Die Leiden der jungen Teddys: Was einst echte Bären in russischen Straßen verloren hatten

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Es ist nicht nur ein witziges Klischee, früher gehörte es in Russland wirklich zum Alltag, Bären auf der Straße zu treffen. Woher sie kamen und warum sie heute nicht mehr da anzutreffen sind, erklärt Russia Beyond hier.

Am 1. Juli 1771 berichtete die Zeitung "Sankt-Petersburgskie Wedomosti", das populärste Blatt der zaristischen Hauptstadt, dass zwei Bauern aus der Region Nischni Nowgorod zwei große Bären in die Stadt gebracht hätten, die da nun bis zu 22 verschiedene Tricks aufführen könnten, darunter die Nachahmung von Richtern vor Gericht, Landmädchen, die in den Spiegel schauen und ihre Gesichter vor Jungen verstecken, einer Mutter, die kocht und ihren Sohn füttert, und Soldaten, die mit Stöcken statt mit Gewehren marschieren. Bären könnten auch mit ihren Klauen Schießpulver aus ihren Augen reiben - aber sehr vorsichtig. Sie gaben jedem die Pfoten, tranken Wein oder Bier und dankten dafür noch mit einer anmutigen Verbeugung. 

Die Popularität der Bärenshows war enorm. Die zwei Bauern konnten sich eine Anzeige in der meistgelesenen Zeitung des Landes leisten. Das heißt, sie profitierten gut von den Shows.

Bären für Zaren und Bauern

Russische Historiker weisen immer wieder mit Begeisterung darauf hin, dass ein Zarensohn im mittelalterlichen Russland noch leicht mit einem Bauernsohn spielen konnte, weil sie praktisch die gleichen Spiele hatten. Das stimmt auch für "Bärenspiele": Sie erfreuten sowohl Dorf- als auch Stadtbewohner, Adlige und Arme. Am Zarenhof wurden besonders teure Bären in Käfigen gehalten. Einfache Leute konnten Bärenshows praktisch nur sehen, wenn ein reisender Bärendompteur kam.

Es warf offenbar nicht genügend Gewinn ab, undressierte Bären wie im Zoo zu zeigen. Die Tradition der russischen Bärendressur war noch vor dem 17. Jahrhundert durch reisende Tierdresseure entwickelt worden, die sogenannaten Skomorochs.

Ein halbes Jahr alte Bärenjungem wurden in freier Wildbahn gefangen und darauf dressiert, die Handlungen des einfachsten Mannes zu kopieren - jede mit einem bestimmten Reim oder Singsang, den der Bär erkennt. Darum haben die Dresseure während der Shows immer gesungen und gereimt.

Sie reisten oft mit Geiger und Schlagzeuger, die mehr Menschen zu den Shows versammeln sollten. Die Hochsaison sauerte in Russland maximal ein halbes Jahr, den Sommer über. Die Verdienste in dieser Zeit mussten dann übers Jahr reichen.

Einige Bauern wollten nicht selbst Bären ausbilden. Sie konnten dann ein ausgebildetes Tier für 40 Rubel erwerben. Zum Vergleich: Ein junger Hammel kostete damals acht Rubel, ein Anwalt auf dem Land verdiente 20 Rubel im Monat, ein Hut kostete zwei Rubel. Für 1,50 Rubel gab es eine Trommel oder eine Kette, für 3 Rubel eine Geige.

In einer Saison verdienten "Bärenkinder" etwa 130 Rubel, inklusive Kleidung und Essen. Ungefähr 25 Rubel kostete das Futter für den Bären. Am Ende blieben dem Dresseur noch etwa 70-80 Rubel. Die Hälfte  verlangte oft der  Bärenbesitzer, und die Hälfte wurde zwischen Fiedler und Schlagzeuger aufgeteilt. Am Ende blieb: Sieben Monate harte Arbeit. Nicht viel, aber genug für einen Bauern, um über die Runden zu kommen.

Bären gegen böse Geister

Aber es gab Wege, um noch mehr zu verdienen - mit ein wenig Witz und dem "Glauben", dass Bären übernatürliche Kräfte haben können. So sollen sie feindliche Hausgeister, die Domowojs, vertreiben. Oft erzählten die Dompteure, wenn sie neu in ein Dorf kommen, eine Menge Gruselgeschichten über unglückliche Bauern und zerstöre Wirtschaften.

