Zweiter Weltkrieg: Warum die sowjetisch-amerikanische „Operation Frantic" scheiterte

Nationalarchive/Fortepan
Ein gemeinsames Bombardement Nazideutschlands sollte sich positiv auf die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten auswirken. Stattdessen schadete es ihnen empfindlich und trug wesentlich zum Ausbruch des Kalten Krieges bei.

Vom Zeitpunkt ihres Eintritts in den Zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 an hatten die Vereinigten Staaten geplant, sowjetische Flugplätze für massive Bombardements Deutschlands zu nutzen, aber jahrelang scheiterte dieses Vorhaben am hartnäckigen Widerstand der Sowjets.

Erst im Februar 1944 erlaubte Stalin einer kleinen Anzahl amerikanischer Bombenflugzeuge, von sowjetischen Flugplätzen aus zu operieren. Das war die Geburt der Operation Frantic, die den Amerikanern die Möglichkeit bot, strategisch wichtige Ziele in Deutschland zu bombardieren, die sie von Flugplätzen in England und Italien aus nicht erreichen konnten.

Die Royal Air Force, die Luftstreitkräfte Großbritanniens, weigerten sich, an der Operation Frantic teilzunehmen, weil Winston Churchill ein tiefgründiges Misstrauen gegen die Sowjets hegte. Die Verantwortlichen der Vereinigten Staaten sahen jedoch eine perfekte Gelegenheit, die Beziehungen zur Sowjetunion zu verbessern.

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Herzliche Begrüßung

Bomber der Vereinigten Staaten bedienten sich während der Operation Frantic einer Pendeltechnik, bei der die Bombenflugzeuge von sowjetischen Flugplätzen starteten, aber nach dem Bombardement der feindlichen Ziele auf Flugplätzen in Italien landeten, die durch Alliierte betrieben wurden.

Das sogenannte „shuttle bombing” (zu Deutsch „Pendelbombardement“) war darauf ausgelegt, Piloten der Luftwaffe der Wehrmacht in die Irre zu führen, die normalerweise versuchten, Bomber der Alliierten auf ihrem Rückflug abzufangen. Dank dieser Taktik konnten die Abfangjäger nie wissen, in welche Richtung die Bomber nach der Erfüllung ihrer Mission fliegen würden.

Drei Flugplätze nahe Poltawa in der Ostukraine wurden für den Einsatz von Flugzeugen des Typs Boeing B-17 Flying Fortress (zu Deutsch: „fliegende Festung“) und der Strategischen Bomber Consolidated B-24 (zu Deutsch: „Gemeinsam B-24“), sowie von Begleitjagdflugzeugen des Typs P-51 und P-38 ausgewählt.

Einige tausend amerikanische Spezialisten und Massen von Fracht und Munition wurden im Frühling des Jahres 1944 nach Poltawa gebracht.

Die Operation Frantic wurde offiziell am 2. Juni gestartet, als 200 amerikanische Bomben- und Jagdflugzeuge Italien verließen, einen ungarischen Bahnhof bombardierten und danach zum ersten Mal auf sowjetischen Flugplätzen landeten.

Die Piloten machten Bekanntschaft mit ihren zukünftigen Kollegen, sowjetischen Mechanikern, unternahmen Spaziergänge in Poltawa, unterhielten sich fröhlich mit Einwohnern und hielten alles mit ihren Filmkameras fest. Trotz Sprachbarrieren und der dringenden Empfehlung des sowjetischen Nachrichtendienstes zur Spionageabwehr SMERSch, keinen engen Kontakt zu Amerikanern aufzunehmen, bauten amerikanische Piloten ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zum sowjetischen Personal auf.

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Regelmäßige Bombardements strategischer Ziele in Deutschland, Polen, Ungarn und Rumänien folgten einen Monat lang, bis die Operation von einer Katastrophe heimgesucht wurde.

