Juri Andropow auf dem Roten Platz am 1. Mai 1983
Eduard Pesow/TASSJuri Andropow wurde am 15. Juni 1914 in der südrussischen Region Stawropol geboren. Für 15 Jahre leitete er den sowjetischen Geheimdienst KGB und war dann anderthalb Jahre Staatschef der UdSSR. Seine Amtszeit wird heute mit gemischten Gefühlen betrachtet. Einige sehen ihn als einen relativ liberalen Politiker, der die Sowjetunion hätte retten können, wenn er genug Zeit gehabt hätte. Für andere dagegen gilt er als repressiver Bürokrat. Also wer war er?
Andropow sprach nur selten über sein Privatleben. Gerüchten zufolge war er der Enkel eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns, was er selbst jedoch stets leugnete. Andropow war zwischenzeitlich fünf Jahre verheiratet und hatte einen Sohn, mit dem er aber nach der Scheidung kaum mehr sprach.
Auch beruflich war Andropow ein Mann der Geheimnisse. Das lässt sich vermutlich auf seine Arbeit zurückführen. Dazu schrieb der Publizist Roi Medwedew in der Biographie Juri Andropow: „Die Leute kannten ihn höchstens als Leiter des KGB und Geheimdienstchefs suchen nur selten die Öffentlichkeit. Gerade in einem Land wie der Sowjetunion konnten sie auch nicht unbedingt erwarten, geliebt zu werden.“ Als er nach Breschnews Tod 1982 an die Spitze des Staates gelangte, stand Andropow dann plötzlich im Licht der Öffentlichkeit. Um sich ein eigenes Image aufzubauen, fehlte ihm jedoch die Zeit.
Andropows Karriere kam in Fahrt, als er 1954 zum Botschafter in Ungarn ernannt wurde. Zwei Jahre später kam es zum Aufstand. Weite Teile der ungarischen Bevölkerung verlangten mehr Freiheiten und wandten sich gegen den sozialistischen Staat.
Schnell kam es zum bewaffneten Konflikt. Andropow bezeichnete die Aufstände als „konterrevolutionäre, anti-soziale Rebellion“ und verstärkte die Unterstützung der sozialistischen ungarischen Regierung durch sowjetische Truppen. Er koordinierte die Zusammenarbeit zwischen den prosowjetischen Kräften in Ungarn und den sowjetischen Soldaten und hielt Ungarn so im kommunistischen Block. Bei dem Konflikt starben 2.500 Menschen.
Ein Angehöriger der ungarischen Geheimpolizei (AVH) ist während des Aufstands in Budapest im November 1956 von der aufgebrachten Menge umgeben.
Getty Images1957 verließ Andropow Budapest und ging zurück nach Moskau. Die Bilder der wütenden Massen, die Polizeibeamte töteten, vergaß er jedoch nie. Der sowjetische Diplomat Oleg Trojanowski erinnerte sich: „Andropow sprach immer wieder von den Ereignissen in Ungarn 1956. Er sagte oft, ‚Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie es ist, wenn zigtausende Menschen unkontrolliert auf den Straßen rebellieren.‘“ Trojanowski glaubte, dass Andropows Politik von dem Ziel geprägt war, ein solches Szenario in der Sowjetunion zu verhindern.