Wenn sich dann bald ein besorgter Hausbesitzer meldete, um den "Bärenritus" über seinem Haus durchzuführen, bestellt jener praktisch Folgendes: Wenn sich der Bär dem Haus des Fragestellers näherte, zog der Dresseur unauffällig einen kleinen Faden mit sich, der an einem Ring in der Lippe des Bären befestigt war. Dann wich das arme Tier vor Schmerz und mit ohrenbetäubendem Gebrüll zurück - was den Zuschauern so schien, als hätte er den bösen Geist gespürt. Dann schaut der Dompteur plötzlich grimmig und sagt, dass ein mächtiger böser Domowoj im Haus sei, und er könne nur mit mächtigen Zaubern beruhigt werden - für die er und sein Bär sehr gut bezahlt werden müssten. Nach der Bezahlung entspannt er den Bären langsam und geht mit ihm über Hof und Haus - leichtes Geld!

Business mit der Quälerei

Zum Glück gab es einige Leute, die diese "Bärenspiele" als das sahen, was sie wirklich waren: entsetzliche Tierquälerei. Im Jahr 1865 gründete der ehemaliger Armeeoffizier und Zaren-Kammerherr Pjotr ​​Schukowski die Russische Gesellschaft für Tierschutz. Damals bestand sie aus nur 50 Personen, die ein offizielles Verbot von Hahnenkämpfen erwirkten und ein Tierpflegezentrum eröffneten.

Ein weiteres Hauptziel war ein "Bärenspiel"-Verbot. Das Innenministerium räumte ein, dass es nicht nur für die Tiere eine Tortur ist, sondern sagten auch über die Dresseure, dass diese nicht arbeiteten, tränken und damit soziale Parasiten seien. Im Jahr 1867 wurde das "Bärspielen" zum Straftatbestand erklärt. Leider nur für 50 Jahre.

Sechs Jahre nach dem Verbot wurde Iwan Filatow geboren. Er wurde ein berühmter Löwentrainer und reiste mit seinem Zirkus durch ganz Russland - denn Löwenaufführungen waren nicht verboten. Sein Sohn Valentin erbte das Handwerk seines Vaters und gründete 1940 die Show "Bärenzirkus". Der sowjetische Staat sah Zirkusse als wichtiges Mittel der Volksunterhaltung und förderte diese Shows. Filatow und seine Bären reisten so in der Sowjetunion und im Ausland. Der Bären-Alptraum war wieder da, und noch schlimmer: Jetzt mussten Bären Motorrad fahren. Und niemand hat wohl nie erfahren sollen, was mit den Bären nach der "Pensionierung" passierte. Aber die Tierärztin und Aktivistin Karen Dallakjan weiß es:

"In unserem Land gibt es kein System der Pensionierung für Tiere aus Zirkussen und Zoos, die bereits ihre besten Jahre erlebt haben. Das Filmstudio Mosfilm hat eine Art 'Tierheim'. Das Problem ist, dass  die Tiere von hier zu Knödeln oder bettvorlegern verarbeitet werden."

Die Bären im Ruhestand sind von der Gnade ihrer ehemaligen Trainer abhänig - wenn sie gutherzige Menschen sind, haben ihredie Bären gute Aussichten, den Rest ihres Lebens unter angemessenen Bedingungen zu verbringen.

Als Verdienter Künstler der Russischen Föderation ist auch Tiertrainer Pawel Kudrya einer jener Leute, die diese Frage bewegt. Nach seiner berühmten Nummer nahm die Ziekusverwaltung die Bären Jegor und Raja aus dem Repertoire aus. Aber Kudyra hält und füttert seine braunen Kollegen nun auf eigene Kosten auf der Landfarm eines Freundes.

Es gibt mehr positive Beispiele: zum Beispiel der berühmte Bär Stepan, der mit der russischen Familie seines Tiertrainers lebt, als Schauspieler und Model arbeitet; oder Mascha, das Maskottchen der Stadt Jaroslawl, der ein Leben von lokalen Tieren genießt Berühmtheit.

Die Behandlung von Zirkustieren ist in Russland immer noch ein großes Problem. Es gibt zwar ein Gesetz gegen Tierquälerei, aber Bärenzirkusse gelten darin nicht als Grausamkeit. Seit dem 27. Juni 2018 stehen Kauf und Verkauf seltener und gefährdeter Tiere in Russland unter Strafe. Auch Bären sollten dazu gehören.

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