Geschickte Heiratspolitik, Kriege und Annexionen: Wie Litauen halb Russland eroberte

Nationales Museum in Warschau, M.K./Wikipedia
Im Mittelalter war Moskau keineswegs das einzige Zentrum Russlands. Über viele Jahrhunderte prägte auch das Großfürstentum Litauen die russische Geschichte.

Heute ist Litauen ein kleines Land am nordöstlichen Rand der Europäischen Union. Vor 600 Jahren aber war es einer der größten und mächtigsten Staaten Europas. 

Als Russland durch die mongolischen Horden weitestgehend zerstört wurde, war dies ein fruchtbarer Boden für die Expansionspläne der Litauer. Mit geschickter Heiratspolitik, aber auch mit Kriegen und Annexionen, eroberten die Litauer viele russische Fürstentümer. Der Einfluss Litauens war zwischenzeitlich so groß, dass Moskaus Status als Zentrum Gesamtrusslands in Gefahr geriet. 

Das mächtige Litauen

Im frühen 13. Jahrhundert litt das Baltikum unter den Nordkreuzzügen. Es schien, als würde Litauen wie auch die anderen heidnischen Stämme der Region von den teutonischen Rittern unterworfen werden.

Doch die Litauer schafften es, ihren Staat zu konsolidieren und einige wirksame Gegenattacken zu organisieren. In der Schlacht von Saule 1236 vernichteten sie mit dem Livonischen Orden schließlich einen der wichtigsten katholischen Militärverbände im heutigen Baltikum.  

Von Westen (aus der heutigen Region Kaliningrad) kamen aber weiterhin teutonische Truppen. Diese besiegten zuerst die preußischen Stämme und verleibten sich dann auch die Reste der livonischen Schwertbruderschaft ein. Dies ermöglichte ihnen, die Litauer von beiden Seiten anzugreifen. 

Die litauischen Herrscher realisierten, dass ihr Staat isoliert nicht überleben konnte. Ihr Glück (allerdings nicht das der Russen) war es, dass 1237 die Mongolen die russischen Fürstentümer überfielen. 

Vom Kleinstaat zum Großfürstentum 

Die mongolische Invasion legte den Osten der Rus komplett lahm, wodurch auch der Westen stark geschwächt wurde. Diese Situation nutzten die Litauer geschickt aus. 

Viele russische Fürsten sahen Litauen als Verbündeten im Kampf gegen die Mongolen und ordneten sich daher bereitwillig den litauischen Fürsten unter. Die Idee war es, dass die Litauer den russischen Fürstentümern Schutz vor den Mongolen boten, während die russischen Truppen für Litauen eine willkommene Unterstützung im Kampf gegen die teutonischen Ritter waren. Die Rechte der lokalen Herrscher ließen die Litauer dabei weitestgehend unberührt. 

Mitte des 13. Jahrhunderts eroberte Litauen auch das sogenannte „Schwarzrussland“ (der Westen des heutigen Weißrusslands). Von diesem Zeitpunkt an bezeichnete sich Litauen selbst als „Großfürstentum Litauen“. 

Den Höhepunkt seiner territorialen Ausbreitung erreichte das Großfürstentum im 14. Jahrhundert. Damals gehörten unter anderem große Teile Weißrusslands, der Ukraine und des südwestlichen Russlands zu Litauen. 

Durch die militärischen Erfolge tauchten jedoch auch neue Feinde auf: Neben den Teutonen, den Mongolen, den Polen und den Ungarn mussten sich die Litauer nun auch mit dem Großfürstentum Moskau herumschlagen, dass seine Führungsrolle innerhalb Russlands gefährdet sah. Moskau und die litauischen Territorien lagen gerade einmal 200 Kilometer auseinander. 

Zentrum der russischen Einigung 

Litauisch war an dem Großfürstentum allerdings nur der Name. Die Vorfahren der heutigen Russen, Weißrussen und Ukrainer machten über 90% der Bevölkerung aus. Um das riesige und ethnisch wie religiös diverse Land zusammenzuhalten, brauchten die litauischen Herrscher viel Fingerspitzengefühl. 

Ein zentrales Prinzip des Staates war die religiöse Toleranz. Obwohl das Großfürstentum offiziell heidnisch war, wurde auch der in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschende orthodoxe Glaube gefördert. 

Burg Trakai

Amtssprache war bis ins späte 17. Jahrhundert hinein nicht etwa Litauisch, sondern Ruthenisch (wie Russisch, Weißrussisch und Ukrainisch eine ostslawische Sprache).

Der größte Erfolg für die litauischen Fürsten war die Eroberung Kiews in den 60er-Jahren des 14. Jahrhunderts. In der heutigen Hauptstadt der Ukraine, damals auch als die „Mutter aller russischen Städte“ bezeichnet, errichteten die Litauer zunächst ein Protektorat, bevor sie die Stadt schließlich annektierten. Die Eroberung Kiews festigte die Rolle Litauens als zweites politisches und spirituelles Machtzentrum Russlands. 

Eine folgenschwere Entscheidung 

Lange Zeit manövrierten die litauischen Fürsten zwischen der katholischen und der orthodoxen Welt, ohne klar Partei für eine Seite zu ergreifen.

Dies war jedoch kein Dauerzustand. Als letzter offiziell heidnischer Staat Europas betrachteten die anderen europäischen Herrscher Litauen als Gefahr. Die Ritter des teutonischen Ordens nutzten diesen Zustand aus, um zu immer neuen Kreuzzügen gegen das litauische Heidentum aufzurufen. 

„Die Taufe von Litauen“ von Jan Matejko

1387 löste man das Problem und besann sich auf die politische und kulturelle Nähe zu Polen, einem engen Verbündeten im Kampf gegen die Teutonen. 1387 machte Großfürst Jogalia von Litauen, unter dem Namen Wladislaw II Jagiello gleichzeitig König von Polen, den katholischen Glauben zur offiziellen Staatsreligion. 

Von diesem Moment an kam es zu Konflikten zwischen Katholiken und Orthodoxen und der Einfluss Litauens im heutigen Russland nahm stetig ab. 

>>> Kampf um die Vorherrschaft: Wie Polen beinahe Russland eroberte

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