Gleichzeitig konnte Andropow auch sehr flexibel sein. Von 1957 bis 1967 war er im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei für die Beziehungen innerhalb der sozialistischen Bewegung verantwortlich. Seine Berater waren zu dieser Zeit junge Intellektuelle, die ihn als „liberalen“ Anführer erlebten. Einer davon war der Politikwissenschaftler Georgi Arbatow. In der britischen BBC erzählt er von Andropow: „Er sagte immer: ,In diesem Raum können wir ganz offen miteinander reden. Aber außerhalb müsst ihr euch an die Regeln halten!‘ Das bedeutete, dass wir unter uns das Sowjetsystem kritisieren durften, solange wir loyal gegenüber dem Land blieben.“
Vorsitzender des KGB Juri Andropow (rechts) während des Besuchs auf der Traktorenfabrik Onega in Petrosawodsk, 4. August 1978
Semjon Maisterman, Walentin Mastjukow/TASSEinige Historiker, darunter Susanne Schattenberg von der Osteuropaforschungsstelle der Universität Bremen, glauben, dass es auch Andropow war, der Breschnew in den 1970er-Jahren zu seiner Entspannungspolitik gegenüber dem Westen trieb. Innenpolitisch verfolgte Andropow hingegen einen repressiven Kurs.
Schon in der Ära Breschnew (1964-1982) war Andropow eine der wichtigsten Persönlichkeiten der sowjetischen Politik. Seit 1967 war er Leiter des KGB. Viele Krisen vielen in seine Amtszeit als Geheimdienstchef, darunter die Kriege im Mittleren Osten und in Afghanistan, der Aufstand in der Tschechoslowakei sowie das Aufkommen der Dissidentenbewegung innerhalb der UdSSR. Letztere unterdrückte Andropow mit eiserner Hand. Zahlreiche Dissidenten wurden für „geisteskrank“ erklärt und in psychiatrischen Kliniken untergebracht oder mussten das Land verlassen.
Generalsekretär Leonid Breschnew unterschreibt einen neuen Stockholmer Appell. Stehend v.l.n.r.: Sekretär des Zentralkomitees Andrei Kirilenko, Vorsitzender des Ausschusses für Staatssicherheit Juri Andropow, Außenminister der UdSSR Andrei Gromyko und Vorsitzender des Ministerrates Alexei Kosygin.
Eduard Pesow/Sputnik„Andropow schämte sich nie für seine Rolle bei der Verfolgung von Dissidenten“, schrieb Medwedew. „Auch wenn er ein hochgebildeter Intellektueller war, fand er die Idee einer demokratischen Opposition genauso abwegig wie öffentliche Kritik an der Kommunistischen Partei oder am Sowjetstaat an sich. Er hielt den KGB für unverzichtbar für die Sowjetunion.“ Durch seine Treue, seine Effizienz und seine Professionalität war Andropow ein wichtiger Partner Breschnews.
Daher wählte Breschnew ihn als Nachfolger aus und machte ihn 1982 zum zweitmächtigsten Mann der Sowjetunion. Im selben Jahr starb Breschnew und der damals 68-jährige Andropow gelangte an die Spitze des Staates. Dort blieb er bis zu seinem eigenen Tod 15 Monate später.
In seiner kurzen Zeit an der Macht versuchte er trotzdem die sowjetische Wirtschaft zu retten, die nicht zuletzt durch die massiven Militärausgaben in große Schwierigkeiten geraten war. Insbesondere die zum Ende der Breschnew-Ära aufgeblühte Korruption und Schattenwirtschaft versuchte Andropow zu bekämpfen.
Generalsekretär des KPdSU-Zentralkomitees Juri Andropow bei einer Sitzung des Obersten Sowjets, die dem 60-jährigen Jubiläum der UdSSR gewidmet ist.
Boris Kaufman/SputnikGleichzeitig verlangte er von den Bürgern und Bürgerinnen strikte Disziplin. Wer während der Arbeitszeiten auf der Straße erwischt wurde oder sich betrank, konnte nun festgenommen werden. Obwohl diese Maßnahmen die Öffentlichkeit beeindruckten, waren sie relativ ineffizient. Der Politiker Alexander Jakowlew, der später an Gorbatschows Perestroika beteiligt war, sagte einmal: „Andropows Reformen waren so effektiv, wie der Versuch, einen Zug mit leerem Tank schneller zu machen, indem man ihn poliert.“
Vielleicht fehlte ihm aber auch einfach die Zeit für größere Veränderungen.
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