Tödliche Intrige: Warum Trotzki den Retter der Baltischen Flotte hinrichten ließ

Getty Images, Tyne & Wear Archives & Museums/Flickr, gemeinfrei
Der bolschewistische Terror machte manchmal keinen Unterschied zwischen Freund und Feind und tötete willkürlich beide. Eines der Opfer war Kapitän Alexei Schtschastny, der die baltische Flotte vor der Einnahme durch die Deutschen gerettet hatte.

In den frühen Morgenstunden des 11. April 1918 erreichte die Marine des Deutschen Reichs Helsinki. Man wollte sich in den finnischen Bürgerkrieg einmischen und kommunistische Kräfte zurückdrängen. Doch das war nicht das einzige Ziel.

Die Baltische Flotte der Sowjets, ein neutraler Beobachter im finnischen Konflikt, lag im Hafen der finnischen Hauptstadt. Die Deutschen hatten den Plan, die sowjetischen Kriegsschiffe zu kapern, die ihnen wie leichte Beute erschienen.

Ein großartiges Manöver der Russen durchkreuzte diese Pläne. Als die Deutschen Helsinki erreichten, sahen diese die Schiffe der Sowjets nur noch als schwindende Silhouette am Horizont. Direkt vor ihrer Nase hatte der Kommandant der Baltischen Flotte, Kapitän Alexei Schtschastny, dafür gesorgt, dass einige hundert Schiffe über den zugefrorenen Golf von Finnland in den russischen Marinestützpunkt Kronstadt verlegt wurden. Es war eine gewagte und schwierige Operation.

Der russische Eisbrecher

Gefangen im Eis

Anfang 1918 war die einst ruhmreiche Baltische Flotte nur noch ein Schatten ihrer selbst. In den Wirren des Ersten Weltkrieges und nach dem revolutionären Chaos, herrschte Disziplinlosigkeit und keine Moral in der Mannschaft. Zudem waren die Seeleute aufmüpfig und es gab heftige Spannungen zwischen ihnen und den Befehlshabern.  

Finnland hatte seine Unabhängigkeit erlangt und gehörte nicht mehr zu Russland. Russische Soldaten und die russische Kriegsflotte mussten das Land verlassen. Die Seemänner warteten nur noch auf die Schneeschmelze im Golf von Finnland.

Der Plan der Deutschen

Die Deutschen wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Finnland war vom Bürgerkrieg zwischen den bürgerlichen „Weißen“ und den kommunistischen „Roten“ erschüttert und die Gesellschaft tief gespalten. Das sowjetische Russland hatte, zumindest offiziell, seine Neutralität erklärt. Deutschland sah seine Chance, in den Konflikt einzugreifen und den Einfluss in der Region auszubauen.

Die Deutschen boten den finnischen Weißen Unterstützung an, die dankbar aufgenommen wurde. Am 5. März näherte sich die Reichsflotte den Aland Inseln, die die wichtigste Operationsbasis der Deutschen in Finnland werden sollten.

Die deutschen Soldaten in Helsinki

In den kommenden Wochen kamen die Deutschen der russischen Flotte näher und näher. Am 3. April besetzten sie die Halbinsel Hanko im Süden Finnlands. Am 7. April nahmen sie die Stadt Loviisa rund 80 Kilometer von Helsinki entfernt ein. Die Deutschen waren sich sicher, dass die Russen in der Falle saßen und ihnen nicht genug Zeit blieb, sich nach Kronstadt zurückzuziehen. Hunderte von schutzlosen Kriegsschiffen erschienenen eine leichte und begehrte Beute.

Die Führer der Bolschewiki stellten Kapitän Schtschastny vor die Wahl: Entweder brachte er die Schiffe heim oder er solle sie in die Luft sprengen. Die zweite Möglichkeit wäre die einfachere gewesen, doch Schtschastny entschied sich für die Rettung der Schiffe.

Der Eismarsch

Die Organisation und die Motivation der demoralisierten Seemänner war keine leichte Aufgabe, doch Kapitän Schtschastny gelang das Unmögliche: Er konnte seine Männer davon überzeugen, trotz des Zeitdrucks ruhig und besonnen zu handeln.

Ihm war klar, dass er nicht alle Schiffe gleichzeitig verlegen konnte. Daher sah sein Evakuierungsplan drei Phasen vor. Die erste startete Anfang März, als der Golf von Finnland noch gefroren war.

Der Eismarsch der Baltischen Flotte

Die erste Einheit verließ Helsinki am 12. März. Vorneweg machten die Eisbrecher den Weg frei. Sie schufen eine schmale Fahrrinne für die nachfolgenden Schiffe. Zuerst kamen die sechs Schlachtschiffe.  

Im Sommer hätte der Weg nach Kronstadt nur sieben Stunden gedauert, unter den eisigen Bedingungen des Frühjahrs brauchten die Schiffe fast eine Woche. Am 17. März erreichten die ersten Kronstadt.

Die zweite Einheit machte sich am 4. April auf den Weg. Die dritte Gruppe musste drei Tage später die Segel setzen, da die deutschen Soldaten und Kriegsschiffe sich Helsinki gefährlich näherten.

Kapitän Schtschastny verließ Helsinki als einer der letzten am 11. April. Am folgenden Tag stürmten die Deutschen die Stadt. Doch die russischen Schiffe waren ihnen vor der Nase weggefahren.

Trotzkis „Dank”

Am 20. April erreichten die letzten Schiffe der Baltischen Flotte Kronstadt. Die Flotte war nahezu vollständig mit sechs Schlachtschiffen, fünf Kreuzern, 59 Zerstörern und zwölf U-Booten. Zurückgelassen wurden nur einige unbedeutende Schiffe. Kapitän Schtschastny wurde als „Roter Admiral” und „Retter der Marine” gefeiert. Er war ein Held, doch das sah nicht jeder so.

Sein Ansehen war derart groß, dass er sich den Unmut und Neid Leo Trotzkis zuzog. Kapitän Schtschastny und Trotzki hatten sich noch nie gut verstanden. Also beschloss Trotzki, den berühmten Kapitän, den er einen „Kriminellen von großer Bedeutung” nannte, zu vernichten.

Leo Trotzki

Trotzki intrigierte gegen Schtschastny und es gelang ihm, dass diesem konterrevolutionäre Bestrebungen vorgeworfen wurden. Der Vorwurf gegen ihn lautete: „Er hat sich durch seine Tat bewusst populär gemacht, um diese Popularität später gegen die Sowjetmacht einsetzen zu können.”  

So absurd diese Anschuldigung auch war, Trotzkis Einfluss war groß. Daher wurde der Kommandant der Baltischen Flotte am 22. Juni 1918 hingerichtet. Seine Rolle beim Eismarsch wurde aus der sowjetischen Geschichtsschreibung gestrichen. Kurz vor seinem Tode sagte Schtschastny: „Trotzki lässt mich aus zwei Gründen töten (rus): zuerst, weil es mir gelungen ist, die Flotte gegen alle Widrigkeiten zu retten und dann, weil er weiß, wie beliebt ich unter den Seemännern bin, was ihm Angst macht.”

>>> Die Gesichter der Revolution: Lenin, Stalin und Trotzki

>>> Wie Stalin den Geheimdienstmitarbeiter verriet, der Moskau rettete

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!