Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war das Osmanische Reich nur noch ein Schatten seiner früheren Macht und Herrlichkeit. Obwohl noch nicht offiziell anerkannt, waren die Vasallenstaaten Rumänien, Serbien und Montenegro bereits de facto unabhängig vom Sultanat.
Nur die Bulgaren hatten Pech. Ihnen gelang die Unabhängigkeit von der Hohen Pforte, wie der Sultanspalast in Istanbul genannt wurde, nicht. Alle Bestrebungen endeten in der gewaltsamen Niederschlagung.
„Das Massaker von Batak“ von Antonij Piotrowski
gemeinfreiDie Grausamkeit gegenüber den Bulgaren löste weltweit eine Welle der Empörung aus, auch im russischen Reich. Als Serbien und Montenegro im Oktober 1876 dem Osmanischen Reich den Krieg erklärten, machten sich mehr als 5.000 russische Freiwillige auf den Weg, um gegen die Türken zu kämpfen. Der Krieg endete jedoch mit einer Niederlage für die Alliierten.
„Ankunft russischer Freiwilliger in Semendria, Serbien“
gemeinfreiIm folgenden Jahr begann Russland offiziell, Krieg gegen die Türken zu führen. Die treibende Kraft waren nicht Bürokraten sondern die Öffentlichkeit, die Zar Alexander II. dazu zwang, seine moralische Pflicht gegenüber dem Brudervolk auf dem Balkan zu erfüllen und die grausamen Türken zu bestrafen.
Die Don-Kosaken vor der Residenz des Kaisers in Ploiești, Rumänien
ArchivfotoAm 24. April 1877 marschierte eine 200.000 Mann starke russische Armee zusammen mit sechs bulgarischen Freiwilligeneinheiten durch Rumänien, auf dem Weg, die Donau zu überqueren, um nach Bulgarien zu gelangen.
„Die Überquerung der Donau durch russische Truppen von Zimnicea nach Swischtow am 15. Juni 1877“ von Nikolaj Dmitrijew-Orenburgski
Zentrales militärhistorisches Museum für Artillerie, Ingenieure und Signalkorps, St. Petersburg, RusslandDie erste Kriegsperiode verlief für die russische Armee erfolgreich. Die zaristischen Soldaten eroberten schnell die strategisch wichtige Festung von Nikopol und rückten bis zum Schipka-Pass vor. Der direkte Weg nach Konstantinopel (Istanbul) stand offen.
„Die Übergabe der Festung Nikopol“ von Nikolaj Dmitrijew-Orenburgski
Zentrales militärhistorisches Museum für Artillerie, Ingenieure und Signalkorps, St. Petersburg, RusslandDie russischen Streitkräfte waren jedoch nicht stark genug für eine entscheidende Offensive gegen die Hauptstadt. Außerdem erwartete sie eine unangenehme Überraschung. 20.000 türkische Soldaten unter der Führung von Osman Pascha besetzten die Stadt Plewen und verhinderten so, dass die Russen weiter vorrücken konnten. Außerdem drohten sie, die Donau zu überqueren.
„Eroberung der Grivitsa-Redoute“ von Nikolaj Dmitrijew-Orenburgski
Zentrales militärhistorisches Museum für Artillerie, Ingenieure und Signalkorps, St. Petersburg, RusslandDie Kämpfe fanden nicht nur auf dem Balkan statt, sondern auch im Kaukasus. Mit dem Hauptaugenmerk auf Bulgarien betrachteten sowohl das russische als auch das osmanische Reich das jedoch als Nebenkriegsschauplatz.
Die heldenhafteste Episode in diesem Theater war die Verteidigung der Festung Bayazet (heute Dogubeyazıt) durch eine kleine russische Garnison von 1.500 Mann gegen 20.000 feindliche Soldaten. 23 Tage leisteten sie erbitterten Widerstand, bis Verstärkung kam.
„Die Abwehr des Angriffs auf die Festung Bajazet am 8. Juni 1877“ von Lev Lagorio
Zentrales militärhistorisches Museum für Artillerie, Ingenieure und Signalkorps, St. Petersburg, RusslandIm August 1877 versuchten die Türken wieder die Oberhand zu gewinnen und forderten die russische Armee schwer heraus. Die 40.000 Mann starke türkische Armee griff am Schipka-Pass an, der von einer russisch-bulgarischen Einheit aus nur 7.000 Soldaten verteidigt wurde.
Mit schweren Verlusten in den eigenen Reihen (2.500) und auf Seiten des Feindes (6.000) waren die Verteidiger dennoch erfolgreich.
