Warum Epidemien im zaristischen Russland zu Aufständen geführt haben

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In früheren Zeiten haben die Russen noch nicht verstanden, wie wichtig Quarantänemaßnahmen während einer Pandemie sind und haben sich oft mit aller Gewalt dagegen zur Wehr gesetzt. Damit machten sie die Situation jedoch nur schlimmer.

Moskauer Pestrevolte 1771

„Pestaufstand“ von Ernst Lissner

1771 brachten Soldaten, die aus dem Osmanischen Krieg zurückkehrten, die Pest nach Moskau. Da kaum Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden, verbreitete sich die Krankheit sehr schnell. Bis Juli 1771 starben in Moskau jeden Tag tausend Menschen. Die Behörden, einschließlich des Gouverneurs, flohen aus Angst aus der Stadt, und es kam zu Unruhen.

Die Leichen blieben in Häusern und auf den Straßen liegen, da die Behörden nicht genug Personal hatten, um sie abzutransportieren und zu begraben. Diese Aufgabe übernahmen schließlich Strafgefangene. Obwohl sie Schutzkleidung trugen, starben sie dennoch in großer Zahl. 

In der Panik verbreiteten sich Gerüchte, dass die Verehrung der Ikone der Gottesmutter am Barbara-Tor von Kitai-Gorod vor der Pest schützen könnte. Die Menschen strömten in Massen herbei und die Pest verbreitete sich weiter wie ein Lauffeuer. Erzbischof Ambrosius von Moskau (1708-1771) verstand, dass dies die Situation nur verschärfte und ließ die Ikone entfernen. Das löste einen Aufruhr aus. Menschenmassen stürmten in den Kreml und plünderten auf der Suche nach dem Erzbischof das alte Tschudow-Kloster. Am nächsten Tag wurde Ambrosius von der aufgebrachten Menge im Donskoi-Kloster gefangenen genommen und gelyncht. Der Mob bestand vor allem aus armen Stadtbewohnern und Bauern. 

„Tötung des Erzbischofs Ambrosius“ von Charles-Michel Geoffroy

Katharina die Große beauftragte Pjotr Jeropkin, einen kriegserfahrenen General, die Angelegenheit in die Hand zu nehmen. Jeropkin befehligte etwa 10.000 Soldaten, die den Aufstand in der Stadt niederschlagen sollte. Am 16. und 17. September 1771 ließ Jeropkin sie mit Kleinwaffen und Kanonen beschießen. Mindestens 100 Tote gab es dabei. 300 Menschen wurden später hingerichtet oder ins Exil geschickt. 

Nach dem Aufstand wurden vier weitere Regimenter in Moskau eingesetzt, um die Sicherheit zu gewährleisten sowie die strikten Quarantänemaßnahmen umzusetzen. Historiker sind jedoch der Auffassung, dass der Aufstand nicht nur wegen der Pest entstand, sondern auch durch Armut, den anhaltenden Krieg gegen die Osmanen und die schlechten Lebensbedingungen der meisten Menschen verursacht wurde.

Die Cholera-Aufstände 1830-1831  

Nikolaus I. während des Cholera-Aufstandes

Die Cholera-Epidemie der frühen 1830er Jahre begann kurz nach dem russisch-türkischen Krieg von 1828 bis 1829. Wieder wurde der Erreger von zurückkehrenden Soldaten eingeschleppt. Die Krankheit, die zuerst von Menschen als neue Pestepidemie missverstanden wurde, verbreitete sich im südlichen Russland. Graf Arseni Sakrewski, der damalige Innenminister, war verantwortlich für die Sicherheit und setzte strenge Quarantänemaßnahmen auf allen wichtigen Straßen durch. Tausende Karren mit Waren wurden von Zollbeamten blockiert. Der Handel kam zum Erliegen. Städte und Dörfer blieben ohne Vorräte. In verschiedenen Teilen Russlands kam es zu Unruhen.

Der Aufstand von St. Petersburg 

Die Plötzlichkeit, mit der die Krankheit auftrat, ihre hässlichen Symptome und die Tatsache, dass diese sich oft nach dem Essen verstärkten, nährten das Gerücht, dass es sich um eine Vergiftung handele. Die Leute begannen zu vermuten, dass die Brunnen verkeimt seien und dass Ärzte diese Krankheit verbreiteten! Die Ärzte empfahlen nämlich, eine Flasche Chlorkalk oder Essig bei sich zu haben und sich damit stets Hände und Gesicht zu desinfizieren. Doch das gewöhnliche Volk hielt das für Gift.

Es dauerte nicht lange und Ärzte wurden zum Ziel von Anfeindungen. Am 4. Juli 1831 versuchten die Menschen, ein Krankenhaus mit Cholera-Patienten zu stürmen und in Brand zu setzen. Mehrere Ärzte und Militärs wurden getötet. Vor allem der Sennaja-Platz, wo das Ismailowski Leibgarde-Regiment stationiert war, wurde zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen. Kaiser Nikolaus I. trat dort vor das Volk, was zur Beruhigung der Aufständischen beitrug. Nach seiner Rückkehr verbrannte der Kaiser jedoch alle seine Kleider und verbrachte lange Zeit in seinem Bad.

Der Aufstand von Sewastopol 

Zwei Jahre zuvor, 1828, war Sewastopol bereits wegen einer lokalen Epidemie unter Quarantäne gestellt worden - was es genau war, ob Pest oder Cholera, ist unbekannt, aber es wurden strenge Maßnahmen angewendet. Im Jahr 1829 musste jeder, der durch die Stadt ging, zwei Wochen in einer Quarantänezone verbringen, und aufgrund der Straßensperren, die die Stadt umgaben, kam es zur Nahrungsmittelknappheit. Die Menschen beklagten sich bei offiziellen Stellen, doch nichts passierte. 

Im Jahr 1830, mit dem Ausbruch der Cholera, wurden die Quarantänemaßnahmen noch verschärft und es wurde den Menschen verboten, ihre Häuser zu verlassen. Einer der Stadtbezirke wandte sich gegen die Maßnahmen, und zwei Infanteriebataillone wurden geschickt, um die Einhaltung der Anordnungen zu überwachen. Innerhalb weniger Stunden wurde die Stadt jedoch von den Aufständischen eingenommen, Gouverneur Nikolai Stolypin (1781-1830) wurde von der Menge ermordet und die Soldaten schlossen sich dem Aufstand an. Die Menschen waren wütend, weil sie dachten, die Pest sei überwunden. Über den Cholera-Ausbruch waren sie nicht ausreichend informiert worden. 

Was sie besonders verärgerte, war die Schließung von Kirchen - die Mehrheit der Menschen verstand nicht, wie sich die Krankheit ausbreitete, und sie hielten alles für das Werk teuflischer Mächte. Vier Tage später marschierte das Militär in Sewastopol ein und schlug die Unruhen nieder. Ungefähr 6.000 Menschen wurden festgenommen. Sieben Anführer wurden hingerichtet, etwa 1.000 Menschen zu Zwangsarbeit verurteilt und mehr als 4.000 Zivilisten in andere Städte deportiert. 

Die getroffenen Maßnahmen erwiesen sich jedoch im Nachhinein als wirksam, da es in Sewastopol in den folgenden Jahren keinen Massenausbruch von Cholera mehr gegeben hat. 

>>> Die drei tödlichsten Epidemien der russischen Geschichte

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