Kubejew, meint, es könnte auch das Kind Peters I. gewesen sein. „Gemäß der damaligen Rechtsprechung hätte Mary Hamilton wenigstens der Ausschluss aus der Kirche und eine Beerdigung bei lebendigem Leibe gedroht“, so Kubejew. Aber ihr Leben und auch ihr Tod nahmen einen anderen Weg.
Leidenschaft und Ruhm
Mary stammte aus der angesehenen schottischen Adelsfamilie Hamilton, deren Abkömmlinge bereits zu Zeiten Iwan des Schrecklichen (1547 – 1584) nach Russland kamen und seitdem treu den Zaren dienten. Chronisten jener Zeit schreiben, dass diese junge Dame Peter I. einfach nicht nicht auffallen konnte und so „entdeckte er zahlreiche attraktive Momente“. In anderen Worten, Mary wurde die Geliebte des Zaren – denn ein „Nein“ gegen den Willen des Zaren galt als schlicht unmöglich.
Das war nichts Ungewöhnliches: Peter I. hatte viele Affären und seine Ehefrau Katherina war offenbar nicht besonders eifersüchtig, zumal sie selbst ja einst nur Peters (und dessen Generäle) Geliebte war, bevor sie es schaffte, zur Ehefrau „aufzusteigen“. Und so zeigte sie wohl auch ein gewisses Verständnis und Mitgefühl für die Liebschaften ihres Mannes. Und der kehrte brav nach jedem Abenteuer in den Schoß seiner offiziellen Familie zurück. So musste es auch mit Mary gewesen sein. Aber ihr Leben nahm mit dieser Geschichte eine tragische Wendung.
Der Sog in den Abgrund
Als die Romanze mit Peter I. ihrem Ende entgegenging, verliebte sich Mary in den Adjutanten Iwan Orlow. Die Liason mit Orlow jedoch stand sofort unter einem schlechten Stern: Er war ein starker Trinker und schlug seine Dame viel. Wie Mary später gestand, begann sie zu jener Zeit „verschiedene Kleinigkeiten und Goldmünzen von der Frau des Zaren zu stehlen“, um sie Orlow zu schenken.
Und dann bekam sie noch ein weiteres Problem: Sie wurde schwanger. Mindestens drei Mal. Die ersten zwei Kinder trieb sie mithilfe von Medikamenten ab, „die ich vom Palastarzt bekam, indem ich vorgab sie zu anderen Zwecken zu brauchen“. Aber die Geburt ihres dritten Kindes konnte sie nicht mehr verhindern. Die körperlichen Anzeichen für die Schwangerschaft musste sie monatelang unter einem weiten Mantel verstecken.
Niemand weiß sicher, wer nun wirklich der Vater war. Für Historiker wie Kubejew kommt Peter der Große in Frage, denn er soll Mary auch nach dem Erkalten seiner Leidenschaft für sie noch regelmäßig aufgesucht haben. Oder aber Orlow? In jedem Fall aber hätte die Geburt eines „Bastards“, eines außerehelichen Kindes, Marys Leben und gesellschaftliche Stellung völlig zerstört. Also ertränkte sie es nach der Geburt.
Verraten, gefoltert und zum Abschied geküsst
Und am Ende war es gerade Orlow, der die Wahrheit über das tote Kind und Mary herausfand – allerdings mehr aus Feigheit den aus Aufrichtigkeit. Laut dem Russischen Biografischen Wörterbuch „wurde der Zar eines Tages sehr wütend auf Orlow, weil jener ein Dokument verloren hatte“. Orlow wiederum glaubte, wegen seiner Affäre mit Mary Hamilton beim Zaren in Ungnade gefallen zu sein. Darum entschied er sich, dem Zaren selbst alles zu erzählen – von seiner Liason mit Mary und ihren Fehlgeburten. Und plötzlich erinnerte sich Peter der Große an das tote Baby von vor einigen Jahren…
Unter Folter und in Anwesenheit des Zaren selbst gestand Mary, Fehlgeburten herbeigeführt, ein Kind getötet und die Ehefrau des Zaren bestohlen zu haben. Orlow hielt sie dabei heraus und nahm alle Schuld auf sich, als hätte er mit alldem nichts zu tun. Er bestätigte das und schob ebenfalls alle Schuld seiner Geliebten zu.
Dennoch ließ der Zar seine ehemalige Mistresse nicht lebendig begraben. Seine Frau bat ihn, sie zu begnadigen. Aber nein, Peter I. ließ sie „nur“ köpfen. Historische Quellen belegen, dass er sogar selbst anwesend gewesen sein soll. Vor der Hinrichtung trat Peter I. zu Mary Hamilton und sprach: „Ich kann dich nicht vorm Tode retten, ohne die Gesetze Gottes und des Staates zu brechen. Also akzeptiere die Hinrichtung und glaube daran, dass Gott dir vergeben wird.“ Dann küsste er sie noch zum Abschied. Wenige Sekunden später fiel Mary Hamiltons Kopf.