„Die Schlacht am Schipka-Pass“ von Alexej Popow
Zentrales militärhistorisches Museum für Artillerie, Ingenieure und Signalkorps, St. Petersburg, RusslandDas Schlüsselelement der russisch-türkischen Konfrontation blieb Plewen. Die von den Osmanen gehaltene Stadt, die schon mehreren heftigen Angriffen standgehalten hatte, hielt sich bis zum Beginn des Winters. Dann belagerten die Russen die Sofia-Straße und durchschnitten so die Versorgungslinie. Am 10. Dezember kapitulierte Osman Pascha nach einem gescheiterten Durchbruchsversuch.
„Der gefangene Osman Pascha vor dem Zaren Alexander II. in Plewen“ von Nikolaj Dmitrijew-Orenburgski
Zentrales militärhistorisches Museum für Artillerie, Ingenieure und Signalkorps, St. Petersburg, RusslandNachdem das russische Kommando endlich Plewen erobert hatte, startete es unerwartet eine groß angelegte Offensive an allen Fronten. Die Entscheidung wurde durch die überwältigende zahlenmäßige Überlegenheit der Alliierten motiviert: 554.000 Russen und 47.000 rumänische Truppen kämpften gegen 183.000 Türken. Darüber hinaus war Serbien nach dem Fall von Plewen wieder in den Krieg eingetreten.
Großfürst Alexander Alexandrowitsch mit den Kosaken in Plewen
gemeinfreiWährend der Offensive wurden die Türken aus Philippopolis (heute Plowdiw) vertrieben und gaben Adrianopel (Edirne) kampflos auf. Konstantinopel rückte für die russische Truppen in greifbare Nähe. Zu diesem Zeitpunkt griff Großbritannien in den Konflikt ein und erklärte die (wenn auch vorübergehende) Besetzung der osmanischen Hauptstadt für inakzeptabel.
Am 13. Februar 1878 machte sich ein Geschwader unter dem Kommando von Admiral Hornby, bestehend aus sechs Schlachtschiffen und einer Fregatte, auf den Weg in Richtung Dardanellen und ging im Marmarameer vor Anker.
Die türkische Verteidigung von Bosfor
gemeinfreiRussland, das nicht bereit für einen ausgewachsenen Krieg mit den Briten war, schloss am 3. März 1878 im Dorf San Stefano Frieden mit den Türken. Im Rahmen des Vertrags gab das Osmanische Reich einen Teil seiner Gebiete im Kaukasus und auf dem Balkan an Russland ab und gewährte Rumänien, Serbien und Montenegro die Unabhängigkeit sowie Bosnien und Herzegowina Autonomie. Die Hauptbedingung für den Frieden war jedoch die Wiederherstellung des bulgarischen Staates. In den ersten Jahren seines neuen Bestehens sollte Bulgarien unter direkter russischer Kontrolle stehen.
Die Unterzeichnung des Friedens von San Stefano
gemeinfreiDie europäischen Mächte waren schockiert über die neue russische Hegemonie auf dem Balkan. Über seinen bulgarischen Satelliten hatte das Land nun freien Zugang zum Mittelmeer. Eine von Großbritannien inspirierte antirussische Koalition wurde geschmiedet.
Die Unterzeichnung des Friedens von San Stefano
gemeinfreiAngesichts der Gefahr eines Krieges gegen ein geeintes Europa sah sich Russland gezwungen auf einem internationalen Kongress in Berlin einer Überarbeitung des Vertrages von San Stefano zuzustimmen. Die Unabhängigkeit Rumäniens, Serbiens und Montenegros wurde erneut bekräftigt, obwohl ihre Gebietsansprüche stark eingeschränkt wurden. Und statt Autonomie wurden Bosnien und Herzegowina unter die „vorübergehende“ Kontrolle Österreich-Ungarns gestellt. Weniger als 20 Jahre später wurde die Region offiziell Teil Österreichs.
„Der Berliner Kongress am 13. Juli 1878“ von Anton von Werner
Lebendiges Museum OnlineDie Idee von Großbulgarien musste aufgegeben werden. Stattdessen wurde ein Vasallenfürstentum gegründet, das sich auf Sofia konzentrierte und in seiner Fläche stark reduziert war, sowie die autonome osmanische Provinz Ost-Rumelien, wodurch Russland der Zugang zum Mittelmeer entzogen wurde. Für den Einsatz bei der Überarbeitung des Vertrags von San Stefano erhielten die Briten von der Hohen Pforte die Insel Zypern.
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