Drei historische Mythen, die die russische Politik prägten

Von der Machtergreifung des Sohnes Iwan des Schrecklichen bis hin zum Kalten Krieg: Diese drei „Geschichts-Enten“ veränderten Russland.

1 Der Betrug des falschen Dmitrij

Die letzten Minutend es falschen Dmitrij I.

Er war der wohl erfolgreichste Betrüger der russischen Geschichte: Er überzeugte das ganze Land davon, dass er der sich wie durch ein Wunder vor dem sicheren Tod gerettete Sohn des Zaren Iwan des Schrecklichen sei – und damit auch der rechtmäßige Thronfolger. Mit seiner Abenteuergeschichte lenkte er die russische Geschichte in eine völlig neue Richtung. Nachdem ihn eine Gruppe von Bojaren im Jahr 1606 ermordet hatte, ergriffen jene die Macht und stürzten das Land in eine Zeit der furchtbaren Wirren: Kriege, Morde, Diktatur und Repression beherrschten das Land und sein Volk.

Die am weitesten verbreitete Erklärung besagt, dass sich ein entflohener Mönch mit dem Namen Grigorij Otrepjew als falscher Dmitrij ausgegeben hätte. Als die ersten Gerüchte im Volk laut wurden, dass der verloren geglaubte Zarensohn doch noch am Leben sein könnte, leistete Otrepjew gerade seinen Wehrdienst bei einem polnischen Fürsten ab. Er nutzte die Gunst der Stunde und „gestand“ seinem Beichtvater, dass er ein Zarenkind und darum in großer Gefahr sei.

Die Polen verbreiteten dann die Version des überlebenden russischen Zarensohnes und brachten den falschen Dmitrij letztlich bis auf den russischen Thron. Die Bojaren sollen derweil von all der Intrige gewusst haben, nutzten Otrepjew jedoch gern aus, um den Thron von dem für sie weitaus gefährlicheren Boris Godunow zu befreien.

Unter dem falschen Dmitrij konnten erstmals Ausländer als Gleichberechtigte nach Moskau kommen: Die Polen verheirateten den „Zaren“ mit der Polin Marina Mnischek und machten sie dadurch zur russischen Zarin. Nachdem der falsche Zar dann ermordet worden war, gab es zahlreiche Aufstände gegen die Polen in Russland. Eine Legende besagt, dass die Asche des toten Pseudo-Dmitrijs am Ende in Richtung Polens geschossen wurde.

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2 Die Protokolle zionistischer Weiser  

Anti-jüdische Pogrome in Konnowino bei Nischnij Nowgorod

Die „Protokolle zionistischer Weiser“, ein Dokument, welches den „jüdischen Plan zur Eroberung der Weltherrschaft“ beschreiben soll, sind weltweit in millionenfacher Auflage übersetzt und verlegt worden. Russland ist dabei keine Ausnahme. Und so festigten diese Fälschungen den Antisemitismus im Land, indem es die Existenz einer gewissen „jüdisch-geheimbündigen Verschwörung“ in der Welt „belegte“.  

Erstmals erschienen diese Texte in Russland im Jahr 1903 unter dem Titel „Programm zur Erringung der Welt furch die Juden“ in der Sankt Petersburger Zeitung „Snamija“. Im Kern besagten sie Folgendes: Diese 24 Protokolle beinhalteten Instruktionen, wie die Juden erst alle bestehenden Staaten zerstören werden, um dann aus deren Ruinen ein neues jüdisches Imperium aufzubauen.

Um die Herkunft dieser „Protokolle“ ranken sich zahlreiche Legenden: Eine besagt, dass ein Agent der russischen Geheimpolizei sie 1897 aus der Aktentasche des berühmten Zionisten Theodor Herzl geklaut habe. Da die Handschrift selbst jedoch nie aufgefunden werden konnte, ist diese Theorie nie bestätigt oder widerlegt worden.

Auf die Veröffentlichung der „Protokolle“ folgte eine heftige Pogrom-Welle gegen Juden in Russland. Dies belegt die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geführte Überfallstatistik auf Juden in Russland. Auch wenn einfache Ausführende dieser Pogrome die gefälschten Texte womöglich auch nie gelesen haben, so müssen die Hintermänner und Organisatoren sie doch nicht nur gelesen, sondern auch aktiv verbreitet haben.

Erste Zweifel an der Echtheit der Papiere gab es sofort mit deren Erscheinen, dennoch dauerten die Diskussionen über 100 Jahre an. Mittlerweile ist diese Frage gelöst. 2006 forderten russische Menschenrechtler, die „Protokolle“ in die Liste der verbotenen extremistischen Texte aufzunehmen. Seit 2012 sind sie da aufgeführt.

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3 Der Plan des Allen Dulles zur Vernichtung der Sowjetunion

CIA-Direktor Allen W. Dulles in seinem Büro in Washington

„Wenn der Krieg endet, ordnet sich alles, organisiert sich. Und wir werfen alles hin, was wir haben, was wir besitzen: alles Gold, alle materielle Kraft zur Verwirrung und Verdummung der Menschen! Das menschliche Hirn, das Bewusstsein der Menschen ist fähig zu Veränderungen. Indem wir dort Chaos säen, fälschen wir ihre Werte und zwingen sie dazu, an diese falschen Werte zu glauben."

Diese Zeilen stammen aus dem sogenannten „Dulles-Plan“, einer „Doktrin“ des damaligen US-amerikanischen CIA-Chefs Allen Dulles  zur schrittweisen Zersetzung und endgültigen Zerstörung der Sowjetunion während des Kalten Krieges. Dazu sollten in der Gesellschaft falsche Werte und „Köder der freien Welt“ wir modische Tänze, Kleidung, Musik, Schallplatten, Gedichte, Lieder uvm. verbreitet werden. Tatsächlich aber handelt es sich bei dem Papier um ein Produkt der postsowjetischen Ideologie und entstand erst in den 90er Jahren.

Lange Zeit diente das „Dokument“ als Hauptargument im innerrussischen Streit um den US-amerikanischen Neoimperialismus gegen Russland. Der „Plan“ wurde im Fernsehen, der Presse präsentiert und zahlreiche öffentliche Diskussionen wurden zu ihm geführt. Viele Bürger hatten und haben darum keinerlei Zweifel an der Echtheit des Papiers, sodass sich die aus dem Text gespeiste anti-amerikanische Stimmung nicht nur die 90er Jahre hindurch, sondern sogar bis heute halten.

Erste Auszüge aus dem Text erschienen 1993 in der Zeitung „Sowjetskaja Rossija“ („Sowjetisches Russland“), wo behauptet wurde, der Plan stamme aus dem Jahr 1945. Dann bezog sich unter anderem Metropolit Ioann von Sankt Petersburg auf das Dokument sowie die „Zionisten-Protokolle“, als er beweisen wollte, dass der Westen einen „akribisch geplanten“ und „hinterhältigen“ Krieg gegen Russland vorbereite. Mit der Zeit allerdings fanden sich immer mehr Unstimmigkeiten zwischen dem Text und der realen Politik. Und auch sprachlich wuchsen die Zweifel:

So sollen teilweise ganze Zeilen praktisch aus dem Roman „Ewiger Appell“ von Anatolij Iwanow aus dem Jahr 1981 abgeschrieben sein. Der KGB soll den Text von seinen informellen Agenten in den USA erhalten haben, ihn dann unter Breschnew jedoch um eine literarisch-emotionale Note ergänzt haben. Der „Original-Text“ ist derweil nie der Öffentlichkeit zugängig gemacht worden.

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