Was Hitlers Okkultisten heimlich in der Sowjetunion suchten

Geschichte
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
In Nazi-Deutschland erlebten die Ideen des Aristokratismus und der rassischen Überlegenheit mehrere Metamorphosen. Eine Zeit lang war die Sowjetunion der Ort, an dem die Nazis versuchten, den ihrer Meinung nach stärksten Beweis für ihre Überlegenheit zu finden.

„Wir haben nichts mit jenen Menschen gemein, die den Nationalismus nur als eine Anhäufung von Legenden und Mythen verstehen. [...] Jetzt beginnen sie [diese Leute] mit der Forschung auf der Grundlage der mythischen Kultur der Atlanten", sagte Adolf Hitler 1936, ein Jahr nach der Gründung von Ahnenerbe, einer ganzen, sogenannten „Forschungseinrichtung“ Deutschlands, die okkulte Praktiken und Legenden untersuchte.

Hitlers Verhältnis zu allen Arten von Okkultismus war nicht einfach und änderte sich wiederholt. Bis 1920 interessierten er und seine Mitstreiter aus der späteren Nationalsozialistischen Partei sich aktiv für die mystischen Aspekte der deutschen Herkunft. Sie besuchten verschiedene Gesellschaften (wie die Thule-Gesellschaft), in denen das Heidentum und die alten germanischen Kulte untersucht wurden. Ein Neuheide war auch Alfred Rosenberg, der 1934 von Hitler für die ideologische Erziehung der Partei (trotz der Empörung der Kirche) eingesetzt wurde. Und doch nahm später Hitlers Interesse für die Okkultisten ab und endete mit offenen Angriffen auf sie in Mein Kampf.

Aber Ahnenerbe existierte noch bis 1945. Es gab viele in der deutschen Elite, die diese Ideen noch immer aktiv unterstützten. Sehr bald nach seiner Gründung wurde Ahnenerbe offiziell der SS unterstellt. Mit ihren mehr als 300 Wissenschaftlern setzte die Organisation die Suche nach dem Erbe und den Traditionen der sogenannten „deutschen Rasse“ fort. Die Okkultisten glaubten, dass sich einige der „Schätze der Arier“ auch in der Sowjetunion, und zwar im Kaukasus, befänden.

Das Tor zu den Atlanten

Einigen Nazi-Theorien zufolge war Tibet die Wiege der arischen Rasse. 1938 begab sich der Stab von Ahnenerbe unter der Leitung des Zoologen Ernst Schäfer, einem Mann aus Hitlers innerem Kreis, auf eine Expedition in die tibetischen Berge, wo er neben seinen wissenschaftlichen Aufgaben auch nach Spuren der „arischen“ Ur-Religion und den Atlanten, den „arischen Vorfahren“, suchte.

Die Atlanten sollten noch immer existieren und sich tief in den Höhlen Tibets verstecken. Es ist klar, dass sie von den dortigen Lamas keine Informationen über den Eingang zu diesen Höhlen erhielten, gaben die Suche aber nicht auf. Damals kam die Theorie auf, dass es eine „Hintertür“ zu den Höhlen in Tibet gebe, und zwar im Kaukasus.

„Die Aktivitäten von Ahnenerbe im Kaukasus sind eine bekannte Tatsache“, bestätigt der Doktor der Geschichte Igor Wassiljew. „Wahrscheinlich wurde der Kaukasus von deutschen Okkultisten als eine, sagen wir, zugänglichere Variante Tibets betrachtet, wo sie auch nach anderen „Wundern“ suchten.

Im August 1942 eroberten die alpine Elitedivision der Wehrmacht und Mitarbeiter von Ahnenerbe  den Elbrus und hissten die Nazi-Flagge auf dem Elbrus. Die Operation trug den Codenamen Edelweiß und war nach Ansicht von Historikern nicht durch irgendwelche militärischen Aufgaben gerechtfertigt: Die Nazis mussten in Transkaukasien nur zu den Schwarzmeerhäfen und dem Öl von Baku durchbrechen, nicht aber den Gipfel des Kaukasus besteigen.

