„Diese Geschichte liest sich wie ein Weltkriegs-Roman. Zu verrückt, um wahr zu sein“, heißt es auf dem YouTube Kanal „Potential History“ über das Leben von Joseph Beyrle, einem US-amerikanischen Fallschirmjäger, der 1945 zur Roten Armee kam. Doch es ist die Wahrheit. So etwas kann sich wohl auch niemand ausdenken.
Dem einzigen US-Amerikaner, der gegen die Nazis sowohl an der Ost- als auch an der Westfront gekämpft hat, wäre es egal gewesen, was man von seiner Geschichte denkt. Er wird noch heute von seinen Nachkommen für seine Überzeugung gefeiert, dass wahre Helden die sind, die bereit sind, ihr Leben zu opfern.
Jumpin’ Joe – diesen Namen bekam Joseph Beyrle für seine herausragenden Fallschirmsprünge – blieb auch als Held stets bescheiden. Am 6. Juni 1944, landete der damals 20-jährige Beyrle zusammen mit 24.000 anderen Soldaten an der französischen Küste in der Normandie. Das Schicksal führte ihn aus der feindlichen Schusslinie und ließ ihn auf dem Dach einer Kirche landen, die in einem von den Deutschen besetzten Dorf stand. Mitten im feindlichen Gebiet war er auf sich allein gestellt. Schon einige Monate zuvor hatte er sich hinter die feindlichen Linien gewagt, um Gold an die französischen Widerstandskämpfer zu liefern.
Landung der amerikanisch-britischen Truppen in der Normandie am 6. Juli 1944
U.S. Navy„RIA Novosti“ sprach mit Joe Beyrles Sohn John, US-Botschafter in Russland von 2008 bis 2012. Er erzählte, dass sein Vater immer wieder versuchte, Anschluss an die US-Truppen zu finden, doch vergeblich. Am dritten Tag, als er durchs Unterholz streifte, hatte er Pech und traf auf eine Gruppe deutscher Soldaten, die ihn gefangen nahmen.
Auch Joe Beyrle wurde wie andere Gefangene nach Osten deportiert. Inzwischen hatten die Alliierten in Frankreich die Deutschen von französischem Territorium ein Stück weit zurückdrängen können.
Dreimal war Beyrle bisher die Flucht gelungen. Zuerst in der Normandie, im Chaos nach einem US-Angriff auf den deutschen Gefangenenkonvoi. Am nächsten Tag wurde er jedoch bereits wieder gefasst.
Beyrle als Kriegsgefangenenlager, Herbst 1944
Public domainWenig später, im Herbst 1944, war es ihm gelungen, erneut zu fliehen, aus einem Lager in Polen. „Dad war wirklich gut im Würfeln und kein Raucher", erinnert sich sein Sohn. „Im Lager wurde um Zigaretten gespielt. Er gewann 40 Packungen und wurde Zigaretten-Millionär. So konnte er einen deutschen Wachmann bestechen.“ Dieser drehte sich weg, als Beyrle gemeinsam mit anderen Lagerinsassen über den Stacheldraht kletterte. Doch leider nahmen die erfolgreich Entflohenen auf ihrer Flucht den falschen Zug. Statt wie geplant nach Warschau zu fahren, wo sie sich mit Widerstandskämpfern treffen wollten, waren sie in Berlin gelandet, direkt in den Händen der Gestapo!
Beyrle wäre damals fast an den Folgen von Folter gestorben. Er wurde nicht geschont. Seine Vorfahren stammten aus Bayern und waren in die USA ausgewandert: Verrat in den Augen der Deutschen. Doch die Folterknechte konnten ihn nicht brechen.
