Die 1990er Jahre waren eine turbulente Zeit in der russischen Politik. Im Oktober 1993 kam es in Moskau zu bewaffneten Zusammenstößen, nachdem ein Konflikt zwischen Präsident Boris Jelzin und dem russischen Parlament außer Kontrolle geraten war. Zwei Monate später gewann die Liberaldemokratische Partei Russlands unter der Führung des Populisten Wladimir Schirinowski die Parlamentswahlen. Alles schien möglich.
Der junge Politologe Konstantin Kalatschow, der zukünftige Vorsitzende der Bierliebhaber-Partei, war im Dezember 1993 kein glücklicher Mann. Er hatte für das Parlament gekämpft, aber verloren.
"Ich habe dann Bier auf meine Traurigkeit gegossen", erinnert er sich in einem Gespräch mit Lenta.ru.
Dazu traf er seinen Freund Dmitri Schestakow, der ebenfalls erfolglos für das Parlament gekämpft hatte. Kalatschow erinnert sich:
"Wir haben entschieden, dass es in Russland keine anständige politische Partei gibt, und Dmitrij sagte dann, er würde nur für eine Bierliebhaber-Partei stimmen."
Vielleicht trank das Paar ein bisschen zu viel... Jedenfalls schrieb dann Kalatschow an alle Nachrichtenagenturen, dass sie die Bierliebhaber-Partei Russland gegründet hätten - ja, so einfach war das in den neunziger Jahren. Am nächsten Tag war er in den Nachrichten und sagte auf einer Pressekonferenz: Ja, es ist echt.
Offiziell im Dezember 1993 gegründet, hatte die Bierliebhaber-Partei (BLPR), trotz ihres lustigen Namens und ihrer Verbindung mit dem hopfenreichen Getränk, eine ernsthafte politische Agenda - oder zumindest behauptete sie - und öffnete ihre Türen nicht nur für Biertrinker. So hieß es in ihrem Programm:
"Die Partei verteidigt die Menschenrechte, einschließlich des Rechts, Bier zu trinken und das Recht, kein Bier zu trinken."
In politischer Hinsicht war die BLP liberal, unterstützte jegliche Art von politischen Freiheiten und "lehnte jegliche Form von Autoritarismus ab". Kalatschow erklärt das Problem:
"Wir waren gegen die Regierung, weil die Regierung kontrolliert wurde - von Wodka-Liebhabern, ich meine Jelzin. Wir sagten: Wodka erzeugt Aggression und führt zu Kriegen, Bier dagegen ist ein Symbol für gegenseitiges Verständnis, Frieden und Gutes."
Diese Idee war nicht neu: Wie der russische Schriftsteller Ilja Ehrenburg in seinen Memoiren schrieb, dachte sogar Leo Tolstoi, dass Bier den Wodka für die Arbeiterklasse ersetzen könnte. Dennoch ist es weder ihm noch Kalatschow gelungen, einen solchen Ersatz zu fördern.
Für die parlamentarische Kampagne von 1995 sammelte die BLPR umgerechnet rund 300.000 Dollar , unter anderem spendeten Sänger Boris Mojsejew, Schachgroßmeister Wassilij Smyslow und Physiker Boris Rauschenbach. Offiziellen Daten zufolge hatte die BLPR russlandweit rund 50.000 Mitglieder.
Kalatschow ist stolz, dass es innerhalb der BLPR verschiedene Flügel gab: von Nicht-Trinkern, von Trockenfisch-Liebhabern. Sie hatten sogar einen "Flügel der unzufriedenen Frauen" - unzufrieden mit der Regierung, offiziell.
Es war nicht überraschend, dass die Kampagne viel mit Bier zu tun hatte. Die "Bierfreunde" schickten Jelzin Bier und versuchten Michail Gorbatschow zu überzeugen, dass Bier das beste Mittel sei, die postsowjetischen Länder wieder zu vereinen. Ihre seltsamen Kampagnenvideos verspotteten Wodka-Trinker und verfochten den Frieden ... natürlich durch Bier.
Kalatschow und seine Partei erzielten jedoch keinen großen Erfolg: Bei den Parlamentswahlen 1995 gewannen sie nur rund 430.000 Stimmen - für ein so großes Land keine große Zahl, nur 0,62%. So haben es die "Bierfreunde" nicht ins Parlament geschafft.
"Diese eleganten Joker von der BLPR haben vergeblich versucht, an der politischen Auktion teilzunehmen", schrieb Kommersant.
"Unsere Kampagne war in Bezug auf unsere Botschaft nicht sehr erfolgreich", gibt Kalatschow zu. Zu den größten Fehlern zählt er die Desorganisation:
"Unsere Mittel wurden teilweise in den Regionen verteilt, und unsere Kollegen haben sie einfach ausgegeben und vertrunken."
Die Party dauerte nicht lange - im Jahr 1998 schloss Kalatschowdas Projekt und kehrte zu einer ernsten (nicht alkoholbezogenen) Politik zurück. Er arbeitete mit der Partei "Einiges Russland" zusammen, die eng mit Wladimir Putin verbunden ist. Dennoch wirkt er ein wenig nostalgisch:
"Ich bin mir nicht sicher, ob die Politik in den 1990ern aufrichtiger war, aber es war definitiv interessanter."
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