Westliche Einmischung vor 100 Jahren: Wie Ex-Verbündete 1918 in Russlands Bürgerkrieg eingriffen

Geschichte
OLEG JEGOROW
Zwischen 1918 bis 1922 entsandten Nationen, darunter auch einstige Verbündete, Soldaten nach Russland, um strategische Positionen im Land zu besetzen, um den Verlauf des Bürgerkrieges zu beeinflussen. Die Rote Armee setzte sich dennoch durch, da es den sich einmischenden Kräften doch an einer kohärenten Strategie fehlte.

Im Oktober 1917 ergriffen die Bolschewiken in Russland die Macht. Damals war das Land gerade noch im Krieg mit Deutschland. Revolutionsführer Wladimir Lenin versprach, den Krieg zu beenden. Eine seiner ersten Amtshandlungen war denn auch die Unterzeichnung eines Friedensdekrets, in dem er "einen sofortigen Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen" vorschlug.

Diese Überraschung kam nur für Deutschland wie ein Freudenblitz aus heiterem Himmel. Für Russlands Verbündete war das ein großer Schock: Großbritannien, Frankreich, die USA und Japan. Besorgt über das innenpolitische Chaos bei dem bisherigen Bündnispartner entsandten sie bald eigene Truppen, die einzelne Teile Russlands besetzen sollten.

Acht Monate Sieg für die Deutschen

Als die Bolschewiki ein Ende des Krieges forderten, verschlechterte sich schnell die Situation für die russische Armee auf dem Schlachtfeld. Deutschland setzte seine Offensive fort, und Leo Trotzki, Lenins rechte Hand und Oberhaupt der Roten Armee, verpasste die Gelegenheit, Frieden zu günstigen Konditionen auszuhandeln. In seinen Memoiren beschrieb Trotzki die Verhandlungen.

"Der (deutsche) General Hoffmann, der der Gerichtsdiskussion überdrüssig war, stellte seinen Kampfstiefel auf den Tisch. Uns war klar, dass dieser Stiefel das einzige handfeste Argument dieser Gespräche sein würde. "

Und so war Trotzki dann auch am 3. März 1918 gezwungen, den für sein Land sehr ungünstigen Vertrag von Brest-Litowsk zu unterzeichnen, wobei das ehemalige Russische Reich die Ukraine, Finnland, das Baltikum und Polen offiziell abtreten musste und dabei 34 Prozent seiner Bevölkerung und 54 Prozent der Industrie verlor.

Deutschlands  Sieg dauerte dann jedoch auch nur bis zum November 1918, da es vor den Westmächten kapitulierte.

Verbündete greifen ein

Über den Vertrag von Brest-Litowsk zeigten sich die westlichen Entente-Politiker empört und nahmen die Sache selbst in die Hand. Der damalige britische Außenminister Winston Churchill schreibt:

"Lenin und Trotzki hatten einen beschämenden Frieden unterschrieben, mit dem sie mehr als 1.000.000 Deutsche befreiten, um unser Volk im Westen anzugreifen. Die Alliierten beschlossen im August 1918, Archangelsk und Murmansk zu besetzen und eine inter-alliierte Streitmacht einzusetzen."

Im März 1918 landeten dann auch britische, französische und amerikanische Soldaten in Archangelsk, einem strategischen Hafen am Weißen Meer. Im August besetzten sie Murmansk, ein weiteres nördliches Seetor Russlands. Die anti-bolschewistische Weiße Bewegung unterstützte die Intervention, deren offizielles Ziel es war, zu verhindern, dass westliche Munitionslieferungen in deutsche Hände fielen.

Von der Ukraine nach Wladiwostok

Der Norden Russlands war jedoch nicht der einzige Ort, an dem westliche Truppen auftauchten. Sie intervenierten auch in der Kaukasusregion, in Zentralasien und auf der Krim, wo französische Kolonialregimenter noch einige Monate blieben. Der russische Sänger Alexander Wertinskij erinnerte sich:

"Exotische afrikanische Truppen schlenderten durch die Straßen der Stadt – Afrikaner, Marokkaner, Algier – sorglos und hatten keine Ahnung, was sie hier tun sollten."

Japan schickte bis zu 70.000 Soldaten in den Fernen Osten Russlands und übernahm die Kontrolle über Wladiwostok und die gesamte Pazifikküste. Die Japaner waren in Bezug auf die Anzahl der Truppen allen anderen Invasoren unterlegen. Großbritannien schickte zusammen mit seinen Kolonien etwa 30.000, die USA etwa 15.000. Frankreich, erschöpft von Kriegsverlusten, konnte nur einige tausend Soldaten transportieren.

Zur gleichen Zeit bewegten sich im Herzen Russlands 40.000 tschechoslowakische Soldaten in Richtung Osten durch Sibirien. Sie waren gefangene österreichisch-ungarische Soldaten und bildeten die tschechoslowakische Legion in Russland, um ihre ehemaligen Herren zu bekämpfen. Doch dann endete der Krieg und die russische Regierung, für die sie arbeiteten, existierte nicht mehr. Unwillig, den Bolschewiki zu helfen, unterstützten die Tschechoslowaken die Weiße Bewegung auf der Suche nach einem Ausweg aus Russland.

Dennoch war die Rolle der Tschechoslowaken, ähnlich wie die Entente, kaum spürbar. Wie Lenin erkannte:

"Drei Jahre lang blieben britische, französische und japanische Armeen auf russischem Territorium. Zweifellos hätten sie gewonnen, wenn sie nur die geringste Anstrengung unternommen hätten, uns zu besiegen. "

Die Führer der Weißen Bewegung wie Admiral Alexander Koltschak und General Anton Denikin bewerteten die Hilfe der Entente als gering. Obwohl sie wichtig waren, standen ihre Abteilungen selten der Roten Armee auf dem Schlachtfeld gegenüber. Koltschaks Biograph Wladimir Chandorin schrieb:

"Die wichtigste Unterstützung der Verbündeten für die Weißen bestand darin, ihren Armeen Waffen und Uniformen zur Verfügung zu stellen."

Vorhersehbarer Fehler

Aber warum nur so widerwillig? Der Westen war mit den Weißen über die Zukunft Russlands ständig uneinig. Als engagierte Patrioten kämpften Generäle der Weißen Armee für Russland "vereint und unteilbar", während die Alliierten den nationalen Provinzen des Landes Unabhängigkeit gewähren wollten. Der Historiker Dmitrij Lehowitsch schrieb dazu:

"Lloyd George [britischer Premierminister ] schwankte zwischen Unterstützung der Weißen Bewegung, dem Handel mit der Sowjetregierung und der Bereitschaft, die Unabhängigkeit kleinerer Staaten entlang der russischen Grenze zu unterstützen."

Das konnte für die Weißen dann auch nicht gut enden. Sie mussten eine völlige militärische Niederlage erleiden. Einige – wie Koltschak – wurden von den Bolschewiki getötet, andere – wie Denikin – mussten das Land verlassen.

Erst Ende 1919 kehrten Tschechoslowaken, Briten und die anderen westlichen Truppen dann aus Russland nach Hause zurück. Die Bolschewiken hatten den Bürgerkrieg für sich entscheiden können. Die Japaner blieben zwar noch länger – bis 1922 im Fernen Osten. Aber auch sie waren nicht bereit, gegen die Bolschewiki zu kämpfen. Schließlich erkannte der Westen, dass er neue Beziehungen zum neuen Sowjetrussland aufbauen musste.

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