Hitler war, wie der Reichsminister für Rüstung und Munition Albert Speer sich erinnerte, darüber sehr wütend: „Noch tagelang danach fluchte er auf Schritt und Tritt  ,Diese durchgedrehten Bergsteiger hätten vor ein Kriegsgericht gestellt werden müssen!ʻ Inmitten des Krieges reden sie von ihren ,idiotischen Ambitionenʻ, besteigen ,idiotische Gipfelʻ, während er angeordnet hatte, alle Kräfte auf den Durchbruch nach Suchumi zu konzentrieren.“

Dennoch war der Gipfel bereits erreicht und es wurde ein Basislager in der Nähe eingerichtet. 2015 wurde in der Elbrus-Regioneine Kompanie von Soldaten der Edelweiß-Division unter einer Lawine verschüttet gefunden. Nicht weit von diesen Orten entfernt, im Bergmassiv von Chara-Chora, befand sich in einer 78 Meter langen Höhle ein brauner Koffer mit den Symbolen von Ahnenerbe, darin der Schädel und die Knochen, deren Zugehörigkeit sehr schwer zu bestimmen ist.

Schädel und Knochen

„Es gab in der Tat ein Team von Herbert Jankuhn [ein berühmter Archäologe und Professor in Deutschland in jenen Jahren], das von Ahnenerbe in dieses Gebiet geschickt wurde“, bestätigt Konstantin Salesski, Fachmann für die Geschichte des Dritten Reiches. „Zuerst war es auf der Krim und dann machten sie sich auf den Weg zum Kaukasus. Es gibt dokumentarische Beweise dafür, dass es von SS-Kampfeinheiten begleitet wurde. Das Team war ausschließlich mit der Suche und dem Raub archäologischer Artefakte beschäftigt.“

Höchstwahrscheinlich sei der Schädel eines dieser Artefakte, die nach Deutschland gebracht werden sollten, glaubt Salesski. Wenn man sich den Schädel ansieht, scheint es, dass die Kreatur ungewöhnlich große Augen, Nasenlöcher und zwei Auswüchse wie Hörner hatte, aber es gab keine Öffnung für den Mund.

Nikolai Owodow, Paläontologe und leitender Forscher am Institut für Archäologie und Ethnographie der sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften,vermutet, die Nazis könnten den Schädel für etwas Mystisches gehalten haben. Aber vielleicht ist es nur der Schädel eines Widders. „Der Schädel lag wahrscheinlich in einem unterirdischen Wasserlauf mit Sand und Kieseln und wurde im Laufe der Jahre deformiert“, glaubt er.

Dolmen

Auch von den Dolmen wurde Ahnenerbe angezogen. Die Nazis glaubten, dass die geheimnisvollen Megalithgräber mit den Atlanten zu tun haben könnten und an ungewöhnlichen Orten gebaut wurden. „Höchstwahrscheinlich suchten die Deutschen nach der Bestätigung, dass diese Artefakte das Werk der alten Arier oder Goten waren, die sich in dieser Gegend niedergelassen hatten“,nimmt Igor Wassiljew an.

Auf welchem Prinzip sie tatsächlich gebaut wurden, wird bislang noch erörtert. In wissenschaftlichen Kreisen ist die Version verbreitet, die Dolmen seien, wie alle Konstruktionen aus schweren Steinplatten, während der Bronzezeit in Gebieten mit geologischen Anomalien der Erdkruste auf deren Verwerfungen errichtet worden. Sie wurden zu mehreren Hundert gleichzeitig als Grabstätten (so etwas wie eine Familiengruft) errichtet. In einem Dolmen könnten sich mehrere Dutzend menschliche Überreste befunden haben.

„Lebendiges Wasser“

Ahnenerbe begann schon vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Jagd nach diesem „Fund“. Die Rossijskaja Gasetaschreibt, Hydrologen des Geheimbundes hätten beschlossen haben, dass das Wasser aus der Höhle unter dem Riza-See (Abchasien) ideal für die Herstellung von Blutplasma sei.

Angeblich aus diesem Grund boten deutsche Spezialisten für den Bau von Gebirgsstraßen der UdSSR ihre Hilfe beim Bau der Trasse Pizunda – Riza an. Das „lebendige Wasser“ aus Abchasien wurde in silbernen Kanistern zuerst zum Meer, dann mit U-Booten zum Stützpunkt nach Constanta (Rumänien) und dann per Flugzeug nach Deutschland gebracht.  

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