Später erzählte Beyrle seinem Biographen Thomas Taylor, dass er einmal aufgewacht sei und über sich drei weißgekleidete Gestalten gesehen hätte. Sein erster Gedanke war, er sei gestorben und nun im Himmel. Doch dann sprachen die Gestalten und Beyrle wurde eines klar: „Ich war wohl doch nicht im Paradies gelandet, denn Engel sprechen kein Deutsch!“
Das dritte Mal ermöglichten ihm Querelen in den Reihen der Deutschen die Flucht. Die Wehrmacht verlangte von der Gestapo die Herausgabe Beyrles. Er wäre wieder nach Polen ins Lager gekommen. Den Deutschen dämmerte allmählich, dass sie den Krieg nicht gewinnen würden und sie Fragen zu den Gefangenen zu beantworten hatten.
Im Januar 1945 floh Beyrle erneut - in einer Mülltonne. Mithilfe eines Kompass entzog er sich der Verfolgung und bewegte sich auf den Lärm sowjetischer Artillerie zu. Mit erhobenen Händen ging er zu den Russen und wiederholte den einzigen Satz, den er anscheinend kannte: „Ja Amerikanskij towarischtsch!“ Towarischtsch bedeutet zu Deutsch „Genosse, Kamerad.” Beyrle sagt, die Soldaten der Roten Armee wären sehr erstaunt gewesen, doch sie wären dem gesunden Menschenverstand gefolgt und hätten einen Übersetzer geholt.
Beyrles sowjetisches Krankenblatt
Public domainDas Erstaunen wuchs, als die Sowjets erfuhren, dass der neue Towarischtsch nicht nach Hause wollte, sondern entschlossen war, sich der Roten Armee anzuschließen, um in Berlin gegen die Deutschen zu kämpfen.
„Sie gaben Papa ein Gewehr - das berühmte PPSH-41, das, wie er sagte, viel besser war als das amerikanische Thompson“, erinnert sich sein Sohn. Die US-Waffe blockierte häufig, während das PPSH zuverlässig funktionierte. „Vater war einer Infanteriegruppe angeschlossen, die einen Panzer bewachte.“ Der fragliche Panzer war übrigens der in den USA hergestellte Sherman, den die Sowjets dank des Leihvertrags mit den Amerikanern erhalten hatten.
Es scheint, dass Beyrles Erinnerungen an seine Zeit mit den Sowjets größtenteils sehr positiv sind: Seine Kinder erinnerten sich daran, wie Joe den in Russland so beliebten Buchweizen für sich entdeckte oder mit Freunden mit Wodka auf die Gesundheit von Stalin und Roosevelt anstieß.
Joseph Beyrle im Jahr 1994
Getty ImagesNur einen Monat konnte er in der Roten Armee kämpfen. In dieser kurzen Zeit war es seinem Bataillon gelungen, ein Gefangenenlager zu befreien - das, in dem Beyrle selbst einmal inhaftiert war. Bald danach wurde Joe bei einem Luftangriff verwundet. Seine sowjetischen Kameraden marschierten weiter nach Berlin, während er in einem Krankenhaus zurückbleiben musste.
Während des Krankenhausaufenthalts wurde er von keinem anderen als Marschall Georgi Schukow besucht. Schukow half Beyrle mit der Bürokratie und sorgte dafür, dass er nach Moskau zur US-Botschaft gebracht wurde. In der Hauptstadt erfuhr Beyrle, dass er in seiner Heimat als gefallener Soldat geführt wurde. Daher hielt man ihn zunächst unter dem Verdacht ein deutscher Spion zu sein, in der Botschaft fest.
Joe Beyrles Sohn John war US-Botschafter in Russland von 2008 bis 2012.
Alexei Danichev/SputnikZu Hause führte der Veteran zweier Armeen ein gewöhnliches Leben: er arbeitete in einer Firma, heiratete (in der gleichen Kirche, in der zuvor die Totenwache für ihn gehalten worden war), gründete eine Familie und erzählte seinen Kindern Geschichten vom Krieg. Später reiste er noch fünfmal nach Moskau. Er hatte daran nur die besten Erinnerungen.
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