Deutsche Rache

Getroffen von den schweren Schlägen gegen ihre Militärfabriken und wichtigen Transportwege reagierten die Deutschen schnell. Am 21. Juni folgte eine Maschine des Typs Heinkel He-111 heimlich den amerikanischen Bombern auf ihrem Rückweg zu sowjetischen Flugplätzen und identifizierte so deren Startplatz.

„Der letzte amerikanische Bomber brachte das deutsche Aufklärungsflugzeug auf seinem Heck mit. Der Deutsche zog nur einen Kreis über dem Flugplatz und verschwand. Unsere Jagdflugzeuge versuchten, ihn abzufangen, aber scheiterten“, erinnerte sich (rus) der Mechaniker Juri Dubrowin.

In der folgenden Nacht griffen deutsche- und ungarische Bomber den Flugplatz nahe Poltawa an. Weder sowjetische Abfangjäger noch örtliche Flugzeugabwehrschützen konnten sie aufhalten. Im Gegenteil: Das sowjetische Feuer zur Flugzeugabwehr lieferte eine exzellente Orientierung für das nahende Achsenflugzeug.

Die Amerikaner nahmen großen Schaden und verloren 47 der 73 Flugzeuge. Große Mengen amerikanischer Munition und Fracht wurden ebenfalls zerstört. „Das war der größte Verlust, den wir im gesamten Krieg je auf einem einzelnen Flugplatz erlitten haben“, sagte (rus) der B-17-Kommandant John Pesch.

Großer Groll

Amerikanische Befehlshaber gaben der sowjetischen Seite die Schuld an der Katastrophe und warfen ihr vor, schwache Abwehrgeschütze und Abfangjäger zu haben, die in keiner Weise auf nächtliche Gefechte vorbereitet waren. Sie forderten ihre eigenen Abwehrgeschütze und Nachtjäger aus den Vereinigten Staaten an.

Die Vorwürfe der Amerikaner waren berechtigt. Die Sowjets hatten nicht für den ausreichenden Schutz des Flugplatzes gesorgt, nicht ein einziger Nachtjäger war dort stationiert gewesen. Massives, aber chaotisches Feuer der Abwehrgeschütze erfasste nicht ein einziges deutsches Flugzeug.

„Die Russen hätten besser vorbereitet sein können. Wir stießen auf keinerlei Widerstand. Ich schätze, zwischen den Amerikanern und Russen gab es ein großes Missverständnis“, sagte (rus) Heinz Kiel, ein Funktechniker für den Flugzeugtyp Heinkel He-111.

Die Operation Frantic wurde zeitweise unterbrochen. Die übrigen Flugzeuge wurden an italienische Flugplätze zurückgeschickt. Das Verhältnis der übrigen Amerikaner und Sowjets auf den Flugplätzen wurde extrem angespannt und unterkühlt.

Obwohl die Anspannung gestiegen war, wurde die Operation im August fortgesetzt, wenn auch in einem wesentlich kleineren Umfang.

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Der Abgesang der Operation Frantic kam während des Warschauer Aufstandes. Beharrliche Bitten der Amerikaner um Erlaubnis, den Polen über sowjetischen Luftraum Ausrüstung zukommen zu lassen, wurden von Stalin abgewiesen, der allein die Rote Armee für die Befreiung Polens verantwortlich wissen wollte.

Der andere Grund, aus dem die Operation abgebrochen wurde, war der rasche Vormarsch der Sowjets gen Westen, durch den Poltawa zu weit in das Hinterland geriet.

„Verloren in der Ukraine“

Am 19. September 1944 verließen alle amerikanischen Bombenflugzeuge endgültig die Flugplätze von Poltawa.

Im Oktober wurde der Großteil der übrigen amerikanischen Belegschaft aus der Sowjetunion evakuiert. Im Winter zwischen den Jahren 1944 und 1945 blieben lediglich 200 Männer zurück. Weit entfernt von der Front in Europa nannten sie sich „verloren in der Ukraine“.

Erst am 22. Juni 1945 verließen die letzten Amerikaner die Sowjetunion, um im Fernen Osten im Kampf gegen die Japaner eingesetzt zu werden.

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